Beziehungskisten einst und jetzt oder von Apollo zu Gott-schalk ist es nur eine Pause. Glucks Alkestis (Alceste) im Opernhaus Leipzig

Ich bin nach Leipzig gefahren, um Konwitschnys Version des Alkestis Mythos zu sehen. Hohe Erwartungen. Die Enttäuschung war entsprechend. Ein sehr schwach besetztes Haus. Solisten und Orchester, um es ganz vorsichtig zu sagen, nicht in Höchstform. Auf der Bühne  eine Melange aus der Wiener und der Pariser Fassung, die mit „neuen deutschen Textstellen“ angereichert wird. Das ganze nennt sich die „Leipziger Fassung“. Ja, warum soll eine tüchtige Dramaturgie nicht einmal etwas Neues ausprobieren, frei nach dem bekannten Wagner Motto: „Kinder schafft Neues“. Und Neues wollte wohl auch unser berühmter Theatermacher bieten. Sagen wir es gleich und ohne alle Umschweife: die Leipziger Alkestis zählt nicht zu den Glanzleistungen des Meisters, auch wenn er uns  gleich zwei Varianten des Mythos vorstellt: Alkestis als antike Tragödie, in der der Mensch hilflos der Macht der Götter ausgeliefert ist, im ersten und zweiten Akt. Alkestis als Unterschichten TV Show, in der der Mensch hilflos der Macht der Unterhaltungsindustrie ausgeliefert ist, im dritten Akt.  Beide Varianten kommen im Gewande der Parodie daher. Im scheinbar ernsthaften ersten Teil sind es die trotz all dem Gluckschen Reformeifer noch immer vorherrschenden hohlen Gesten und das Pathos der opera  seria, die, wenn auch vorsichtig und verhalten, ins Unernste gezogen werden. Da gibt es gleich zwei Sündenböcke, die abgeschlachtet werden: einen leibhaftigen Schafsbock, der mit dem großen Schlachtermesse abgestochen wird (keine Sorge: der Tierschutzverein hat aufgepasst, dass dem Tierchen nichts Ernsthaftes passiert) und das freiwillige Opferlamm Alkestis, dem auf dem blutigen Opferstein ein ähnliches Schicksal bereitet wird. Zwar läuft sie ein paar Mal davon, um noch ein bisschen zu singen. Aber alles hilft nichts: das Volk will sein Opfer, und der moribunde Gatte, König Admetos, der ob dieses Opfers, mit dem angeblich sein Leben gerettet wird,  sich in seiner Machoehre gekränkt fühlt, hat sich schon davon gemacht. Ob die Regie mit ihren impliziten Parodiegesten das Erhabene, das Pathetische bei Gluck aufsprengen wollte, ob sie das latent Komische, das in allem Pathos liegt, denunzieren wollte oder ob sie mal eine historisierende Aufführung von Opas Oper probieren wollte, ich weiß es nicht. Im zweiten Teil da sind wir dann nicht, wie es die Herren Calzabigi und Gluck einstens vorgesehen hatten, im Orkus, sondern in der nachmittäglichen Fernsehhölle, in der Talkshow des „Hercool TV“. Herkules, der Retter, ist zum Talkshowmaster in  Gottschalk Kostümierung mutiert. Das zerstrittene Paar („wer darf als erster in die Unterwelt?“) darf sein Problemchen vor aufgekratzten Studiogästen diskutieren, sich zanken, sich versöhnen und sich zum Ehefriedensfoto gruppieren. Das war’s dann. Alkestis als etwas sehr bemühte, immerhin unterhaltsame Parodie auf den nachmittäglichen Seelenstriptease für die Unterschicht. Warum soll man nicht auch einmal diese Variante ausprobieren. Der Mythos lebt bekanntlich in seinen Varianten. Der Soundtrack, für den ein gewisser Ritter Gluck zuständig ist und der schon im ersten Teil zu einem dürftigen Säuseln verkommen war, fiel bei dem überbordenden Bühnenspektakel im zweiten Teil überhaupt nicht mehr auf. Ein trister Abend für den Musikliebhaber, ein enttäuschender Abend für den Konwitschny Fan. Wir sahen die Vorstellung am 28. Mai 2010. Die Premiere war am 17. Mai 2010.