„Ich bin ein Weib und will ein Weiberschicksal“, Herr Dr. Freud. Eine umjubelte Die Frau ohne Schatten an der Bayerischen Staatsoper

Kein Zweifel. In München singt ein teures Ensemble internationaler Stars höchst brillant. Hier zelebriert das Bayerische Staatsorchester unter Maestro Petrenko Richard Strauss auf höchstem Niveau. Hier wird Hofmannsthals hybrider Text, dieses Gemenge aus  fernöstlicher Symbolik, Psychodrama und Märchen, in eine in sich schlüssige, kohärente und überzeugende Inszenierung umgesetzt.

Doch muss man diese – nach den vielen Flops der letzten Jahre – zweifellos in jeder Weise gelungene Produktion so kritiklos und hymnisch bejubeln, wie das manche Feuilletonkritiker und –  im Gefolge dieser –  große Teile des Publikums tun? „Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben war ich“ – nein, nicht stumm. Dann werd‘ ich trunken, redselig. Dann gebe ich meinen Verstand zusammen mit Hut und Stock an der Garderobe ab.  Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die  geradezu peinlich unkritischen Hymnen auf Maestro Petrenko in der Presse liest. Wir haben vor ein paar Jahren Thielemanns Frau ohne Schatten in Salzburg  und zuvor die Interpretation von Welser-Möst in Zürich gehört. In Salzburg und in Zürich hat man vielleicht nicht so stark auf das selige Pianissimo gesetzt, das man in München bis zum Exzess auskostet und das eine geradezu hynotisierende  Wirkung  auf die Zuhörer ausübt. Dort stellte man, wenn ich mich recht erinnere, eher die rauschhafte Klangfarbenpracht der Musik heraus. Wie dem auch sei. De gustibus non disputandum est.  In München wird, dran gibt es überhaupt nichts zu bekritteln,  eine grandiose Die Frau ohne Schatten zelebriert.  Doch Zürich und Salzburg, mögen  dort die Akzente  auch etwas anders gesetzt worden sein,  können da durchaus mithalten.

Doch sprechen wir lieber von der Inszenierung und überlassen wir  den musikalischen Part den Musikern  und den Musikkritikern.… → weiterlesen

Zirkulärer Traumdiskurs mit Schiele Bildzitaten. Elektra an der Opéra Bastille

Zur einst so wilden Musik, die uns heute zwar nicht mehr wild, doch immerhin spektakulär dünkt, hat die Bastille Oper  gleich drei Opernheroinen aus dem Wagner- und Strauss-Fach engagiert: die Theorin als Elektra, die Meier als Klytämnestra, die Merbeth als die kleine Schwester Chrysothemis. Und noch dazu in der Rolle des Orest den  stimmgewaltigen russischen Bariton, der auf dem Bayreuther Hügel nicht singen darf. Operngesang der Spitzenklasse. Und natürlich bot auch das „Orchestre de l‘Opéra National de Paris“  unter Maestro Jordan einen Strauss der Extraklasse. „Luxusmusik“ der Dekadenz in Reinkultur. Mit anderen Worten: in der Bastille war Oper vom Allerfeinsten zu hören. Startheater, wie man es auch von einem so renommierten Haus erwartet.

First Class ist auch die Inszenierung von Robert Carsen, die man vom Florentiner Maggio Musicale übernommen hat:… → weiterlesen

Die Eingeschlossenen oder die Weise von der Klaustrophobie. Eine Wiederaufnahme von Tristan und Isolde am Aalto Musiktheater in Essen

Braucht man für Barrie Koskys Tristan eine Gebrauchsanweisung, eine Betriebsanleitung? Vielleicht doch. Inszenierung und Bühnenbild irritieren den Zuschauer: in einem schwarzen Vorhang findet sich auf halber Höhe ein nach hinten, oben und an den  Seiten abgeschlossener kleiner Raum, möbliert im großbürgerlichen Stil des 19. Jahrhunderts. Vielleicht auch im Stil eines Luxusabteils im Orientexpress (Man erinnert sich: laut Libretto befinden sich die Akteure im ersten Aufzug auf einer Reise). Auch im zweiten und dritten Aufzug bleibt man in diesem Kasten. Im zweiten, da ist er unmöbliert und dreht sich noch dazu langsam um die eigene Achse.  Kindergartensymbolik.  Im dritten Aufzug, da ist der Kasten spärlich möbliert. Für den moribunden Tristan braucht man halt einen Sessel. Immerhin darf sich zum Sterben ein exaltierter Tristan  aus der Puppenstube stürzen, auf dass ihm Isolde in der Pose einer Mischung aus Mater Dolorosa und Maria Magdalena die berühmte Schlussweise singe.… → weiterlesen

Bayreuth in Amsterdam. Götterdämmerung am Muziektheater

Das unsichtbare Orchester? Sitzt man vor der Passerelle ist die Illusion vollkommen. Vom Orchester sieht man nichts. Wieland Wagners legendäre Scheibe? Es gibt keine Kulissen, keine Dekorationen, so gut wie keine Requisiten. Nur eine freie, runde Spielfläche. Bayreuther Sänger? Kein Problem. Es singen Catherine Foster und Stephen Gould in den Hauptrollen. Orchester und Orchesterklang? Vollkommener Wagner-Sound. Differenziert und rauschhaft zugleich

Eine perfekte Aufführung, die vielleicht etwas zu zögerlich beginnt, sich schnell immer mehr steigert und im Finale in Orchesterklang und Gesang – frei nach Nietzsche – die stärksten Stiere umwirft. Brünnhilde singt ihre große Szene von der Passerelle herab – hinter und über dem Orchester und geradezu im Publikum selber und zieht sich zum Schlussgesang wieder auf die Bühnenmitte zurück. Hobbits oder, wenn man so will, Roboter hüllen sie in weit gespanntes rotes Tuch. Hagen sucht in diesem Flammentuch nach dem Ring. Die Rheintöchter, Fisch ähnliche Gestalten, nein, sie ziehen ihn nicht hinab. Sie erschlagen ihn. Und Wotans Speer bricht durch den Bühnenhimmel und so weiter und so weiter. So zurückhaltend die Regie auch in den den ersten beiden Akten war. Im Finale da zieht sie alle Register der Grand Opéra. Und warum auch nicht. Das Finale der Götterdämmerung  ist ja auch  in Gesang, Orchesterklang und Szene ein großes Spektakel. Und Wagner ist ja  auch – wiederum frei nach Nietzsche  – ein großer Komödiant, Ein großer Theatermacher.

Wir haben im Laufe der letzten Monate den gesamten Amsterdamer Ring gesehen, und wir waren begeistert.  Selbst auf die Gefahr hin für naiv und unbedarft gehalten zu werden: der Amsterdamer Ring gehört für mich zu den besten Ring Aufführungen, die zur Zeit in den Musiktheatern zu hören und zu sehen sind.

Wir sahen die Aufführung am 21. November 2013, die dritte Vorstellung der laufenden Serie. Die Premiere war am 8. September 1998.

Vater und Sohn gefangen in der Endlosschleife. Und Ilia kriegt ihr Bambino zur Ballettmusik. Und Maestro Jacobs lächelt. Idomeneo am Theater an der Wien

Und der Maestro hat allen Grund zu lächeln. Das Freiburger  Barockorchester spielt wie gewohnt auf hohem Niveau. Auf der Bühne singt und agiert ein glänzend aufgelegtes Ensemble. Ein junger Regiestar wagt eine neue Deutung. Die Kritik lobt einhellig den Wiener Idomeneo. Ein großer Opernabend.  Und doch?

Ich bin der Ästhetik der Hässlichkeit überdrüssig. Ich mag keinen Trash mehr auf der Bühne. Und von beidem gibt es hier im Idomeneo  im Überfluss. Und dies, blickt man allein auf das Libretto, wohl auch zu Recht: der Krieg mit seinem langjährigen Gemetzel ist vorüber. Von den Soldaten, die einst mit Idomeneo gen Troja zogen, sind nur noch die abgenutzten Schuhe und Stiefel übrig, die die ganze Szene bedecken. Der König, ein gebrochener traumatisierter Mann, von sadistischen Albträumen und Aggressionen gegen seinen Sohn gequält, wird auf einem Klinikbett hereingefahren. Kreter wie Trojaner sind gleich zerlumpt und vegetieren inmitten der Schuh- und Stiefelwüste. Einzig Elektra ist von all dem Chaos unberührt, stolziert als Modepüppchen herum, malträtiert die schwangere Ilia, versucht , wenn es schon mit dem Sohn nicht klappen will, den Vater zu umgarnen und scheut auch nicht davor zurück, diesem das Hackebeil in die Hand zu drücken, mit dem er seinen Sohn erschlagen soll.  Zum Ausgleich dafür darf sie sich zu ihrer Wahnsinnsarie im Bühnenschlamm wälzen, und alle schauen konsterniert zu.… → weiterlesen

„So bist nun ewig du verdammt“ und endest im Selbstmord oder im Puff der Madame Venus. Zwei Wiederaufnahmen des Tannhäuser an der Semperoper und an der Oper Frankfurt

Gleich zwei Wiederaufnahmen aus der Konwitschny Schule erlebten wir an den letzten beiden Wochenenden. Ich sage bewusst ‚erleben‘, denn große Opernabende waren in der Tat in Dresden und in Frankfurt zu erleben. Die Semperoper zeigte wieder Konwitschnys spektakulären Tannhäuser, der vor nunmehr über sechzehn Jahren Premiere hatte. Und in Frankfurt stand Vera Nemirovas Tannhäuser Inszenierung vom Jahre 2007 wieder auf dem Programm. Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife: gäbe es einen Wettstreit der beiden Inszenierungen, dann gewänne alle Male die Semperoper den ersten Preis. Ginge es um den musikalischen Part, dann gebührte der Frankfurter Wiederaufnahme wohl der erste Preis.

Den Tannhäuser der Semperoper hatte ich vor über fünf Jahren schon einmal gesehen und war damals restlos begeistert: „Ein grandioser Opernabend, an dem es nichts zu bekritteln gibt“ – das hatte ich mir damals notiert. Jetzt bei der Wiederaufnahme muss man leider ein paar Abstriche machen. Natürlich schwelgte die Staatskapelle in Wagners „Klangfarbenpracht“ (Bernd Loebe). Doch die Aufführung litt von Anfang an an einem Handicap: der Sänger der Titelrolle war schon bei seinem ersten Auftritt indisponiert und hielt nur mühsam den ersten Aufzug durch, konnte in den folgenden Akten nur den Tannhäuser mimen, und ein Sänger des Ensemble musste kurzfristig die Gesangsrolle von der Seitenbühne aus übernehmen. Und das machte  er nach zögerndem Beginn recht brillant und rettete so die Aufführung.

Doch für all dies Ungemach entschädigt Konwitschnys Inszenierung, die auch nach all den Jahren keine Spur von Patina angesetzt hat und noch immer fasziniert und in der noch immer berückende Einzelheiten zu entdecken sind.  Erträumt sich Tannhäuser im ersten Akt ein Orpheus Schicksal? Sind die Gespielinnen der Venus, die Tannhäuser Marionetten zerreißen, Mänaden, die auch ihn bald zerreißen werden?  Sind die Wartburgsänger Judenkarikaturen? Wird im Finale des zweiten Aufzugs Goya und sein Zyklus Desasters de la Guerra zitiert und im zweiten Akt vielleicht  die Farbenpracht eines Miró? Sind die Pilger im Finale  Taliban Fanatiker und  Talmudschüler, die Kreuze schwingen? Oder sind die Kreuze, die auch schon die Wartburgsänger mit sich schleppten, nur sinnentleerte Symbole? Ehemalige christliche Symbole, die zu Phallussymbolen geworden sind? Ist alles Religiöse gleich welcher Provenienz doch nur Mummenschanz?  Fragen über Fragen, auf die die Regie keine Antwort gibt. Nur eine Antwort weiß sie: Erlösung wird Dir nimmermehr zuteil. Eine Tannhäuser Deutung gegen den Strich, wie man sie von Konwitschny auch nicht anders erwartet hatte. (Zu den Einzelheiten verweise ich auf meine Bemerkungen, die sich im Blog unter der Rubrik Dresden finden).

Und in Frankfurt? Da bleibt die Regie in der Tradition von Konwitschnys Anti-Erlösungsdiskurs und verschärft und karikiert diesen noch dazu.… → weiterlesen