Tristan und Isolde: ein Sängerfest an der Oper Frankfurt

In einem kleinen Haus, in Lübeck, in einem großen Haus, in Paris, und jetzt in einem mittelgroßen Haus, eben in Frankfurt, waren wir bei Tristan und Isolde. Und jedes Mal hatten wir das Glück, höchst brillante Aufführungen zu erleben. Jede setzte die Akzente anders. War es in Paris die Ausstattung, die „création vidéo“, die Dominanz der Bilder eines Bill Viola, deren Zauber der Zuschauer erlag, war es in Lübeck der überraschende Ort des Geschehens, der Palazzo Vendramin, wo Tristan/Wagner und Isolde/Mathilde Wesendonck sich begegnen und Brangäne/Cosima darüber wacht, dass „das furchtbare Sehnen“, konkret: Wagners Notenblätter nicht verloren gehen, so sind es in Frankfurt die Sänger, allen voran Lance Ryan als Tristan und Jennifer Wilson als Isolde, die die Szene dominieren. Vom Orchesterklang wollen wir nicht sprechen. Das überlassen wir gerne den Musikern und den Musikkritikern. Nur so viel. Ob im kleinen, im großen oder im mittelgroßen Haus: alle Male, ganz nach den Möglichkeiten des jeweiligen Hauses, Tristanklänge auf höchstem Niveau. Eben die berüchtigte Wagnerdroge, die so leicht süchtig macht: schön, rauschhaft, dekadent.… → weiterlesen

Star-Theater nebst Bühnenbildner-Exzess. Ariadne auf Naxos an der Oper Frankfurt

Ist doch schön, wenn ein berühmter Ausstatter, der schon seit vielen Jahren stets schicke Dekorationen und Kostüme kreiert, wieder einmal seine „Kunstfertigkeiten“ ausgiebig zur Schau stellen darf: im „Vorspiel“ ein großbürgerlicher Salon mit Treppen, vielen Türen und weißem Flügel. In der „Oper“ so eine Art illustre Vorhölle, dieses Mal mit überdimensionierten Türen. Und dann die Kostüme: die Prinzessin Ariadne ist eine klassische Amphoren-Schönheit, Zerbinetta und ihre Partner: eine klassische Commedia dell’arte-Truppe, Bacchus (seltsamerweise) ein entlaufener Benediktiner. All dies ist hübsch anzusehen und freut das Publikum. Doch, so fragt sich die Zugereiste, warum dieser Aufwand? Warum spielt man die „Oper“ nicht gleich anschließend an das „Vorspiel“ im Salon und vermeidet damit die lange Umbaupause, die das Stück doch nur auseinander reißt und alle Illusion zerstört? Anderenorts spielt man die Ariadne doch auch ohne Pause.… → weiterlesen

„So bist nun ewig du verdammt“ und endest im Selbstmord oder im Puff der Madame Venus. Zwei Wiederaufnahmen des Tannhäuser an der Semperoper und an der Oper Frankfurt

Gleich zwei Wiederaufnahmen aus der Konwitschny Schule erlebten wir an den letzten beiden Wochenenden. Ich sage bewusst ‚erleben‘, denn große Opernabende waren in der Tat in Dresden und in Frankfurt zu erleben. Die Semperoper zeigte wieder Konwitschnys spektakulären Tannhäuser, der vor nunmehr über sechzehn Jahren Premiere hatte. Und in Frankfurt stand Vera Nemirovas Tannhäuser Inszenierung vom Jahre 2007 wieder auf dem Programm. Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife: gäbe es einen Wettstreit der beiden Inszenierungen, dann gewänne alle Male die Semperoper den ersten Preis. Ginge es um den musikalischen Part, dann gebührte der Frankfurter Wiederaufnahme wohl der erste Preis.

Den Tannhäuser der Semperoper hatte ich vor über fünf Jahren schon einmal gesehen und war damals restlos begeistert: „Ein grandioser Opernabend, an dem es nichts zu bekritteln gibt“ – das hatte ich mir damals notiert. Jetzt bei der Wiederaufnahme muss man leider ein paar Abstriche machen. Natürlich schwelgte die Staatskapelle in Wagners „Klangfarbenpracht“ (Bernd Loebe). Doch die Aufführung litt von Anfang an an einem Handicap: der Sänger der Titelrolle war schon bei seinem ersten Auftritt indisponiert und hielt nur mühsam den ersten Aufzug durch, konnte in den folgenden Akten nur den Tannhäuser mimen, und ein Sänger des Ensemble musste kurzfristig die Gesangsrolle von der Seitenbühne aus übernehmen. Und das machte  er nach zögerndem Beginn recht brillant und rettete so die Aufführung.

Doch für all dies Ungemach entschädigt Konwitschnys Inszenierung, die auch nach all den Jahren keine Spur von Patina angesetzt hat und noch immer fasziniert und in der noch immer berückende Einzelheiten zu entdecken sind.  Erträumt sich Tannhäuser im ersten Akt ein Orpheus Schicksal? Sind die Gespielinnen der Venus, die Tannhäuser Marionetten zerreißen, Mänaden, die auch ihn bald zerreißen werden?  Sind die Wartburgsänger Judenkarikaturen? Wird im Finale des zweiten Aufzugs Goya und sein Zyklus Desasters de la Guerra zitiert und im zweiten Akt vielleicht  die Farbenpracht eines Miró? Sind die Pilger im Finale  Taliban Fanatiker und  Talmudschüler, die Kreuze schwingen? Oder sind die Kreuze, die auch schon die Wartburgsänger mit sich schleppten, nur sinnentleerte Symbole? Ehemalige christliche Symbole, die zu Phallussymbolen geworden sind? Ist alles Religiöse gleich welcher Provenienz doch nur Mummenschanz?  Fragen über Fragen, auf die die Regie keine Antwort gibt. Nur eine Antwort weiß sie: Erlösung wird Dir nimmermehr zuteil. Eine Tannhäuser Deutung gegen den Strich, wie man sie von Konwitschny auch nicht anders erwartet hatte. (Zu den Einzelheiten verweise ich auf meine Bemerkungen, die sich im Blog unter der Rubrik Dresden finden).

Und in Frankfurt? Da bleibt die Regie in der Tradition von Konwitschnys Anti-Erlösungsdiskurs und verschärft und karikiert diesen noch dazu.… → weiterlesen

Hollywood Show für Die Bunte Leserinnen oder mit dem Fahrstuhl in die (Traum) Ägypter-Zeit. Giulio Cesare an der Oper Frankfurt

Die Feuilletonkritik soll nicht sehr freundlich gewesen sein, und überdies ist die Rolle des Cesare statt mit einem Counter mit einem Bariton besetzt. So macht man  denn auf dem Wege von der Kölner Così fan tutte zum Stuttgarter Don Giovanni mit einer gewissen Skepsis in  der Frankfurter Oper  Zwischenstation – und wird angenehm überrascht. Nicht nur, dass alle Rollen mit herausragenden Sängerdarstellern besetzt sind. Auch „der Lagenwechsel vom Altus zum Bariton in der Partie des Cesare […]  – zwar ein starker Eingriff“ – mag er auch dem Komponisten  nicht gefallen,  tut dem Opernvergnügen keinen Abbruch, zumal, so heißt es im Programmheft (S. 56), nichts transponiert worden sei. „Nein! Wir wollen die Chance nutzen und die Spitzentöne eines wunderbaren Baritons zum Einsatz bringen“. In der Tat ist Michael Nagy in der Titelrolle ein brillanter Sänger. Und trotzdem ist mir ein Countertenor oder ein Mezzosopran in  dieser Rolle alle Male lieber. In der Oper suche ich eben nicht „realistische Glaubwürdigkeit“, – ein Motiv, mit dem man in Frankfurt den Lagenwechsel begründet  – , sondern „Kunst“, meinetwegen manierierte Kunst, und die hat bekanntlich nichts mit der „Realität“ zu tun.

Anders als die für die Besetzung Verantwortlichen kümmert die Regie „realistische Glaubwürdigkeit“ und klassische Wahrscheinlichkeit nicht im Geringsten.  Ihre Grundkonzeption heißt Traumwelt und Filmwelt.… → weiterlesen

Großbürgerliche Neurotiker im Buddenbrooks Milieu. Ein Mélisande Krimi an der Oper Frankfurt. Claus Guth inszeniert Pelléas et Mélisande

Bei Claus Guth, das konnten wir schon so viele Male mit Staunen (und ganz selten mit Ärger) zur Kenntnis nehmen, da ist alles anders. Da werden die alten Geschichten neu erzählt, da werden verborgene Sinnschichten der Handlung  aufgedeckt, da werden Verweisungen aufgezeigt, die das Geschehen auf der Bühne in unerwartete Zusammenhänge stellen. Und dies  geschieht  jetzt auch wieder bei Pelléas und Mélisande. In Frankfurt präsentiert die Regie kein klassisches symbolistisches Theater, wie wir es zuletzt in Robert Wilsons Inszenierung der Oper  gesehen haben, kein antirealistisches Theater, das die Figuren gleichsam zu Marionetten macht, die willenlos einer unbestimmten „Fatalité“ ausgeliefert sind, wie es Maeterlincks Libretto will. In Frankfurt  verwandelt die Regie Maeterlicks Antimärchen oder, wenn man so will, dessen  Antimysterienstück in ein bürgerliches Trauerspiel mit einem Personal, das auf Figuren aus den Buddenbrooks verweist.… → weiterlesen

Ach, Du wunderseliger Hollywood Kitsch. Du rührst noch immer Dein Publikum. Samuel Barber, Vanessa an der Oper Frankfurt

Zum Auftakt der neuen Spielzeit wagt man sich In Frankfurt an eine „Frankfurter Erstaufführung“, an eine amerikanische Oper vom Jahre 1958 auf ein Libretto von Gian Carlo Menotti. Um das Risiko nicht allzu groß werden zu lassen (und  wohl auch um die Produktionskosten gering zu halten), übernehmen die Frankfurter eine Inszenierung der Malmö Opera aus dem Jahre 2009.  Ich weiß nicht so recht, ob der Aufwand sich gelohnt hat. Mir kamen Musik und Textbuch ziemlich seicht vor: eben wie ein gut gemachtes Hollywood Mélodrame mit der entsprechenden Filmmusik. Eine Musik, die kaum Anforderungen an den Zuhörer stellt, die  weder avantgardistisch noch altbacken ist, die ein bisschen Puccini und Massenet und sicher noch manch andere berühmte Vorgänger variierend zitiert. Letztlich eine Musik, die, soweit ich das als interessierter Laie beurteilen kann,  sich im Rahmen des Konventionellen und Gefälligen bewegt: eben Filmmusik im besten Sinne des Wortes. Und das Libretto? „Vanessa ist ein Stück über die Unmöglichkeit der Liebe aufgrund von Sprachlosigkeit und Verdrängung“ – so verkündet (ein bisschen pathetisch) Katharina Thoma, die für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, im Programmheft.… → weiterlesen