Im Pariser Opernmuseum: Hippolyte et Aricie im Palais Garnier. L’Amour des Trois Oranges und Arabella in der Opéra Bastille

Es muss ja nicht immer gleich der Louvre oder das Musée d’Orsay oder das Musée Maillol sein. In Paris kann auch die Oper zum Museum werden, sprich: sind Inszenierungen zu sehen, die als Bildergalerien aus alten Zeiten angelegt und  als Zitate aus der Theatergeschichte und der Inszenierungsgeschichte konzipiert sind. Die Oper als Museum der Oper. Eine solche Konzeption kann wie bei Hippolyte et Aricie zu einer höchst artifiziellen Rekonstruktion einer Rameau Aufführung  im 18. Jahrhundert führen, kann wie bei der Liebe zu den drei Orangen zu einer ironischen Brechung und gezielten Übersteigerung des antirealistischen Märchen- und Metatheaters eines Prokofiev führen oder wie bei der Arabella in einem müden Abklatsch von Repertoire Inszenierungen deutscher Staats- und Stadttheater enden.… → weiterlesen

Arabella unter Zuhältern im Parkhaus. Eine erbärmliche Strauss Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin

Unsere Theatermacher von der Bismarckstrasse – so erfährt man im Programmheft – haben in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass die einstige Autostadt Detroit immer mehr herunterkommt, immer mehr verarmt und dass sogar ein ehemals hoch eleganter Filmpalast so verfallen sei, dass er nunmehr als Parkhaus genützt werde. Das, so mögen unsere Theatermacher gedacht haben, kriegen wir demnächst in Berlin auch. Und da wir Künstler per definitionem natürlich unserer Zeit voraus sind, spielen wir den Leuten ihre Zukunft auf der Bühne schon mal vor – mit einem Stück aus der Vergangenheit, mit einer „lyrischen Komödie“ von Hofmannsthal. Und statt in einem billigen Hotel im Wien des  späten 19. Jahrhunderts lassen wir die Komödie (warum sagen wir nicht gleich: die Operette) von der verarmten kühlen Schönen und ihrem Märchenprinz, von dem androgynen Mädchen und dem verzweifelten Liebhaber in einem vom Abriss bedrohten Parkhaus spielen, das früher wohl mal – so signalisieren wir es mit ein paar Stuckrequisiten – ein Kino war. Ja, warum nicht. Wenn man das Thema „Verfall“, um das es unter anderem auch in der Arabella gehen soll, einfältig nimmt, dann geht’s halt auch so. Aber, so sinniert die frustrierte Opernbesucherin, eigentlich müssten doch unsere Theater- und Musikmacher wissen, dass im ästhetischen Bereich Verfall (vulgo: Dekadenz) nicht mit Abrissbirne gleich zu setzen ist, dass  Dekadenz vielmehr ein positiv besetzter Begriff, ein Sonderfall manieristischer Kunst ist, für höchste Verfeinerung, für morbide Schönheit und wenn man es denn gerne etwas konkreter haben möchte, auch für den „Verfall einer Familie“ steht. Ja, wenn man dies alles nicht wissen will, wenn man die sanfte Ironie, mit der Hofmannsthal die Dekadenzmode zitiert, wenn man die ironisch gebrochenen Selbstzitate des späten Strauss nicht hören will, ja dann landet man konsequenterweise bei der Abrissbirne, bei den Machos, die so eine Mischung aus Gebrauchtwagenhändlern, Zuhältern und Mantafahrern geben, bei einem Mandryka, der als neureicher Prolet daher kommt, bei einer Arabella, die in ihrem Pelzmantel die Edelnutte mimen muss. So haben wir denn in Berlin eine Inszenierung gegen den Strich, eine Inszenierung gegen die Musik und gegen die Literatur gesehen. „Die schöne Musik! […] Da muß ma weinen“ (Hofmannsthal). Wir sahen die Vorstellung am 12. Juni 2010, die „11. Aufführung seit der Premiere am 12. Februar 2006“.

Ein halbseidenes dröges Kammerspiel. Christof Loy inszeniert Arabella an der Frankfurter Oper

Bei Helmut Krausser in einem seiner Tagebücher heißt es einmal, der späte Strauss der Arabella sei nur noch ein Schatten, ein Abklatsch seiner selbst, habe kaum noch etwas von der Genialität, die den Strauss der Elektra, des Rosenkavaliers, der Ariadne auszeichne. Und wenn man Gelegenheit hat, nach der Frankfurter Arabella am nächsten Abend die Münchner Ariadne zu erleben, dann erscheinen einem die Bemerkungen Kraussers gar nicht so abwegig – und doch zugleich ungerecht. Die Ariadne mit ihrer Überlagerung von Opera Buffa, Metatheater und altehrwürdiger Opera Seria hat mit der kitschigen Operettenseligkeit der Arabella so gar nichts gemein. Nicht von ungefähr spricht Strauss in einem Brief an Stefan Zweig von „Kitsch“ im Zusammenhang mit der Arabella. Wie dem auch sei. Die „lyrische Komödie“ (warum sagen wir nicht einfach die Wiener Operette) um die verarmte Schöne aus der Wiener Stadt und den reichen ungehobelten Prinzen aus den slawonischen Wäldern, um das androgyne Mädchen und den verzweifelten Liebhaber und um den spielsüchtigen heruntergekommenen Papa, die sieht und hört man immer gern, zumal wenn wie in Frankfurt eine so überragende Sängerschauspielerin wie die Nylund als Arabella auf der Bühne steht. Die Inszenierung hingegen, von der man sich so viel erhofft hatte, enttäuscht – zumindest in den ersten beiden Akten. Zäh und dröge und konzeptionslos – es sei denn man sieht Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit und das Warten auf den Märchenprinzen als eine Konzeption an – zieht sie sich dahin, und man ertappt sich bei dem Gedanken, ob man doch nicht lieber zur Internationalen Automobilausstellung hätte gehen sollen, wenn man schon Messepreise im Hotel zahlt. Aber die Frankfurter Arabella – welch eine elegant-schöne Bühnenerscheinung – singt halt so hinreißend. Da können die Automänner von der IAA mit ihren noch so schicken Spielzeugen einfach nicht mithalten. Nach der zweiten Pause da ist plötzlich alles anders. Da entschädigt eine brillante Personenregie, die keine Requisiten und kein Bühnenbild mehr braucht – man agiert einfach vor einer hellen weißen Wand – für all die Dürftigkeit und Einfallslosigkeit, die die ersten beiden Akte bestimmten: die scheinbare Verabredung zu einer wilden Nacht mit der spröden Arabella beobachtet der eifersüchtige Mandryka  vor der Toilettentür. Zum berühmten Duett lehnen sich die beiden Schwestern an die Heizung in ihrem Absteigehotel (wir sind halt so arm und frieren tun wir auch, und von der Rampe singen wir doch sonst so gern). Vielleicht ist die Inszenierung  auch als Gegenstück zur Musik gedacht. So wenig wie einem sonst so genialischen Komponisten wie Strauss ständig Neues einfallen kann, so wenig kann auch ein Regiestar immer und ewig brillant sein. Aber wie die Musik der Arabella so hat auch ihre Frankfurter Inszenierung – manchmal –  große Szenen. Und am Ende war ich doch froh, dass ich nicht zur IAA gegangen bin und bei Strauss und Loy geblieben bin. Wir sahen  am 18. September die 10. Vorstellung der Produktion. Die Premiere  – eine Übernahme aus Göteborg – war am  25. Januar 2009.Vielleicht noch ein Hinweis: wer einen großen Straussabend erleben möchte, der sollte die Münchner Ariadne sehen und hören. Eine Inszenierung von Robert Carsen, die vor einem Jahr bei den Münchner Opernfestspielen im Prinzregententheater Premiere hatte, zwischenzeitlich von der Deutschen Oper in Berlin übernommen wurde und jetzt im Nationaltheater in München wieder gezeigt wird. In meinem Operntagebuch finden sich ein paar Bemerkungen zu dieser Inszenierung