Die Inszenierung findet nicht statt: Die Walküre an der Staatsoper Im Schillertheater

 

Holographie und Design sind Kunstfertigkeiten, die der flämische Theatermacher Guy Cassiers, der beim neuen Berliner Ring für Inszenierung und Bühnenbild verantwortlich zeichnet, zweifellos in hohem Grade beherrscht. Und dank dieser Kunstfertigkeiten zaubert er in der Tat wunderschöne Bilder auf die Bühne, mit denen ihm eine durchweg beeindruckende Ästhetisierung der Walküre gelingt. Zwar sind seine Bilder in ihrer Symbolik manchmal platt und abgegriffen wie die phallischen Bäume, die zu langen Lanzen werden oder Wotans sich unaufhörliche drehende Weltkugel, in der die Geldscheine flattern oder die Galerie der Pferdestatuen, vor der traurige Gott im zweiten Akt monologisiert (ja, wir wissen schon:  das Pferd ist das Symbol der Gewalt und der Wollust). Manchmal indes, so wenn er die Rebellion der ‚Wunschmaid‘ als Engelssturz deutet und sein Hologramm implizit auf Domenico Beccafumi verweist, können seine Bilder auch überraschende Einsichten vermitteln. Doch eigentlich erwartet man von einer Wagner Inszenierung an einer renommierten Staatsoper ein bisschen mehr als Illustrationen der Handlung und Bühneneffekte, so überraschend sie auch sind und so schön sie auch anzusehen sind. Es muss ja nicht gleich Metatheater, Ideologiekritik, Rezeptionsgeschichte, radikale Aktualisierung oder gar Parodie und Kasperletheater sein. Aber irgendeine Grundkonzeption sollte es doch geben und wenn es sie schon nicht gibt oder wenn sie  für die Dilettantin nicht erkennbar ist, dann sollte sich doch wenigstens die Personenregie nicht gänzlich im Konventionellen erschöpfen und nicht nur die abgelebten Operngesten nachstellen: das ständige auf den Knien Herumrutschen, das pathetische Ausstrecken der Hände, das Herumfuchteln mit den Schwertern, das erotisch gemeinte Herzen und Küssen, das von der Rampe Singen. So gab es denn letztlich auf der Bühne viel Sinneslust – ohne Lust. Dafür  aber hin und wieder unfreiwillige Komik: der Karl May Scout entführt dem Biedermann die frustrierte Gattin, der scheinbar so allmächtige Macho mit proletarischem(?) Hintergrund knickt vor dem großbürgerlichen Ehegespons ein, zum Feuerzauber senken sich rote Lampen auf die schlafende Walküre, die dank einer gut funktionierenden Unterbühnenmaschinerie nur scheinbar gefährlich nahe an die Lampen hinaufgehoben wird). Vergessen wir die harmlos hübsche Inszenierung und behalten wir nur den brillanten musikalischen Part in Erinnerung. Die Staatskapelle unter Barenboim spielt einen hinreißenden Wagner und gesungen wurde in (fast) allen Rollen auf höchstem Niveau.  Doch mit dem Wiener Ring, da können die Berliner nicht mithalten. Wir sahen die Premiere am 17. April 2011.

Antigone mit obligatorischem lieto fine. Tommaso Traetta: Antigona. Tragedia per musica in tre atti an der Staatsoper im Schillertheater

Antigone mit obligatorischem lieto fine. Tommaso Traetta: Antigona. Tragedia per  musica in tre atti an der Staatsoper im Schillertheater

Sagen wir es gleich: eine wunderschöne Musik aus dem späten Settecento (Uraufführung 1772), die vielleicht auf die Scuola di Napoli verweist, die den heutigen Hörer  vielleicht an Gluck, vielleicht an den jungen Mozart erinnert. Chöre, Arien, Rezitative in einem Stil, den man zu kennen meint und die doch immer wieder mit ihrer Schönheit berühren. Mit einem Wort (die Dilettantin vermag es nicht angemessen zu sagen): einfach eine wunderschöne Musik, die Maestro Jacobs mit der Akademie für Alte Musik erklingen lässt. Schade nur, dass die Regie sich nicht so recht entscheiden konnte, was sie denn wollte: ein bisschen faschistische Gewaltorgie und faschistische Totenfeier, ein bisschen griechischer Tragödienverschnitt und das Ganze garniert mit Kinderszenen und Märchenspiel. Postmoderner Zitatensalat: eine obsolete. eine abgegriffene Konzeption. Opera seria zu inszenieren, das bedeutet halt immer eine besondere Herausforderung für unsere Theatermacher. Bei der scheinbar so antiquierten opera seria mit ihren schematischen Zwängen da lässt sich halt so vieles probieren. Von der Revue über das Musical und den allgemeinen Trash hin bis zur klassischen Tragödie. Aber wissen sollte der Theatermacher (in diesem Fall eine hoch gehandelte Theatermacherin) schon, dass ‚Realismus’ in Form von Ringkämpfen unter Jungmannen, mit einem Schiedsrichter auf einem Tennisplatzhochsitz, exzessive Totenwaschung und dergleichen nicht unbedingt das ideale Milieu für eine tragedia per musica aus dem späten 18. Jahrhundert bilden. Wie dem auch sei. Traettas  Antigone ist eine echte Rarität, die man gerne wieder hören möchte – mit einem so exzellenten Sängerensemble, wie es in Berlin sang und agierte. Wir sahen die Aufführung am 3. Februar: die dritte Vorstellung nach der Premiere am 30. Januar 2011.

„Das Wasser, dieses ewige Element luftiger Verschmelzung“. Ein berauschender „Vorabend“ zum Ring des Nibelungen in der Staatsoper im Schillertheater

„Das Wasser, dieses ewige Element luftiger Verschmelzung“. Ein berauschender „Vorabend“ zum Ring des Nibelungen  in der Staatsoper im Schillertheater

Sind es der kleinere Raum oder vielleicht die bessere Akustik im Vergleich mit der maroden Staatsoper unter den Linden, ist es eine Staatskapelle in Höchstform, sind es die brillanten Sänger? An diesem „Vorabend“ kam vieles zusammen, auf dass ein Opernabend auf höchstem Niveau zustande kam. Und wenn dann zum  herausragenden musikalischen Part noch eine durchdachte und überzeugende szenische Gestaltung hinzukommt, dann bleiben eigentlich keine Wünsche offen. Der Anfang irritiert noch: auf  der Vorderbühne plantschen Alberich und die sich etwas steif gebenden Rheintöchter in Wasserpfützen herum:  das übliche neckische Spiel ältlicher Mädchen mit einem älteren Herrn, der seinem Outfit nach zu urteilen wohl zu seinen Forellenteichen unterwegs war und unversehens unter die Weiber geraten ist. Den gesamten Bühnenhintergrund füllt eine mehrdimensionale, mehrfarbige Projektionsfläche, auf der strömendes Wasser und Pflanzen ineinander übergehen. Zum Szenenwechsel fällt nicht wie üblich der Vorhang: aus der Unterbühne kommen schwarz gekleidete Tänzer, wiederholen und verdichten das eben Geschehne in der Sprache der Bewegung und antizipieren das Kommende. Wotan und Fricka sind gleichsam wie Erscheinungen plötzlich da, und wieder werden die Tänzer deren Handeln ‚doubeln’. Die Tanzgruppe wird fast ständig auf der Bühne präsent sein. Die Tänzer werden  die Nibelungen spielen, werden Alberichs Lustmädchen mimen, werden sich wie Lianen um den Übertölpelten schlingen, wie Schlangen, die Laokoon  erwürgen. Der flämische Theatermacher Guy Cassiers, der für  Inszenierung und  Bühnenbild verantwortlich zeichnet, will indes mehr als eine intermediale Show, in der Musik und Gesang, Tanz und Spiel und Bühneneffekte ineinander übergehen. Sein Rheingold will auch nicht nur die Geschichte von der Entstehung der Welt aus dem Wasser erzählen. Auch die Geschichten von Machtgier, Betrug, Raub und Mord, so wichtig sie für die Handlung auch sind, stehen für ihn nicht im Vordergrund des Interesses. Sein Rheingold ist eine Erzählung aus dem Totenreich. „Alles, was ist – endet!“ Nein, so ist es nicht. Alles ist schon zu Ende. Die Riesen in ihren schwarzen Traueranzügen, die Götter in ihrer abgerissenen, aus der Mode gekommenen Kleidung, sie sind alle nur Untote, die noch einmal aus den Grüften  gestiegen sind, ihre Geschichten noch einmal spielen und im Finale, statt feierlich in Walhall  einzuziehen, in der Finsternis, aus der sie plötzlich erschienen sind, wieder entschwinden. Auf der Projektionsfläche erscheinen versteinerte Figuren. Versteinerte Kämpfer, die Gewaltexzesse aus archaischer Zeit erzählen. (Im Programmheft liest man, die versteinerten Figuren seinen „ein Abbild von Jef Lambeauxs Flachrelief Die menschlichen Leidenschaften“. Eine generöse Information, die man indes gar nicht braucht. Das Bild spricht für sich).In Berlin beginnt man das Rheingold nach der Götterdämmerung. Im ewigen Kreislauf wird alles, was endet, immer wieder neu und endet von neuem. Das ist als Konzeption nicht unbedingt originell – doch faszinierend in Szene gesetzt. Wir sahen die fünfte Vorstellung am 31. Oktober 2010. Die Premiere war am 17. Oktober 2010.