Vor wenigen Wochen, zu Ostern, waren wir beim Leipziger Parsifal – und wir waren begeistert. Vielleicht – so dachten wir in aller Naivität – ist der Don Giovanni ähnlich gelungen, zumal ein Regiestar wie Werner Schroeter für die Inszenierung verantwortlich zeichnet. Die Enttäuschung war groß. Was da auf der Bühne zusammengestellt war, was sich dort tat, was da aus dem Orchestergraben klang, das war lieblos, lustlos, langweilig, beschämend für ein renommiertes Haus. Und schon im ersten Akt kam mir immer wieder die Assoziation, Wotans plakatives Diktum: „Eines nur will ich noch: das Ende“. In der Pause hörte ich eine Zuschauerin kommentieren: “Das klingt ja alles so bedächtig wie das Orgelkonzert für das Altenheim in der Stadtkirche“. Ich enthalte mich jeder Kritik an Sängern und Musikern. An diesem Tage – es war die letzte Don Giovanni Aufführung der Saison – konnten oder wollten sie es nicht besser machen. Auffällig war nur, dass die Sängerin, die als indisponiert angekündigt worden war, die Starsängerin an diesem Abend war. Und die Inszenierung? Ich habe vor Jahren in Düsseldorf Schroeters Tristan und seine Norma bewundert. In Leipzig hatte der viel beschäftigte Film- und Theatermacher wohl nicht genug Zeit, um eine Konzeption zu entwickeln und zu realisieren. Vertrocknete Passionen im Treibhaus – das Einheitsbühnenbild zeigt einen Prospekt mit aufgemalten Callablüten – war es das? Don Giovanni als Dekadenter – das Treibhausmotiv als Dekadenzmotiv par excellence kennt der Bildungsbürger ja noch von Zola und Maeterlinck. Und wer das nicht weiß, für den wird großzügig im Programmheft das Treibhaus Gedicht der Mathilde Wesendonck abgedruckt. Don Giovanni ein Dekadenter im Sinne der Dekadenzliteratur des 19. Jahrhunderts. War es das? Oder bilden Don Giovanni und Leporello vielleicht ein Schwulenpaar, das gerade mal den „Sommergästen“ entlaufen ist? War es das? Oder ist unsere ganze Inszenierung nur eine Zitatenmontage aus der Don Giovanni-Rezeption? Kommt deswegen Donna Anna in einem Empire- oder Biedermeierkleid daher und Donna Elvira im Reifrock des 18. Jahrhunderts und der Masetto Tölpel als russischer Kolchosebauer? Und die Zerlina in ihrem grünen Flatterkleidchen hat sich gerade für den Sommerausflug der Jungbäuerinnen schick gemacht? Und der Komtur darf – vielleicht als „Dritter Mann? – in der Friedhofsszene seinen Kopf aus einem überdimensionierten Kanaldeckel stecken. Den Don Giovanni lassen wir natürlich sich nicht in die Kanalisation stürzen, wie das der naive Zuschauer wohl erwartet. Für das Finale haben wir uns die Endlosschleife vorbehalten: der Bösewicht darf sich durch den Zuschauerraum verdrücken, und vielleicht kommt er ja wieder – ganz im Sinne der Endlosschleife und vielleicht ganz im Sinne des Mythos, der ja, wie uns ein gewisser Professor Blumenberg einstens lehrte, stets in neuen Varianten wiederkehrt. War es das? Ich weiß es nicht. „Einen so langweiligen Don Giovanni habe ich noch nie gesehen“ hörte ich noch einen verärgerten Zuschauer im Foyer sagen. Nun, ganz so schlimm war es nicht. Aber von einem berühmten Künstler wie Schroeter und auch von einem nicht ganz unbekannten Haus wie der Leipziger Oper erwarten wir in Zukunft etwas mehr an intellektuellem und künstlerischem Aufwand. Zumindest mehr Schwung und Power und etwas weniger Oberflächlichkeit und obsolete postmoderne Beliebigkeit.
Die Premiere war am 31. Januar 2009. Wir sahen die achte Aufführung dieser Inszenierung.