Arabella unter Zuhältern im Parkhaus. Eine erbärmliche Strauss Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin

Unsere Theatermacher von der Bismarckstrasse – so erfährt man im Programmheft – haben in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass die einstige Autostadt Detroit immer mehr herunterkommt, immer mehr verarmt und dass sogar ein ehemals hoch eleganter Filmpalast so verfallen sei, dass er nunmehr als Parkhaus genützt werde. Das, so mögen unsere Theatermacher gedacht haben, kriegen wir demnächst in Berlin auch. Und da wir Künstler per definitionem natürlich unserer Zeit voraus sind, spielen wir den Leuten ihre Zukunft auf der Bühne schon mal vor – mit einem Stück aus der Vergangenheit, mit einer „lyrischen Komödie“ von Hofmannsthal. Und statt in einem billigen Hotel im Wien des  späten 19. Jahrhunderts lassen wir die Komödie (warum sagen wir nicht gleich: die Operette) von der verarmten kühlen Schönen und ihrem Märchenprinz, von dem androgynen Mädchen und dem verzweifelten Liebhaber in einem vom Abriss bedrohten Parkhaus spielen, das früher wohl mal – so signalisieren wir es mit ein paar Stuckrequisiten – ein Kino war. Ja, warum nicht. Wenn man das Thema „Verfall“, um das es unter anderem auch in der Arabella gehen soll, einfältig nimmt, dann geht’s halt auch so. Aber, so sinniert die frustrierte Opernbesucherin, eigentlich müssten doch unsere Theater- und Musikmacher wissen, dass im ästhetischen Bereich Verfall (vulgo: Dekadenz) nicht mit Abrissbirne gleich zu setzen ist, dass  Dekadenz vielmehr ein positiv besetzter Begriff, ein Sonderfall manieristischer Kunst ist, für höchste Verfeinerung, für morbide Schönheit und wenn man es denn gerne etwas konkreter haben möchte, auch für den „Verfall einer Familie“ steht. Ja, wenn man dies alles nicht wissen will, wenn man die sanfte Ironie, mit der Hofmannsthal die Dekadenzmode zitiert, wenn man die ironisch gebrochenen Selbstzitate des späten Strauss nicht hören will, ja dann landet man konsequenterweise bei der Abrissbirne, bei den Machos, die so eine Mischung aus Gebrauchtwagenhändlern, Zuhältern und Mantafahrern geben, bei einem Mandryka, der als neureicher Prolet daher kommt, bei einer Arabella, die in ihrem Pelzmantel die Edelnutte mimen muss. So haben wir denn in Berlin eine Inszenierung gegen den Strich, eine Inszenierung gegen die Musik und gegen die Literatur gesehen. „Die schöne Musik! […] Da muß ma weinen“ (Hofmannsthal). Wir sahen die Vorstellung am 12. Juni 2010, die „11. Aufführung seit der Premiere am 12. Februar 2006“.