Traumanaloge Märchen in Hologramm oder die Inszenierung findet nicht statt. Siegfried an der Staatsoper im Schiller Theater

Was ich mir zur Berliner Walküre notierte, gilt in gleicher Weise für den Berliner Siegfried: brillante Sänger, ein Orchester der Spitzenklasse, ein sanfter Wagner Rausch ohne jegliches Gedröhne, eine Inszenierung ohne jeglichen intellektuellen Ehrgeiz.

Man muss ja von einem Opernregisseur nicht gleich ein Welterklärungsmodell erwarten. Auch Ideologiekritik, Rezeptionsgeschichte, intermediales Spektakel, Metatheater, aktualisierende Varianten des Mythos, all das muss ja nicht unbedingt sein.  Der belgische Theatermacher Guy Cassiers, der beim Berliner Ring für Inszenierung und Ausstattung verantwortlich zeichnet, ist da weit bescheidener. Für Cassiers ist der Siegfried ein Märchen, der Kindertraum vom starken, unbedarften Jungen, … → weiterlesen

Schöne Bildzitate – und weiter nichts. Ein heterogener Siegfried in der Opéra National de Paris

Schöne Bildzitate – und weiter nichts. Ein heterogener Siegfried in der Opéra  National de Paris

Ein Jahr ist es nun her, dass man nach fünfzig Jahren ringloser Zeit in Paris begann, einen neuen Ring zu ‚schmieden’. Und jetzt ist man beim Siegfried angelangt, und noch immer ist bei all dem Bemühen eines berühmten Theatermachers  und eines viel gefragten und hoch gehandelten Dirigenten keine konstituierende oder gar strukturierende Grundkonzeption  zu erkennen. Zur Musik mag ich und darf ich als Dilettantin nichts sagen. Vielleicht nur, dass sie mir auch im Siegfried wie schon im Rheingold und in der Walküre oft müde und matt und temperamentlos vorkam und dass sich von der berühmten Wagnerdroge nur Spurenelemente fanden. Diese Klänge, die da aus dem Orchestergraben kamen, sie werfen fürwahr nicht „die Stärksten noch wie Stiere um“. Auch die Inszenierung  ist fürwahr nicht  umwerfend.  Im Rheingold hatte Theatermacher Krämer noch  eine Mixtur aus faschistischer  Ästhetik, proletarischen Mythen und Filmzitaten aus den zwanziger und dreißiger Jahren  angerichtet. In der Walküre trafen wir auf ein lust- und freudloses Paar in der Nachsommerblüte inmitten von  Gewaltexzessen. Und jetzt im Siegfried: da rennt ein Unterschichtenjüngling in Latzhosen durch die Designerküche im ersten Akt, durch Kolonialszenen aus der Zeit des europäischen Imperialismus im zweiten Akt, um schließlich im dritten Akt bei einer monumentalen Totenfeier in imperialistischer oder vielleicht auch faschistischer Zeit zu landen.  Eine seltsame Grundkonzeption. Wenn es denn eine ist. Vielleicht bin ich ja auch zu dumm, sie zu erfassen. So begnüge ich mich damit zu beschreiben, was ich sah. Erster Akt: ein sich herumlümmelnder, wohlgenährter blonder Jungmann  langweilt sich im Attico mit Aufzug für den großen Teddybären aus dem Zoo. Unter der Dachterrasse findet sich ein  gut ausgestatteter Hobbyraum: praktischerweise mit Schmiede. Zweiter Akt: unter Kolonialkriegern im Afrika des 19. Jahrhunderts. Zwei europäische Kaufherren (bei Wagner Wotan und Alberich)  stecken ihre Claims ab, suchen einem dritten Kolonialisten (bei Wagner Fafner), der es wohl zum König unter den Eingeborenen gebracht hat, um seine Bodenschätze zu bringen.  Siegfried kommt hinzu, fängt einen Streit mit dem europäischen Eingeborenkönig an, sticht diesen einfach nieder und macht sich mit zwei Beutestücken davon – in Begleitung eines bebrillten Knaben (bei Wagner der Waldvogel), der die Geheimnisse des Eingeborenstamms kennt. Dritter Akt: Wotan geht ins Maxim oder vielleicht auch ins Bordell, kommt aber erst nach Betriebsschluss. Die Damen sind wohl schon schlafen gegangen. Nur eine Dame – bei Wagner Urmutter Erda, bei Krämer eine Dame, die in ihrem Outfit fatal an die späte Cosima erinnert –  gibt widerwillig spärliche Auskünfte. Finale dritter Akt:  auf  der Mitte einer monumentalen Treppe, die den ganzen Bühnenraum ausfüllt, liegt auf einem Sarkophag eine Figur im ‚Waffenschmuck’. Versunken in Meditation kniet davor  eine Figur im Militärmantel des 19. Jahrhunderts. Oben am rechten Rand der Treppe hocken regungslos Figuren mit Federbuschhelden. Trauert Wotan mit seinen Walküren um seine „Wunschmaid“? Zitiert die Regie ein Bild aus dem Reservoir der faschistischen Ästhetik? ‚ Das weiß ich nicht’. Oder ist angesichts des Niedergangs des stolzen Germaniens, von dem nur drei müde Lettern übrig geblieben sind, allgemeine Staatstrauer angesagt (Die Lettern hatten einst im Rheingold Leni Riefenstahl Jungmannen aufgerichtet)? ‚Das weiß ich nicht’. Dass bei dieser Trauerszene  von Liebe, Lust und Leidenschaft, um die es doch im Finale des Siegfried auch gehen soll, wenig zu hören und zu sehen war und manches in gewollte oder auch unfreiwillige Komik umzukippen drohte  – Latzhosen Siegfried  sauste auf dem Hosenboden vom halb umgekippten Tisch, auf dem Mutter Erda schon herumgerutscht war, direkt auf die bräutliche Walküre zu – dass da von Lust und Liebe und Leidenschaft wenig zu hören und zu sehen war, wen wundert das. Und so sind wir denn nach diesem unbefriedigenden Siegfried recht frustriert und leicht verärgert nach Hause gegangen. Immerhin – dieser Trost bleibt – es wurde brillant gesungen. Auch meine französischen Sitznachbarn wussten nicht weiter. Und so einigten wir uns darauf, dass eine Inszenierung  halt polyvalent ist und man  zumindest beim Pariser Siegfried etwas von der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts kennen müsste, – vielleicht etwas von Odilon Redon, vielleicht auch etwas aus der deutschen Romantik – um die Bildzitate im zweiten Akt zu erkennen und meinethalben zu genießen. Der Pariser Siegfried ist keine Reise wert. Wir sahen die Vorstellung am 18. März.  Die Premiere war am 1. März 2011.

Auf den Rücken der Reptile? Auf den Brüsten der Frauen? Unter glühenden Gesteinsbrocken? – Ein seltsam matter und konzeptionsloser Siegfried im Aalto-Musiktheater Essen

Jetzt werkeln sie schon über ein Jahr daran herum. Und immer noch brennt das Feuer nicht so richtig, an dem sie ihren Ring schmieden wollen. Viel Rauch, und keiner traut sich, einmal kräftig ins Feuer zu blasen. Es muss ja nicht gleich ein Weltenbrand entfacht werden. Aber lodern sollte das Feuer schon und das erst recht, wenn – nach dem Stuttgarter Modell – für jedes Stück ein anderer Regisseur verantwortlich zeichnet. Beim Rheingold hatte Theatermacher Knabe zwar versucht, Zunder an Wagner zu legen. Aber herausgekommen ist nur eine wilde Ausstattungsrevue mit viel Sex und Crime, bei der der kleine Sachse mit seiner Musik gerade noch eine Statistenrolle ergattern konnte.  Bei der Walküre ist man wieder seriös geworden und  hat diese  – ganz in der Tradition  des 19. Jahrhunderts  –  als ‚Verfall einer Familie’ gedeutet und die Geschichte ins Milieu preußischer Militäraristokraten verlegt bzw. sie, wenn man so will, was sich ja in Essen anbietet, bei den Krupps angesiedelt. Regisseur Hilsdorf hat in seiner Walküre auf alle Gags und Mätzchen verzichtet und der Musik das Primat überlassen mit der Folge, dass berückend schön musiziert wurde. Jetzt beim Siegfried werkelt man (leider auch in der Musik) wieder an kleiner Flamme so vor sich hin, und der etwas irritierte Zuschauer fragt sich, ob die Regie über kein Konzept verfügt oder ob das Konzept darin besteht, Ringinszenierungen aus den letzten Jahrzehnten fragmentarisch zu zitieren, zu variieren und zu ironisieren – und dabei den Zuschauer zu verwirren. Auf einer leicht ansteigenden hügeligen Bühne, die vielleicht der Rücken des ‚Drachen’ sein könnte und in der die Erotomanen gleich Frauenbrüste sehen wollen (ein versteckter Hinweis auf „das wild wütende Weib“?),  hausen  Siegfried und Mime, nein nicht auf der schon obligatorisch gewordenen Müllhalde, sondern unter einer Eisenbahnbrücke oder vielleicht auch in einem funktionslos gewordenen Tunnel. Mime ist in Kostüm und Maske so eine Art Außerirdischer oder ein eben gelandeter Fallschirmjäger, und Gott Wotan als Wanderer springt schon mal auf dem Drachenrücken bzw. auf den Brüsten hin und her und beobachtet das Geschehen. Wohl ein Metatheaterhinweis: Gott Wotan inszeniert ein Spektakel und beobachtet seine Schauspieler? Im zweiten Akt gewinnen Drachenrücken und Brüste, die man praktischerweise aus dem ersten Akt übernommen hat, eine dramentechnische  Funktion. Wenn Siegfried von seiner Mama träumt, dann kann er sich zur Inspiration schon mal zwischen die Brüste legen und den leidigen Drachen, eine Crux für alle Theatermacher, den brauchen wir erst gar nicht erscheinen lassen. Siegfried sticht einfach mit seinem Schwert in ein Hügelchen hinein, und schon ist das Untier erledigt und kann aus der Unterbühne heraus  das Ende des Riesengeschlechts bejammern. Auch für  die Geschichte  mit dem Waldvöglein hat man in Essen eine simple Lösung gefunden und  dabei dem Zuschauer noch ein Bröckchen Metatheater dazu gegeben. Theatermacher Wotan stellt einfach einen Käfig mit einem Vogel auf die Bühne, und damit auch der unbedarfteste Zuschauer merkt, dass die Regie nicht an das Märchen vom sprechenden Vogel glaubt, trägt vom Bühnenrand her eine Sängerin die entsprechenden Passagen vor.  Doch wir sind bekanntlich noch nicht am Ende, wenngleich der Zuschauer wie Gott Wotan  dieses schon mal herbeisehnt. Für den dritten Akt hat Regisseur Anselm Weber noch ein ganz besonderes Wechselbad für die Zuschauer parat, den geradezu grotesken Kontrast zwischen der Szene Erda Wotan und der Walkürensszene. Während erstere an eine zeitgenössische Realsatire erinnert: ein Herr mittleren Alters  sucht Hilfe bei seiner verschlafenen Exgeliebten, zitiert das Finale die Märchenwelt frühester Wagner Inszenierungen. Da senkt sich doch tatsächlich ein Felsbrocken mit flackernden Lichtern vom Bühnenhimmel  auf den staunenden Siegfried herab, und mittendrin im Felsen da liegt doch tatsächlich eine reife Dame  in voller Rüstung  und klettert, einmal befreit vom Waffenschmuck, im Brautkleid mit langer Schleppe vom Felsen herunter. Dass es dem armen Siegfried bei diesem Anblick mulmig wird, das können wir als Zuschauer nur zu gut verstehen, und wir fragen uns verärgert, was dieses ganze Zitatengerümpel soll. Ja, wir haben schon begriffen, dass die Regie das Wagnerbrimborium nicht ertragen kann, dass es  für sie nur noch als ironisches Zitat vermittelbar sei und dass man als Regisseur  gegen die erotisierende Droge der  Wagnermusik angehen müsse. Doch mit Verlaub, sehr geehrter Herr Theaterdirektor Weber: mit Wagner spielen, ihn ironisieren, ihn dekonstruieren, darin sind die Herren Neuenfels und Konwitschny und Herheim Meister. Bei diesen amüsiert man sich und erfährt zugleich neue Deutungen. Bei Ihnen, noch einmal mit Verlaub, da langweilt man sich nur. Und was die berüchtigte Wagnerdroge angeht: „Sei außer Sorg“. In Essen ist sie nur schwach dosiert. Den Wagner, den Sie und ihre Mitstreiter im Aalto-Musiktheater zur Zeit anbieten, das ist Wagner für katholische Landfrauen. – Wir sahen die Vorstellung am 18. Oktober. Es war die zweite Vorstellung nach der Premiere am 10. Oktober 2009.

22. 03. 09 Manieristische Weihesspiele – eine Wiederaufnahme von Robert Wilsons Walküre vom Jahre 2001 im Opernhaus Zürich

Keine Frage: es gibt phantastisch-schöne Bilder zu sehen, Bilder, die nicht im Geringsten auf irgendeine noch so ferne ‚reale’ Welt  verweisen, Bilder, die in ihrer Abstraktheit und in ihrem Minimalismus nie von der Musik ablenken, nie Eigengewicht erlangen, bloße Zeichen sind. Da fallen keine Blitzmädels vom Himmel, da tummeln sich keine Mannequins auf dem Laufsteg, da sammeln keine Krankenschwestern die Leichen ein, da fleddern keine Frühlingsmaiden die Gefallenen, da ersticht oder erschießt kein Hunding den armen Siegmund, da gibt’s keine wilden Umarmungen und keine heißen Küsse und keinen großen Feuerzauber, da gibt es keine aufdringlichen Filmverweise und kein Metatheater.  Da gibt es – ganz wie man es inzwischen von Wilson kennt – nur ein hoheitsvolles Schreiten, abgezirkelte Bewegungen, rituelle Gesten, Kostüme, die an Mönchskutten und Nonnengewänder erinnern. Keine Requisiten außer Siegfrieds Schwert und Wotans Speer. Alles Geschehen reduziert sich auf das Wesentliche, jede Regung wird  zum Zeichen.

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