Kein Ariadnefaden im Neuenfels Labyrinth. Ariadne auf Naxos an der Staatsoper im Schiller Theater

Das Feuilleton ist begeistert und überschüttet Produktionsteam und Gesangstars nur so mit Lobenshymnen. Die eingeschüchterte Besucherin, will sie nicht als mieser kleiner Beckmesser erscheinen, wagt es kaum, ein paar kritische Anmerkungen anzubringen. Wagen wir es trotzdem und riskieren es, brutta figura zu machen.

Kein Makel haftet dem Musik-Part an – da sind wir mit den Feuilletonisten einig. Schöner und ergreifender als Camilla Nylund die Ariadne und  Marina Prudenskaya den Komponisten gestaltet und brillanter als Brenda Rae als Zerbinetta singt und agiert geht es wohl nicht. Und  Roberto Saccà, den wir als Bacchus zuletzt in Zürich und Düsseldorf gehört und gesehen haben, ist  zur Zeit in den Musiktheatern  der Bacchus vom Dienst und in dieser Rolle wohl nicht zu übertreffen. Dass Maestro Metzmacher auf einen sanften Strauss setzt, jede Orchesterstimme hervortreten lässt, gerade das Kammermusikalische der Partitur betont, das überrascht nicht. Es fasziniert. So wird denn im Schillertheater Orchesterklang und Gesang der Spitzenklasse geboten – eben so wie man es von einem renommierten Haus erwartet.

Und die Inszenierung? Da bin ich mit den hymnisch gestimmten Feuilletonisten  nicht einig. Was will die Regie eigentlich? Was ist ihre Grundkonzeption? Wir wollen dem großen Theatermacher gegenüber nicht unfreundlich sein. Doch was da auf der Bühne geboten wird, das ist  bei all seiner Theaterwirksamkeit recht inkohärent. Beabsichtigte Inkohärenz? Will die Regie uns einen altösterreichischen Zitatensalat anrichten?  Im Vorspiel vielleicht auf die berüchtigten Heimatfilme verweisen, wenn sie von Kostüm und Maske her den Haushofmeister in eine Art Hans Moser- und Zerbinetta in eine Art Johanna Matz Verschnitt ‚verwandelt‘?  Wird das Ganze dann mit Motiven aus der Militärklamotte der K. u. k. Zeit  aufgemischt, auf dass wohlfeil an die Entstehungszeit und die Uraufführung der Oper mitten im ersten Weltkrieg erinnert werden kann? Der zackige, leicht verblödete Offizier, die Zerbinetta-Truppe in Drillichanzügen, die wohl gerade Fronturlaub hat, weisen sie in diese Richtung?

Nach einer langen Pause, die , ob gewollt, ob ungewollt, den Zusammenhang zwischen Vorspiel und opera seria zerstört, sind wir  im zweiten Teil wohl in einer Art Spital, das mit Trümmern aus der Antikensammlung übersät ist. Ja, wir wissen schon, die scheinbar so heile Welt der Herren Strauss und Hofmannstal liegt in Trümmern. Zerstört ist auch die Psyche der schwer depressiven „hochmächtigen Prinzessin“, um die sich gleich drei Rotekreuz-Schwestern bemühen. Ein gut aussehender Herr mittleren Alters  spielt für die depressive Dame  sogar einen antiken Gott  und setzt sich zu diesem Zwecke schon mal nach Dionysos Manier eine Leoparden Maske auf. „Es ist alles vergebens“. So wenig wie der Sänger im Drillichanzug kann auch der Herr (ein wohl eigens engagierter Schauspieler) der Dame helfen. So verdrückt er sich dann einfach in den Orchestergraben, und die Dame erdolcht sich mit dem Mordinstrument, das in der Hermesstatue steckt, die ihr eine heidnisch-katholische Priesterschar in einer Prozession herbeigeschafft hat: die Paganen in Masken, die vielleicht auf das Gefolge des Dionysos verweisen sollen, die Katholiken in Todesmasken unter einem Baldachin, der wohl an die Fronleichnamsprozession erinnern soll. Dann geistert noch so eine Art Puppenspieler durch die Szene, der mit zwei griechischen Masken, Schauspielermasken, spielt und der, so entnehmen wir es dem Schriftzug auf seinem Hemd, das Schicksal darstellen soll.

Unser so berühmter Theatermacher hat wieder einmal in seine Zauberkiste gegriffen und  uns auf der Basis von Hofmannsthal Materialien ein neues  Stück eingerichtet. Zweifellos ein unterhaltsames Stück, das in vielerlei Richtungen verweist: ein bisschen Mythos, ein bisschen griechisches Theater, ein bisschen Kino, ein bisschen Religionskritik, ein bisschen Gesellschaftskritik, ein bisschen Metatheater, ein bisschen… Von allem ein bisschen und für alle ein bisschen. ‚Postmodern‘ nannte man so ein Verfahren im vergangenen Jahrhundert. In der nächsten Spielzeit gehe ich wieder zur Ariadne – in Düsseldorf.

Wir sahen die Aufführung am 20. Juni 2015, die dritte Vorstellung nach der Premiere am 14. Juni 2015.

 

 

Theater auf dem Theater und zugleich Parodie des Metatheaters. Eine grandiose Ariadne auf Naxos an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf

Man kann die Ariadne in einem Zürcher Kult-Restaurant, in der Kronenhalle, spielen lassen und aus der Protagonistin eine dem Rotwein zugetane Dame aus der besseren Zürcher Gesellschaft machen. Man kann aus der Ariadne eine veristische Oper, die sich im Finale zur Traumvision weitet, machen und  die ‚Heldin‘ des Mythos in  eine  ältliche Touristin aus nördlichen Breiten verwandeln, die auf einer verlassenen Baustelle irgendwo am Mittelmeer vergessen wurde und der im finalen Fiebertraum ein Todesbote erscheint. Man kann das Stück in einem Jugendstil Palais mit Zugang zum Meer oder auch in der Vorhölle spielen lassen und im Finale eine Maskenball Party mit einer Kaiser Franz-Joseph Karikatur und einem Soldatengerippe aus dem ersten Weltkrieg  einschieben. Man kann gleichsam als Metatheater hoch drei Hofmannsthal in persona auftreten lassen, der einer depressiven Freundin aus dem Bürger als Edelmann vorliest. Und während er liest, o Wunder des Theaters,  werden in der Phantasie der Dame die Figuren der Komödie lebendig und sie selber und der befreundete Literat spielen mit, werden selber zu Figuren des Theaters. Der Mythos, ja wir wissen schon, lebt in seinen Varianten. Und die Möglichkeiten der Inszenierung scheinen unbegrenzt.

Man kann wie  jetzt in Düsseldorf sich auch auf die einfachsten Möglichkeiten des Theaters besinnen und, ohne großen Aufwand zu treiben, mit wenigen Mitteln Theater auf dem Theater und im Theater in Szene setzen, Illusionen und Desillusionen ‚gleichzeitig‘ erzeugen und damit vielleicht den Intentionen von Librettist und Komponist weit näher kommen als so manche opulent aufgemachte Inszenierung.… → weiterlesen

Kein lieto fine für Ariane auf der Baustelle in Naxos. Eine veristische Ariadne auf Naxos an der Opéra Bastille

Eine seltsam verfremdete, aktualisierte Variante des Ariadne Mythos ist in der Bastille zu sehen. Eine Inszenierung, die „Vorspiel“ und „Nachspiel“ radikal trennt und aus der Strauss und Hofmannsthal Oper zwei Stücke macht, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben.  Mit dem „Vorspiel“ macht man sich nicht sonderlich viel Mühe: konventionelles Theater auf dem Theater, bei dem die Regie  weder Witz noch Einfälle verschwendet. Wir sind im  Palais eines reichen Herrn zur Winterzeit. Die Komödianten fahren vor und veranstalten vor der Tür wohl zum Aufwärmen eine Schneeballschlacht. Das war auch schon der einzige Gag. Zumindest ist mir sonst nichts Besonderes in Erinnerung geblieben. Es sei denn, man hält den Hinweis auf das Bajuwarische – das Personal trägt bayerische Lederhosen – für besonders gelungen.
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Star-Theater nebst Bühnenbildner-Exzess. Ariadne auf Naxos an der Oper Frankfurt

Ist doch schön, wenn ein berühmter Ausstatter, der schon seit vielen Jahren stets schicke Dekorationen und Kostüme kreiert, wieder einmal seine „Kunstfertigkeiten“ ausgiebig zur Schau stellen darf: im „Vorspiel“ ein großbürgerlicher Salon mit Treppen, vielen Türen und weißem Flügel. In der „Oper“ so eine Art illustre Vorhölle, dieses Mal mit überdimensionierten Türen. Und dann die Kostüme: die Prinzessin Ariadne ist eine klassische Amphoren-Schönheit, Zerbinetta und ihre Partner: eine klassische Commedia dell’arte-Truppe, Bacchus (seltsamerweise) ein entlaufener Benediktiner. All dies ist hübsch anzusehen und freut das Publikum. Doch, so fragt sich die Zugereiste, warum dieser Aufwand? Warum spielt man die „Oper“ nicht gleich anschließend an das „Vorspiel“ im Salon und vermeidet damit die lange Umbaupause, die das Stück doch nur auseinander reißt und alle Illusion zerstört? Anderenorts spielt man die Ariadne doch auch ohne Pause.… → weiterlesen

Ein Sängerinnenfest im Jugendstil Palais mit Zugang zum Meer: Ariadne auf Naxos an der Oper Köln

Für Strauss braucht’s herausragende Frauenstimmen – eine Banalität, die ich schon viele Male gelesen habe und die zweifelsohne den Sachverhalt trifft.  In der Kölner Oper  waren diese brillanten Frauenstimmen, die Ariadne verlangt, zu hören:  Regina Richter als Komponist, Daniela Fally in der Rolle der Zerbinetta und wohl allen voran Barbara Haveman als Ariadne. Hat man solche in Gesang und Spiel und Bühnenerscheinung gleichermaßen beindruckende Sängerinnen auf der Bühne, ja dann kann schon gar nichts mehr schief gehen und wenn dann noch ein (nicht nur ) als Wagner und Strauss Dirigent hoch geschätzter Maestro wie  Markus Stenz am Pult  steht, dann sind alle Voraussetzungen für einen großen Strauss Abend gegeben. Und der war in der Tat in der Kölner Oper  zu hören und zu sehen.… → weiterlesen

Eros, Thanatos, Rabatz in der Kronenhalle. Eine Wiederaufnahme von Ariadne auf Naxos in der Oper Zürich

Die Ariadne hatte ich in Zürich schon vor gut 3 Jahre gesehen. Und noch immer begeistert sie. Was ich mir vor 3 Jahren notiert hatte, das gilt auch noch heute. Und so zitiere ich mich der Einfachheit halber selber.

Ariadne wird von Theseus verlassen und von Dionysos erlöst und gelöst. Diese klassische Variante des Mythos steht, wie man zu Genüge weiß, am Anfang der Geschichte der Gattung Oper – und ist entsprechend abgespielt. Was liegt näher, als den Mythos auf seinen Kern zu reduzieren und eine moderne, für die Zuschauer zeitgenössische Variante zu versuchen. Regisseur Guth verlegt die Handlung der „Oper“ in einen für die Zürcher quasi mythischen Ort, in die Brasserie Kronenhalle, seit der Belle Époque Treffpunkt der Künstler und der Insider. Ein schöner Einfall, der vom Zürcher Publikum entsprechend bejubelt wird und der von den etwas irritierten Zugereisten, sehen sie doch auf der Bühne ein eher wartesaalähnliches Lokal, nur mit Hilfe des Programmhefts verstanden wird. Hat man sich einmal für eine  Brasserie als Ort der Handlung entschieden, dann ist es nur konsequent, dass aus der Prinzessin Ariadne eine von ihrem Geliebten verlassene Dame mittleren Alters wird, die sich ihren Depressionen und ihrer Verzweiflung hingibt und  mit einer Flasche Rotwein  vor sich trübsinnig an einem Ecktisch hockt. Konsequent ist dann auch, dass das mythische Personal der „wüsten Insel“, Najade, Dryade, Echo, zu Kellnerinnen  mutieren und die Komödiantentruppe der Zerbinetta mal die Kellner, mal die Party-Boys, mal die Rocker mimt, und Zerbinetta selber mal die Oberkellnerin, mal ein Gast des Lokals ist. Bacchus singt zwar davon, dass er ein Gott sei, spielt aber einen späten Gast, der gerade einer femme fatale namens Circe entflohen ist und der es jetzt in der Kronenhalle mit einer angetrunkenen lebensüberdrüssigen Depressiven zu tun bekommt, die noch dazu – eine schöne Gelegenheit für die Regie, einmal kurz die Pietà nachzustellen –  in seinen Armen stirbt, wobei allerdings nicht ganz klar wird, ob sie an einer Überdosis Tabletten, die sie kurz vorher geschluckt hat oder an einem exzessiven Orgasmus dahinscheidet. Aktualisierung und Banalisierung des Mythos, ein Konzept, das schon so viele Male umgesetzt worden ist. Doch ganz anders als man es aus München von David Alden kennt, präsentiert  Claus Guth in Zürich  seine Degradierung eines Mythos ernsthaft, ohne eine Spur von Ironie oder Parodie, ja sogar mit romantischen Zutaten. Der „Komponist“ aus dem Vorspiel, der naiv-romantische Künstler, der sich umgebracht hatte, kehrt ganz in romantischer Weise als „schnöder Revenant“ wieder, geistert durch die Szene und ist – die identischen Kostüme legen dies nahe – eine Art Doppelgänger des Bacchus. Die Musik bringt den Tod und die Befreiung, löst von der Depression, ist gleichbedeutend mit Erlösung? Die Musik ist ein befreiender Gott wie Dionysos? Eine Prise Wagner bei Strauss und Hofmannsthal? Ja, warum nicht. Seltsam mutet  auch bei der Behandlung der gattungsbedingt „komischen“ Buffa-Figuren der Verzicht auf alle Komik an. Zwar tollen die Commedia dell’arte Gestalten aus Zerbinettas Truppe ein bisschen herum. Doch wirken sie eher wie junge Leute aus gutem Zürcher Haus, die zwei Gläser zu viel getrunken haben und jetzt ein bisschen Rabatz machen wollen. Auch die Figur der Zerbinetta wird durchweg ernsthaft dargestellt. Eigentlich im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis. Guths  Grundidee der ernsthaften Aktualisierung und modernen Lokalisierung des Ariadne-Mythos trägt zweifellos die Aufführung. Die Überlagerung von opera seria und opera buffa, die Vermischung der Gattungen und die Parodie beider, die doch eigentlich die Grundstruktur  von Libretto und Musik ausmachen, all dies geht eher verloren. Nur im „Vorspiel“ werden die Buffa Materialien ausgespielt – in einer imponierenden Personenregie, die ganz ohne Requisiten auskommt  und  die allein im Spiel der Personen und mit ganz einfachen commedia dell’arte Gags die Handlung in Szene setzt. Doch werden Regie und Ausstattung, so einfallsreich sie auch sind, angesichts von Musik und Gesang auf höchstem Niveau letztlich zweitrangig. Ob Echo eine Kellnerin mimt, Zerbinetta einen Gast in der Brasserie oder Ariadne eine angetrunkene Depressive oder Bacchus einen späten Gast, all dies wird letztlich belanglos.  Ariadne,  Zerbinetta,  Bacchus und viele andere singen so berückend schön, agieren mit einer solchen Spielfreude, dass die Inszenierung zur quantité negligeable wird.  “Musik ist heilige Kunst…“.

Nachtrag: Für die Ariadne  präsentiert Zürich ein Sängerensemble wie es kaum besser sein kann. Und auch die Inszenierung gewinnt beim Wiederanschauen: die sublime Ironie oder auch die Metatheater Hinweise, die man beim ersten  Schauen übersehen hatte, werden jetzt deutlich. Da wird dem verzweifelten Komponisten aus der Kulisse die Pistole gereicht, da sieht man von Zerbinettas Truppe beim ersten Mal nur Totenkopfmasken, da werden die drei Kellnerinnen beim Erscheinen des Bacchus zu Wagners Rheintöchtern oder auch zur Loreley, die ihr langes blondes Haar kämmt, da wird mit den Schlusstakten das Opernpathos mit einem Metatheater Gag gebrochen und daran erinnert, dass von der Fiktion her Theater auf dem Theater gespielt wird, die Oper Ariadne gerade eben „im Hause eines großen Herrn“ uraufgeführt worden ist. Und da ist es nur konsequent, dass der „Haushofmeister“, in Zürich der Intendant des Hauses, der Primadonna zu ihrem Erfolg gratuliert. Alles war nur Spiel, alles ist nur Theater. Ich glaube, ich fahre noch einmal hin.Wir sahen die Aufführung am 9. Februar 2010. Die Premiere war, wenn ich mich recht erinnere, Ende 2006.