„Für revolutionäre Frauen fehlen die Männer“ – und so enden sie in der Ehehölle. Eine grandiose Wiederaufnahme von Konwitschnys Eugen Onegin an der Oper Leipzig

„Für revolutionäre Frauen fehlen die Männer“ – und so enden sie  in der Ehehölle. Eine grandiose Wiederaufnahme von Konwitschnys Eugen Onegin an der Oper Leipzig

In München inszeniert man den Onegin als die verzweifelte Suche zweier Dandies  nach ihrer sexuellen Bestimmung (was bin ich denn: hetero, schwul, bi?), eine Suche, bei der Frauen kaum mehr als störende Zicken sind. In Stuttgart begreift man Eugen Onegin als Parodie eines sentimental romantischen Kitschromans und garniert diesen mit einer Vielzahl literarischer Verweise. Beides überdurchschnittliche, herausragende Inszenierungen. Doch so brillant diese Aufführungen  auch sind, mit Konwitschnys Version des Onegin, die schon vor fünfzehn Jahren in Leipzig Premiere hatte, seitdem in mehreren Häusern gezeigt wurde und jetzt in Leipzig wieder aufgenommen wurde, können sie nicht mithalten. Konwitschny begreift Tschaikowskis Oper als Hommage an eine „revolutionäre“ Frau, an eine Frau, die im Verhältnis der Geschlechter zueinander alle Konventionen sprengt und die sich am Ende doch den Konventionen fügt – aus Einsicht in die Dürftigkeit der möglichen Partner. Für Konwitschny heißt die Oper nicht Onegin, sondern Tatjana, und seine Tatjana ist kein verhuschtes Mädchen vom Lande, das sich in einen gelangweilten und langweiligen Gecken verknallt. Sie wird  – für einen Moment in ihrem Leben – zur einzig authentischen Person inmitten einer Galerie von Nichtauthentischen, von Laffen, die die Rolle des Literaten (Lensky), des Dandys und Frauenhelden (Onegin), des dümmlichen, Phrasen dreschenden Militärs (Gremin), der Landpomeranze (Olga) spielen. Sie alle, nicht nur die Protagonistin Tatjana, leiden am Lektüreschaden, versuchen sich an einer Literarisierung des Lebens, warten darauf, dass etwas mit ihnen geschieht, warten darauf, dass ihnen wie einstens dem fahrenden Ritter im Versroman die ‚Aventüre“ begegne und wenn sie dann kommt,  erkennen sie sie nicht und verpassen sie sie. Nicht von ungefähr ist die Szene ein großer Wartesaal (eine ferne Referenz an die Vorhalle im Leipziger Hauptbahnhof), und nicht von ungefähr liegt in der zum Publikum gerichteten Ecke des Saals ein ganzer Stapel zerlesener Bücher. Zu diesen Büchern flüchtet sich Tatjana zu Beginn der Briefszene, in diesen Büchern sucht sie Analogien, Parallelen, Antworten, Formulierungshilfen für ihren Liebesbrief. Und wäre sie eine Emma Bovary, dann fände sie dort, was sie suchte: nichtauthentisches Material, Worthülsen für eine nichtauthentische Liebessprache, eben jederzeit einsetzbare, jederzeit verwendbare Fragments d’un discours amoreux. Doch Tatjana, wie sie Konwitschny begreift, wirft alles Vorgestanzte von sich, nimmt ein scheinbar achtlos weggeworfenes Stück Papier, das Geschenkpapier, in das der Besucher Onegin sein Gastgeschenk, eine Flasche Wein, eingewickelt hatte, verlässt fluchtartig die Bücherzelle, rennt auf die Passarelle, macht gleichsam im Dialog mit dem Publikum ihre Passion öffentlich, findet fern aller Literatur eigne Worte, emanzipiert sich, wird authentisch für einen Augenblick – und verkriecht sich in der nächsten Szene geradezu in den Vorhang, greift verzweifelt zu den Büchern, als das ’Objekt der Begierde’ sich ihr als betrunkener Bordellbesucher präsentiert. ’Liebe als Passion’, Liebe als Mittel der Selbstfindung contra Liebe als Triebabfuhr. Schneidender und erbarmungsloser lässt sich der Kontrast kaum in Szene setzen. In die Bücherecke wird sich im Finale auch Onegin flüchten, als er mit Liebesphrasen Tatjana zu gewinnen sucht und sich dabei in die unfreiwillige Parodie eines romantischen Jünglings oder eines postpubertären Werthers steigert. Und wenn Tatjana diesem Werben nicht nachgibt, dann geschieht dies zwar auch, weil sie ganz konventionell die bürgerliche Familienidylle nicht in Gefahr bringen will (konsequent reiht sie sich in der Schlussszene in die zum Applaus angetretene Gesellschaft wieder ein – eine Gesellschaft, die hinter dem Vorhang und durch den Vorhang Tatjanas Verhalten beobachtet hat). Doch der eigentliche Grund, warum Tatjana und Onegin nicht zusammen kommen können, liegt tiefer, und die Regie zeigt diesen in einer symbolischen Geste der Tatjana auf. Tatjana zerreißt den Liebesbrief, den sie einstens Onegin geschrieben hat und den sie noch immer aufbewahrt, als sie erkennt, dass Onegin mit Phrasen, mit nichtauthentischen Materialien der Liebessprache um sie wirbt und zur Aufrichtigkeit, zur Authentizität, zu der sie sich einst bekannte, nicht fähig ist.

Einfacher ausgedrückt: es macht keinen Sinn für sie, den einen Phrasenheini, den halbsenilen russischen Offizier, den Ehemann, der mit Schulbuchweisheiten über die Macht der Liebe von der Loge herab schwadroniert, gegen den zweiten Phrasenheini, den romantischen Dandy zu tauschen. Für „revolutionäre Frauen“ gibt es halt, wie Konwitschny in seiner Einführung zu Recht kommentiert, keine adäquaten Partner. Im Rahmen dieser alles Konventionelle und Oberflächliche  aufsprengenden Konzeption gelingen der Regie immer wieder brillante Bilder, die die nur scheinbaren Lyrismen des Libretto in  dramatische Szenen transformieren. Das Duell findet nicht statt. Die beiden Freunde werden von den Umstehenden immer mehr eingekreist, gegeneinander gedrängt, können sich gegen den Druck von außen, eben weil sie getriebene, fremdbestimmte, nichtauthentische Figuren sind, gar nicht wehren und die danse macabre, zu der Onegin den toten Freund zerrt, gerät zur grotesken Polonaise. Tatjana ist bei dem großen Fest im zweiten Akt zum Püppchen, zum Zombie mutiert und bemerkt gar nicht mehr, was mit ihr geschieht. Der Wartesaal ist zur Rutschbahn, zur Eisbahn geworden, auf der die Gäste ständig ausgleiten. Und über allem hängt ein papierner Karnevalsmond: ein Fest der Maskenträger, der Nichtauthentischen. Zum Finale, zum letzten Dialog, zum letzten Duett mit Onegin zieht Tatjana den Vorhang zu: alles war nur Theater, das Spiel ist aus und wenn ich auch daran zerbreche – auch dies signalisiert das Zerreißen des Liebesbriefes, das Zerreißen in immer kleinere Fetzen. Unnötig zu sagen, dass eine solch höchst anspruchsvolle und brillante Inszenierung des Eugen Onegin, wie sie in Leipzig zusehen ist, sich nur mit herausragenden Sängerschauspielern realisieren lässt. Marika Schönberg und Pavol Remenár sind in Gesang und Spiel geradezu Idealbesetzungen für die Rollen der Protagonisten. Wir sahen die Aufführung am 11. September 2010, die „Wiederaufnahme-Premiere“.

Beziehungskisten einst und jetzt oder von Apollo zu Gott-schalk ist es nur eine Pause. Glucks Alkestis (Alceste) im Opernhaus Leipzig

Ich bin nach Leipzig gefahren, um Konwitschnys Version des Alkestis Mythos zu sehen. Hohe Erwartungen. Die Enttäuschung war entsprechend. Ein sehr schwach besetztes Haus. Solisten und Orchester, um es ganz vorsichtig zu sagen, nicht in Höchstform. Auf der Bühne  eine Melange aus der Wiener und der Pariser Fassung, die mit „neuen deutschen Textstellen“ angereichert wird. Das ganze nennt sich die „Leipziger Fassung“. Ja, warum soll eine tüchtige Dramaturgie nicht einmal etwas Neues ausprobieren, frei nach dem bekannten Wagner Motto: „Kinder schafft Neues“. Und Neues wollte wohl auch unser berühmter Theatermacher bieten. Sagen wir es gleich und ohne alle Umschweife: die Leipziger Alkestis zählt nicht zu den Glanzleistungen des Meisters, auch wenn er uns  gleich zwei Varianten des Mythos vorstellt: Alkestis als antike Tragödie, in der der Mensch hilflos der Macht der Götter ausgeliefert ist, im ersten und zweiten Akt. Alkestis als Unterschichten TV Show, in der der Mensch hilflos der Macht der Unterhaltungsindustrie ausgeliefert ist, im dritten Akt.  Beide Varianten kommen im Gewande der Parodie daher. Im scheinbar ernsthaften ersten Teil sind es die trotz all dem Gluckschen Reformeifer noch immer vorherrschenden hohlen Gesten und das Pathos der opera  seria, die, wenn auch vorsichtig und verhalten, ins Unernste gezogen werden. Da gibt es gleich zwei Sündenböcke, die abgeschlachtet werden: einen leibhaftigen Schafsbock, der mit dem großen Schlachtermesse abgestochen wird (keine Sorge: der Tierschutzverein hat aufgepasst, dass dem Tierchen nichts Ernsthaftes passiert) und das freiwillige Opferlamm Alkestis, dem auf dem blutigen Opferstein ein ähnliches Schicksal bereitet wird. Zwar läuft sie ein paar Mal davon, um noch ein bisschen zu singen. Aber alles hilft nichts: das Volk will sein Opfer, und der moribunde Gatte, König Admetos, der ob dieses Opfers, mit dem angeblich sein Leben gerettet wird,  sich in seiner Machoehre gekränkt fühlt, hat sich schon davon gemacht. Ob die Regie mit ihren impliziten Parodiegesten das Erhabene, das Pathetische bei Gluck aufsprengen wollte, ob sie das latent Komische, das in allem Pathos liegt, denunzieren wollte oder ob sie mal eine historisierende Aufführung von Opas Oper probieren wollte, ich weiß es nicht. Im zweiten Teil da sind wir dann nicht, wie es die Herren Calzabigi und Gluck einstens vorgesehen hatten, im Orkus, sondern in der nachmittäglichen Fernsehhölle, in der Talkshow des „Hercool TV“. Herkules, der Retter, ist zum Talkshowmaster in  Gottschalk Kostümierung mutiert. Das zerstrittene Paar („wer darf als erster in die Unterwelt?“) darf sein Problemchen vor aufgekratzten Studiogästen diskutieren, sich zanken, sich versöhnen und sich zum Ehefriedensfoto gruppieren. Das war’s dann. Alkestis als etwas sehr bemühte, immerhin unterhaltsame Parodie auf den nachmittäglichen Seelenstriptease für die Unterschicht. Warum soll man nicht auch einmal diese Variante ausprobieren. Der Mythos lebt bekanntlich in seinen Varianten. Der Soundtrack, für den ein gewisser Ritter Gluck zuständig ist und der schon im ersten Teil zu einem dürftigen Säuseln verkommen war, fiel bei dem überbordenden Bühnenspektakel im zweiten Teil überhaupt nicht mehr auf. Ein trister Abend für den Musikliebhaber, ein enttäuschender Abend für den Konwitschny Fan. Wir sahen die Vorstellung am 28. Mai 2010. Die Premiere war am 17. Mai 2010.

‚Cosí fan tutte‘ al Conservatorio di Lipsia

La messa in scena di Cosí fan tutte al Conservatorio di Lipsia, la cui premiere ha avuto luogo il 14 maggio, é stata caratterizzata dalla leggerezza: la storia, giá di per sé adatta ad una rappresentazione ludica e gioiosa, é stata resa ancora piú briosa e fresca dai ragazzi del Conservatorio, bravi sia nel canto che nell’interpretazione. Anche la scelta dell’ambientazione, temporalmente non ben identificabile ma con costumi giovani e scenografie colorate, ha contribuito a far passare quasi tre ore di puro intrattenimento agli spettatori, alcuni dei quali non si sono neanche accorti del tempo che passava (parole loro). Interessante la scelta di far stare il coro sempre in platea, quasi ad identificarlo con il pubblico stesso (“il coro siamo noi”). La figura del mattatore, del burattinaio dei giochi (del ‘puparo’ direbbero in Sicilia), Don Alfonso, ha secondo me trovato la sua migliore interpretazione: ironico ma anche attento a non rovinare del tutto le storie d’amore dei suoi amici, pur essendo l’unico a non avere niente da perdere. La rappresentazione della volubilitá dell’amore dei giovani non poteva trovare migliore interpretazione di quella degli studenti del Conservatorio, cosí come forse Mozart e Da Ponte avevano davvero immaginato e desiderato. Un’opera cosí puó essere davvero una bella prima volta per chi non é mai stato all’opera, gli fa venire voglia di tornare e di godere tre ore di puro divertimento, senza tratti di grandezza o di particolare originalitá, ma per il puro gusto di divertirsi con qualità.

Armida

Il ritorno di Lady Diana (e di Grace Kelly) in patria. Händels Admeto an der Oper Leipzig

Die Oper Leipzig, in der wir in der vergangenen Saison einen ungewöhnlich herausragenden Parsifal und einen ungewöhnlich dürftigen Don Giovanni gesehen haben, hat in der jetzt laufenden Saison mit Händels Admeto, Re di Tessaglia vom Jahre 1727 wieder eine High Light Produktion im Programm, eine Produktion, die das Libretto auf eine ganz neue und eine ganz überraschende Weise variiert. Hatten Händels Librettisten den Alkestis Mythos (Alkestis kann mit ihrem Tod den Gatten Admeto vor dem Tod retten  und wird von Herkules aus der Unterwelt zurückgeholt) schon um eine Rivalitäten- und Eifersuchtskomödie erweitert, geht das Leipziger Produktionsteam noch einen Schritt weiter, macht aus der Admeto Oper vollends eine Soap Opera und setzt auf diese noch eine Pointe aus der Welt der Fernsehkrimis. Ort des Geschehens ist nicht mehr ein fernes unbestimmtes Thessalien, sondern der Palast der Windsors (vulgo: der Royals). König Admeto erinnert in seinem graublauen Zweireiher an einen bekannten englischen Prinzen. Königin Alkestis ist eine Mischung aus Prinzessin Diana und Grace Kelly. Der arme Admeto ist nicht mehr das Opfer einer mysteriösen Krankheit, sondern das Opfer eines Giftmordanschlags (ein Maskierter hat ihm zur Hochzeitsnacht – zur Ouvertüre – Gift in seinen Whisky geschüttet), und der Opfertod der Alkestis  ist ein (als Selbstmord   getarnter?) Autounfall. Und jetzt als wir das Dröhnen eines schweren Wagens aus dem Off   der Bühne hören, da wissen auch die im Publikum, die in Kostüm und Maske der Alkestis noch nicht die beiden Diven wieder erkannt haben, welchen Mythos die Regie eigentlich in Szene setzen will. Auch für den tüchtigen Herkules, der  in Leipzig so gar nichts von einem Helden hat, sondern eher an einen Taxifahrer mit arabischem(!) Migrationshintergrund erinnert, hat das dortige Team eine neue dramatische Funktion erfunden, die so ganz den Schemata aus Fernsehkrimi und Soap Opera entspricht: Herkules darf zwar immer noch im Kampf mit den Mächten der Unterwelt – in Leipzig sind diese die der Ahnengalerie entstiegenen einst mächtigen Könige – Alkestis befreien – und diese seltsamerweise wild abknutschen. Ein Rätsel, das sich im Finale löst. Herkules war der geheimnisvoll Maskierte, der Attentäter, der dem König zur Ouvertüre Gift in den Whisky und zum lieto fine Gift in den Wein geschüttet hat. Schade nur, schade für Herkules, dass dieses Mal auch die gute Alkestis zum Glas gegriffen hat. Herausgekriegt hat das ganze, wie es sich für eine englische Krimiserie gehört, natürlich Miss Marple (in der Oper la terza donna, ein gewisser Orindo). Und das Motiv? Natürlich Eifersucht. Der Herkules wollte halt die Alkestis, und die wollte halt nur  den Admeto. Und die Folgen sind fatal, nein letal – ganz so wie wir das  aus den unzähligen Dreiecksgeschichten kennen. ‚Glücklich’ sind  am Ende nur der secondo uomo und die seconda donna. Sie kriegen sich und die Krone und dürfen im Schlussbild im Windsor Ornat posieren. So gibt es denn  in Leipzig entgegen dem Libretto und entgegen der Musik nur ein halbes lieto fine. Doch zum Ausgleich dafür eine höchst unterhaltsam und noch dazu spannend in Szene gesetzte Version einer Händel Rarität. Und gesungen und musiziert wurde auf hohem Niveau. Und nicht nur Musik von Händel wurde geboten: als Kontrast zum alten Händel spielt auf der Szene  auf „Melodica“ Instrumenten, „Blasinstrumenten aus der Gattung der Harmonicas“, das ATEF Ensemble. Welche Musik sie gespielt haben, das weiß ich nicht. Vielleicht Variationen aus Grace Kelly Filmen, gemischt mit Soundtracks aus Kriminalfilmen? Ich weiß es nicht. Und das Männerquintett musizierte nicht nur. Es spielte gleich mit und mimte mal die schrecklichen Mediziner am Krankenbett des Admeto, mal die Todesboten für Alkestis, mal Draculas aus der Ahnengalerie, mal die lustigen Säufer auf dem Müllkippe, mal die Köche und Kellner bei des Königs letztem Mahle. Zur Tragödie und zur Komödie, zur Soap Opera und zum Krimi gehört halt auch die Groteske. Und wohl auch das Satyrspiel.

Die Leipziger Oper ist wieder eine Reise wert. Und wenn dann wie am letzten Wochenende am nächsten Abend das Gewandhausorchester zusammen mit erstklassigen Solisten Das Rheingold (konzertant) aufführt? Ja, dann gilt erst recht: Leipzig ist eine Reise wert. Wir sahen die Vorstellung am 23. April 2010, die dritte Aufführung. Die Premiere war am 19. März 2010.

16. 05. 09 Lieblos und Lustlos. Don Giovanni in Leipzig

Vor wenigen Wochen, zu Ostern, waren wir beim Leipziger Parsifal – und wir waren begeistert. Vielleicht – so dachten wir in aller Naivität – ist der Don Giovanni ähnlich gelungen, zumal ein Regiestar wie Werner Schroeter für die Inszenierung verantwortlich zeichnet. Die Enttäuschung war groß. Was da auf der Bühne zusammengestellt war, was sich dort tat, was da aus dem Orchestergraben klang, das war lieblos, lustlos, langweilig, beschämend für ein renommiertes Haus. Und schon im ersten Akt kam mir immer wieder die Assoziation, Wotans plakatives Diktum: „Eines nur will ich noch: das Ende“. In der Pause hörte ich eine Zuschauerin kommentieren: “Das klingt ja  alles so bedächtig wie das Orgelkonzert für das Altenheim in der Stadtkirche“. Ich enthalte mich jeder Kritik an Sängern und Musikern. An diesem Tage – es war die letzte Don Giovanni Aufführung der Saison – konnten oder wollten sie es nicht besser machen. Auffällig war nur, dass die Sängerin, die als indisponiert angekündigt worden war, die Starsängerin an diesem Abend war. Und die Inszenierung? Ich habe vor Jahren in Düsseldorf Schroeters Tristan und seine Norma bewundert. In Leipzig hatte der viel beschäftigte Film- und Theatermacher wohl nicht genug Zeit, um eine Konzeption zu entwickeln und zu realisieren. Vertrocknete Passionen im Treibhaus – das Einheitsbühnenbild zeigt einen Prospekt mit aufgemalten Callablüten – war es das? Don Giovanni als Dekadenter – das Treibhausmotiv als Dekadenzmotiv par excellence kennt der Bildungsbürger ja noch von Zola und Maeterlinck. Und wer das nicht weiß, für den  wird großzügig  im Programmheft das Treibhaus Gedicht der Mathilde Wesendonck abgedruckt. Don Giovanni ein Dekadenter im Sinne der Dekadenzliteratur des 19. Jahrhunderts. War es das? Oder bilden Don Giovanni und Leporello vielleicht ein Schwulenpaar, das gerade mal den „Sommergästen“ entlaufen ist? War es das? Oder ist unsere ganze Inszenierung nur eine Zitatenmontage aus der Don Giovanni-Rezeption? Kommt deswegen Donna Anna in einem Empire- oder Biedermeierkleid daher und Donna Elvira im Reifrock des 18. Jahrhunderts und der Masetto Tölpel als russischer Kolchosebauer? Und die Zerlina in ihrem grünen Flatterkleidchen hat sich gerade für den Sommerausflug der Jungbäuerinnen schick gemacht? Und der Komtur darf  – vielleicht als „Dritter Mann? – in der Friedhofsszene seinen Kopf aus einem überdimensionierten Kanaldeckel stecken. Den Don Giovanni lassen wir natürlich sich nicht in die Kanalisation stürzen, wie das der naive Zuschauer wohl erwartet. Für das Finale haben wir uns die Endlosschleife vorbehalten: der Bösewicht darf sich durch den Zuschauerraum verdrücken, und vielleicht kommt er ja wieder – ganz im Sinne der Endlosschleife  und vielleicht ganz im Sinne des Mythos, der ja, wie uns ein gewisser Professor Blumenberg einstens lehrte, stets in neuen Varianten wiederkehrt. War es das? Ich weiß es nicht. „Einen so langweiligen Don Giovanni  habe ich noch nie gesehen“ hörte ich noch einen verärgerten Zuschauer im Foyer sagen. Nun, ganz so schlimm war es nicht. Aber von einem berühmten Künstler wie Schroeter und auch von einem nicht ganz unbekannten Haus wie der Leipziger Oper erwarten wir in Zukunft etwas mehr  an intellektuellem und künstlerischem Aufwand.  Zumindest mehr Schwung und Power und etwas weniger Oberflächlichkeit und obsolete postmoderne Beliebigkeit.

Die Premiere war am 31. Januar 2009. Wir sahen die achte Aufführung dieser Inszenierung.

 

 

 

 

 

 

 

12. 04. 09 „Dies alles – hab’ ich nun geträumt? “ Ein Traumtheater Parsifal in der Oper Leipzig

In der Osterzeit spielt man halt Parsifal – wegen des „Karfreitagzauber“? wegen der Erlösungsthematik? wegen der Christusanalogien? wegen der religiösen Versatzstücke? Zu Ostern möchten halt unsere Theatermacher ihrem Publikum eine fromme Wagner-Droge verabreichen, eine Droge, die das gängige Opernpublikum gar nicht so gern schluckt. In Dresden hatte noch das Touristenpublikum die Reihen gefüllt. In Leipzig spielte man vor mehr als schwach besetztem Hause, und nach der ersten Pause lichteten sich die Reihen noch weiter. In Dresden, wäre der musikalische Part nicht so überragend gewesen, hätte man ob der so grässlich langweiligen und abgespielten Inszenierung  in der Tat flüchten können. In Leipzig bestand zur Flucht keinerlei Anlass. Hier stimmt nicht nur der musikalische Part. Hier fasziniert vom ersten Augenblick an eine Inszenierung, die mit den Registern des Traumtheaters und der Filmästhetik arbeitet und die sich mit ihrem Lichtzauber und ihren Bewegungsritualen am Stil eines Robert Wilson orientiert (Inszenierung und Bühne: Roland Aeschlimann). Erlebt und erträumt sich ein tumber Tor Parsifal eine „Traumnovelle“, eine „Odyssee im Weltraum“? Spielen die Gralsritter ihm ein futuristisches, ein Science -Fiction Märchen vor, ein Märchen mit einer leidenden Christusfigur und einem grandiosen Lichtspektakel zur  Enthüllung des Grals?

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