Vielleicht bin auch ich wie der Narr Rigoletto das Opfer eines Fluchs. Wagner und die Wagnerianer haben wir Verdi ausgetrieben. Vielleicht ist die Rigoletto Musik aber auch so sehr zum Ohrwurm verkommen, dass ich sie nicht mehr ertragen kann. Überdies fürchte ich immer, dass einer oder eine aus dem Publikum gleich aufsteht und einfach mitsingt. Eigentlich wäre das doch sogar ein hübscher Regiegag. Statt vom Balkon ihres Kinderzimmers seufzte die kleine Gilda von einem der gondelförmigen Balkons im Kölner Opernhaus ihr „Caro nome“ herab. Und der Duca di Mantova – das könnte doch der Intendant sein, der die kleine Sängerin unbedingt in seinen Harem aufnehmen will. Eine Idee, die dem Papa der Kleinen gar nicht passt. Der Papa, der könnte doch der Generalmusikdirektor sein, der sowieso nach der Pfeife des Intendanten tanzen muss. Nein, so geht das nicht. Das Theater ist schließlich „eine moralische Anstalt“. Dort hält das Publikum gefälligst den Mund. Dort soll es sich am Rigoletto ergötzen und mit diesem leiden, auch wenn, wie das vor ein paar Jahren in München geschah, eine Filmdame, die mal die Opernregisseurin mimen wollte, die Handlung auf den Planeten der Affen verlegt oder wenn, wie das vor ein paar Jahren in Köln geschah, eine damals schon recht bekannte Theatermacherin die Handlung in die Redaktionsräume eines Zeitungsimperiums verlegt. Doch keine Sorge liebes Publikum. Dieses Mal sind wir in Köln ganz brav und bieder, sind wir ganz romantisch, schauerromantisch und auch sentimental – ganz wie es das Libretto und mit ihm das Victor Hugo Drama als Vorlage für das Libretto verlangen. Nur im ersten Akt bei der Festorgie im Palast des Herzogs, da erlauben wir uns ein paar kleine verruchte Freiheiten: da gibt es einen Satyr in Kopulationsaktion, eine Tanzgruppe, die auf dem Tisch Cancan tanzt und als Gipfel der Verruchtheit einen riesigen Pappmachephallus. So und jetzt wissen auch die auf den billigen Plätzen ganz oben im dritten Rang, wie es die Pariser Gesellschaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts getrieben hat. Im zweiten Akt sehen wir dann wie ein tyrannischer Papa Rigoletto sein Töchterchen mit Zärtlichkeit und Drohungen vor der bösen Welt verschließen will. Vergebliche Müh. Die Triebe, die sich auf Liebe reimen, sind halt überbordend. Und schon sind Töchterchen und Jungfernschaft weg und damit auch der Naivste im Publikum mitkriegt, was da geschehen ist, hat Gilda bei ihrem nächsten Auftritt einen großen roten Fleck auf ihrem langen weißen Nachthemd. Papa Rigoletto darf mit Stühlen um sich werfen, die Decke vom Tisch ziehen und sehr melodiös Rache schwören. All dies wird ganz ernst, ohne einen Funken von Ironie oder Parodie in Szene gesetzt, so als ob wir allesamt noch in romantischer Zeit lebten, als sich Herz auf Schmerz und Lust auf Brust reimten. Wie schade, dass sich Katharina Thalbach als Regisseurin so ängstlich an das Libretto geklammert hat. Welchen Spaß hätten wir doch gehabt, wenn sie die Handlung nach Berlisconistan verlegt hätte, in das Land mit seinem hyperpotenten Herrscher, dessen Gespielinnen und dessen Clowns. Doch die Regie hat sich nun einmal für das historisierend Romantische als Grundkonzeption der Inszenierung entschieden und ganz in diesem Sinne gelingen ihr im dritten Akt auch richtig schöne schauerromantische Bildsequenzen: das am Wasser gelegene einsame Haus des gedungenen Mörders. Nacht, Gewitter, Sturm, fallende Blätter, Nebelbänke. Eine sterbende Gilda, die in einem Nachen auf dem Fluss davon treibt – natürlich eine Ophelia Variante -, der verzweifelte Rigoletto, der im Wasser kniet und vergeblich das tödlich verletzte Töchterlein retten will. Das ist alles sehr schön, rührend und sentimental und kitschig ohne auch nur eine Spur von ‚romantischer Ironie‘. Allgemeine Begeisterung im Publikum, das halt das Romantische mag. Und wenn dann wie jetzt in Köln noch mit Schmelz und Leidenschaft schön gesungen wird, ja, dann hat man keinen Grund sich zu beklagen. Man muss halt nur das Kölner Dreigestirn aus Italianità, Giuseppe Verdi und Katharina Thalbach als Theatermacherin mögen.
Wir sahen die Vorstellung am 12. April 2012. Die Premiere war am 15. März 2012.