Rigoletto ein gescheiterter Revolutionär? Ein in Musik und Szene höchst gelungener Verdi an der Oper Stuttgart

Verdis so populäre Oper mit ihren Wunschkonzert Arien, mit ihren an die Emotionen appellierenden Melodienbögen, mit einer Handlung aus Mélodrame, Krimi und Familientragödie, diese Melange aus Liebe und Lust, Leid und Tod, all das kennt man, meint man zu kennen, bis hin zum Überdruss. Kann man diesem Stück wirklich noch eine Bedeutungsvariante abgewinnen?

In Stuttgart setzen Jossi Wieler und Sergio Morabito, die gemeinsam für Regie und Dramaturgie verantwortlich zeichnen, auf die politische Komponente des Libretto und schlagen eine lectura politica vor, die in der Tat das alte Stück aus seiner klischeehaften Erstarrung löst. Zeit und Ort der Handlung sind nicht mehr ein fiktives Mantova in der Epoche der Renaissance. Zeit und Ort sind eine unbestimmte Stadt im Italien des Risorgimento, eine Stadt, in der der an die Häuserwände gesprühte Name V.E.R.D.I. eine politische Parole ist: die Forderung nach einem vereinten Italien unter dem Piemontesen Vittorio Emanuele als König. In dieser Situation sind die kleinen Fürstentümer dem Untergang geweiht. Und da ist es nur konsequent, dass der Duca di Mantova  nicht an der Macht, sondern ausschließlich an ‚Wein, Weib und Gesang‘ interessiert ist und die Macht seinem Eventmanager, dem Buffone Rigoletto, überlässt. Dieser ist seinem Herrn gegenüber nur scheinbar loyal.  In seiner erbärmlichen ‚Hütte‘ bereitet er im Proletarierlook den ‚Krieg den Palästen‘ vor und lässt seine Tochter Gilda – auch sie im Proletenlook – schon mal Plakate mit den Parolen der französischen Revolution drucken. Die Entführung der Tochter, die sich der Möchtegernrevolutionär offensichtlich als Ikone für die geplante Revolution hält und deren unbedingte Leidenschaft für den verhassten Libertin lassen aus der erträumten Revolution nur eine Privatrache werden. – mit den bekannten Folgen. Mag   der Buffone bei der wilden Vendetta Arie  auch auf die Stühle steigen und in der Pose der Volkstribunen  drohend die Fäuste schwingen, er ist doch nur ein Buffone oder allenfalls die Parodie eines Revolutionärs.  Da kann in der Gewitternacht der Himmel noch so rot leuchten und die Feuerstürme der Revolution ankündigen, der ersehnte Umsturz endet – ganz wie es das Libretto will – in der persönlichen Katastrophe des Helden und – so will es die Regie –  in der Restauration der Macht der ‚herrschenden Klasse‘: das Schlussbild zeigt die im Kreis herumsitzenden Höflinge.

Rigoletto die Tragödie eines besitzergreifenden und rachsüchtigen Vaters, das Psychoprogramm des gescheiterten Vaters, wie es die konventionellen Deutungen zeigen? Nein, Rigoletto ist die Tragödie des an sich selber scheiternden Revolutionärs. Gibt das Stück wirklich diese Deutung her? In  der Stuttgarter Inszenierung wirkt sie glaubhaft. Hätte man nicht sogar noch einen Schritt weiter gehen können und aus Rigoletto einen Garibaldi Verschnitt machen können? Garibaldi, dessen Traum vom neuen Italien in der Restaurationsherrschaft der Piemontesen endet?

Diesen Weg wäre das Publikum wohl nicht mitgegangen, ein Publikum, das gegenüber der anspruchsvollen Inszenierung ziemlich ratlos bleibt und dafür umso begeisterter die grandios singenden und spielenden Solisten und einen nicht minder brillanten Chor feiert. Nennen wir nur die drei Protagonisten: mit welcher Italianità, mit welchem Schmelz  Atalla  Ayan den Duca singt, wie Markus  Marquardt den Rigoletto gestaltet und wie Ana Durlovski, die Koloraturdiva der Oper Stuttgart, die Gilda gibt, das ist schlichtweg große italienischen Oper, große Oper, aus der eine intelligente, eine literarisch und historisch gebildete Regie großes Musiktheater zu machen versteht.

Wir sahen die Aufführung am 25. Juli 2016, die 18.Vorstellung seit der Premiere am 28. Juni 2015.

 

Ein Sängerfest – ohne Inszenierung. Rigoletto an der Bayerischen Staatsoper

Sagen wir es gleich – ohne alle Umschweife. In München ist ein Rigoletto zu hören, ich betone zu hören, wie er brillanter und schöner wohl kaum vorstellbar ist. Hier ist Belcanto in Hochkultur zu erleben:  mit Joseph Calleja als Duca di Mantova, mit Franco Vassallo als Rigoletto und Patricia Petibon als Gilda.  Verdi Musik, Verdi Gesang vom Allerfeinsten. Italienische Oper als Hochkultur.

Wer indes in München Musiktheater erwartet, der wird enttäuscht. Die Bayerische Staatsoper präsentiert mit ihrem neuen Rigoletto  eine Verdi-Oper, bei der die Inszenierung  weder eine Deutung anbietet noch das Publikum provozieren will, noch sich gegen die Musik wendet, noch sich im Trash austobt, noch Verruchtheit und Dekadenz vorgaukelt. In München – welch ein Kuriosum – findet die Inszenierung gar nicht statt.… → weiterlesen

„La maledizione“: eine bieder-romantische Rigoletto Inszenierung an der Oper Köln

Vielleicht bin auch ich wie der Narr Rigoletto das Opfer eines Fluchs. Wagner und die Wagnerianer haben wir Verdi ausgetrieben. Vielleicht ist die Rigoletto Musik aber auch so sehr zum Ohrwurm verkommen, dass ich sie nicht mehr ertragen kann. Überdies fürchte ich immer, dass einer oder eine  aus dem Publikum gleich aufsteht und einfach mitsingt. Eigentlich wäre das doch sogar ein hübscher Regiegag. Statt vom Balkon ihres Kinderzimmers seufzte die kleine Gilda von einem der gondelförmigen Balkons im Kölner Opernhaus ihr „Caro nome“ herab. Und der Duca di Mantova  – das könnte doch der Intendant sein, der die kleine Sängerin unbedingt in seinen Harem aufnehmen will. Eine Idee, die dem Papa der Kleinen  gar nicht passt. Der Papa, der könnte doch der Generalmusikdirektor sein, der sowieso nach der Pfeife des Intendanten tanzen muss. Nein, so geht das nicht. Das Theater ist schließlich „eine moralische Anstalt“. Dort hält das Publikum gefälligst den Mund. Dort soll es sich am Rigoletto ergötzen und mit diesem leiden, auch wenn, wie das vor ein paar Jahren in München geschah, eine Filmdame, die mal die Opernregisseurin mimen wollte, die Handlung auf den Planeten der Affen verlegt oder wenn, wie das vor ein paar Jahren in Köln geschah, eine damals schon recht bekannte Theatermacherin die Handlung in die Redaktionsräume eines Zeitungsimperiums verlegt. Doch keine Sorge liebes Publikum. Dieses Mal sind wir in Köln ganz brav und bieder, sind wir ganz romantisch, schauerromantisch und auch sentimental – ganz wie es das Libretto und mit ihm das Victor Hugo Drama  als Vorlage für das Libretto verlangen.… → weiterlesen