Beziehungskiste nebst Krimi. Alcina als Soap-Opera im Theater an der Wien

Jetzt haben wir in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Inszenierung erlebt, bei der die Regie mit Händels Alcina wenig anzufangen weiß, allen Zauber zerstört und aus einer Opera seria eine Soap-opera macht.

Halten wir der Wiener Aufführung zu Gute, dass es hier nicht ganz so schlimm zugeht wie bei den Karlsruher Händel Festspielen. Dort hatte Captain Roger von der Army sich in der Luxusvilla seiner schwangeren Mätresse eine Auszeit genommen. Doch kaum hat er von seinem alten Ausbilder eine Standpauke abbekommen, da besinnt er sich auf seine militärischen Pflichten und macht zum Abschied Kleinholz aus dem Haus der Mätresse.

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Die melancholische Witwe. Claus Guth inszeniert an der Oper Frankfurt Die lustige Witwe

Über dreihunderttausend (sic!) Mal , so erfährt man im Magazin der Oper, sei seit ihrer Uraufführung im Jahre 1905 Die Lustige Witwe in aller Welt schon aufgeführt worden – „ein Welterfolg“. Aus Omas Wunschkonzert kennen wir alle die Ohrwürmer: das Vilja-Lied, den Walzer „Lippen schweigen“ und so manch anderen Hit, den Johannes Heesters angeblich noch im Alter von einhundert Jahren auf der Bühne sang. Jedes Programheft, das auf  sich hält, zitiert Beispiele aus der Rezeptionsgeschichte: banale („Der Walzer ‚Lippen schweigen‘ verkörpert alle Wünsche der weiblichen Psyche“) und (pseudo) gelehrte. Unter letzeren dürfen Carl Kraus und Adorno nie fehlen. Sie alle mögen ja den Sachverhalt getroffen haben, besser gesagt: einen Teil davon. Ich gebe  gerne zu, dass ich gegenüber Libretto und Musik meine Vorurteile habe: diese Mischung aus Balkanfolklore, Pariser Fin du Siècle, Lebewelt und Demi- Monde, Beziehungskiste und gehörnten Ehemännern, versoffenen Kleinstaat- Diplomaten und der Macht des Geldes als letztlich alles bestimmender Textgenerator. Auch mit der Musik, mag sie  wie jetzt in Frankfurt auch   noch so temperamentvoll und eingängig präsentiert werden, kann ich nicht so recht etwas anfangen.

Und warum bin ich überhaupt hingegangen? Wenn Marlis Petersen singt und spielt und wenn noch dazu Claus Guth inszeniert, dann kann man immer einen „großartigen Abend“ erwarten. Und das war auch in Frankfurt der Fall. Wie Marlis Petersen die melancholische Witwe singt und gestaltet, die nicht mehr ganz junge Frau, die ihren Jugendfreund, ihre erste Liebe, zurückgewinnen will, das ist schon ein Ereignis (Ich muss allerdings gestehen, dass sie mir als große Tragödin, als Violetta oder Maria Stuarda, noch besser gefällt).

Und wie Claus Guth die Klischees des Librettos neu montiert, wie er ein simples Libretto mit Parallelgeschichten ergänzt und überhöht, auch dies ist ein Ereignis. Die Inszenierung versteht sich als ‚work in progress‘ und als ‚Theater auf dem Theater‘. Wir befinden uns in den Kulissen und Künstlergarderoben eines Filmstudios, wo Die lustige Witwe gedreht wird, wo ein genervter Regisseur immer wieder in das Geschehen eingreift und seine Leute zusammensucht, wo Kameramann und Scriptgirl auf der Szene sind, wo die Diva ständig mit ihrem Partner streitet – Hanna und Danilo, die sich noch aus ihrer Zeit in den balkanischen Wäldern kennen und noch manche Rechnung miteinander offen haben. Die private Geschichte der beiden Sängerschauspieler überlagert sich zum Ärger des Regisseurs mit dem Geschehen auf der Bühne. Und nicht nur dort. In den Künstlergarderoben geht das Streiten der beiden weiter. Ein Streiten, das sich im Finale im happy end auflöst – oder auch nicht. Das Schlussbild zeigt eine melancholische Diva, die einsam vor dem Spiegel in ihrer Garderobe sitzt.

Keine Frage, dass dies alles unterhaltsam und sophisticated gemacht ist und dass überdies auch die Erwartungen eines Operettenpublikums, das Tänze und Feste Revueeinlagen und Balkanromantik sehen will, erfüllt werden. Theatermacher Guth zerstört nicht das Operettenlibretto. Er macht die eher verborgenen  Schichten des Libretto sichtbar: die unerfüllten und unerfüllbaren Sehnsüchte und die mit diesen verbundene Melancholie, Nuancen, die ein oberflächliches Operetten Trallala verschüttet.

Wir besuchten die Aufführung am 3. Juni 2018, die fünfte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 13. Mai 2018.

 

 

 

Zickenkrieg im Globe Theatre – und nicht nur dort. Und alle spielen mit. Maria Stuarda am Theater an der Wien mit einer grandiosen Marlis Petersen in der Titelrolle

Orchestergraben Theater an der Wien, Wien

Donizettis Maria Stuarda – so belehrt uns das Programmheft  – war nach politischen Querelen in Neapel und der missglückten Uraufführung im Jahre 1835 aus dem Repertoire verschwunden. Erst mehr als ein Jahrhundert später wurde die Oper gleichsam wiederentdeckt und gilt heute als eines der großen Werke Donizettis: eine tragedia lirica und ein Juwel des Belcanto.

Belcanto in Vollendung war es in der Tat, was im Theater an der Wien zu hören war. Zwei Sopranistinnen, die im ersten Akt gleichsam um die Wette singen, ein Wettstreit, bei dem im zweiten Akt die Protagonistin so große Szenen hat, dass sie die Rivalin zur Nebenfigur degradiert. Ein Tenor, der im  Wortverstande zwischen den beiden Damen steht. Ein Bass, der im zweiten Akt seinen großen Auftritt hat.

Wie Maria Stuarda in der Person der Marlies Petersen im zweiten Akt die großen Arien singt, wie sie die Beichtszene  mit Talbot in der Person des Stefan Cerny gestaltet, den Abschied von Roberto (Norman Reinhardt), die Verzweiflung und die überwundene Angst angesichts des gewaltsamen Todes, das ist grandios und zugleich anrührend. Hier war eine höchst brillante Sängerin und eine exzellente Tragödin zu bewundern.

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