Ein Sängerfest – ohne Inszenierung. Rigoletto an der Bayerischen Staatsoper

Sagen wir es gleich – ohne alle Umschweife. In München ist ein Rigoletto zu hören, ich betone zu hören, wie er brillanter und schöner wohl kaum vorstellbar ist. Hier ist Belcanto in Hochkultur zu erleben:  mit Joseph Calleja als Duca di Mantova, mit Franco Vassallo als Rigoletto und Patricia Petibon als Gilda.  Verdi Musik, Verdi Gesang vom Allerfeinsten. Italienische Oper als Hochkultur.

Wer indes in München Musiktheater erwartet, der wird enttäuscht. Die Bayerische Staatsoper präsentiert mit ihrem neuen Rigoletto  eine Verdi-Oper, bei der die Inszenierung  weder eine Deutung anbietet noch das Publikum provozieren will, noch sich gegen die Musik wendet, noch sich im Trash austobt, noch Verruchtheit und Dekadenz vorgaukelt. In München – welch ein Kuriosum – findet die Inszenierung gar nicht statt. Da singt Signor Calleja im vorabendlichen Sportlerdress  seine Arien von der Rampe, konkret: vom verbreiterten Souffleurkasten herab, direkt ins Publikum. Und Signor Vassallo im weißen Sommeranzug tut es ihm gleich.  Und Madame Petibon im Freizeitschlabberlook schließt sich – mit einer Ausnahme –  den beiden Herren  an. Zur Caro Nome Arie  darf sie sich als Gilda traumwandelnd  unter die Chorsänger mischen, die auf zwei Tribünen – Tribünen, wie man sie auf  Tennisplätzen findet, ihrem Gesang lauschen. Im zweiten Akt sind die Tribünen verschwunden, und die Chorsänger, allesamt im Sommeranzug, stehen um Signor Vassallo herum, schubsen ihn schließlich auf den Souffleurkasten, auf dass er mit Madame Petitbon das Duett und im Finale seine Rachearie ins Publikum sänge.  Im dritten Akt sind die Tribünen wieder da, und die arme Gilda darf in der ersten Reihe der Tribüne sitzen und zugucken, wie  ihr Liebster es mit der Maddalena auf dem Souffleurkasten treibt. Ja, warum, so fragt sich die ob des ‚canto celeste‘ milde gestimmte Opernbesucherin,  ja, warum soll man  denn  Liebes-, Trauer- und Racheszenen  nicht auf dem  Souffleurkasten spielen.  Bei dieser Art von Szenen stört die große Bühne  doch nur. Jetzt sind die Stimmen dem Publikum doch viel näher, und es  entsteht geradezu Kammerspielambiente. Aber vielleicht wollte der ungarische Theatermacher Árpad Schilling nicht nur sängerfreundlich sein. Vielleicht wollte er uns zu verstehen geben, dass wir allesamt nur Voyeurs sind, die Gesellschaft auf den Tribünen und wir im Publikum, dass wir uns am Leiden und Lieben der Bühnengestalten weiden, auf dass wir frei nach Aristoteles eine Katharsis erfahren. Oder vielleicht wollte die Regie auch eine Verdi-Oper mal von allem Gerümpel befreien, aller schwarzen Romantik Lebewohl sagen und im Wagner Jahr mit Verdi ein bisschen Neubayreuth spielen. Wie dem auch sei.  Beim Münchner Rigoletto ist die Inszenierung, wenn  es sie denn wirklich gibt, kaum mehr als  eine quantité négligeable.  Was allein zählt, das sind Gesang und Orchesterklang. Und die sind in der Tat vom Allerfeinsten.

Wir sahen die Aufführung am 25. Dezember. Die Premiere war am 15. Dezember 2012.