Kitschige Tage – Ein Hollywood Melodrame am Nachmittag. Träumereien eines Blumenmädchens am Abend. Der Ferne Klang und Rusalka am Opernhaus Zürich

Wann hat man schon Gelegenheit, zwei so unterschiedliche Opernspektakel an einem Tag zu hören und zu sehen. Aber vielleicht sind sie gar nicht so unterschiedlich? Ist vielleicht der Kitsch das Gemeinsame, was sie verbindet? Neoromantischer Kitsch? Hier bei Schreker die Sehnsucht nach der blauen Blume, pardon: nach dem unerreichbaren fernen Klang, der sich natürlich nur beim Verscheiden in den Armen der einstens so schnöde Verlassenen findet. Dort bei Dvorak die Sehnsucht nach der großen Liebe als Variante des Undine Mythos. Ja, ich weiß: jeder Kenner nennt mich verächtlich eine Ignorantin. Aber ich bleibe dabei: was da im Zürcher Opernhaus bei der nachmittäglichen „Volksvorstellung“ als ferner Klang zelebriert wurde und erst recht was sich da auf der Bühne tat, das ist ein Hollywood Melodrame mit dem entsprechend süßlichen Sound. All das ist per se nichts Negatives. Aber ein Geniestreich ist es auch nicht. Auch wenn man es uns in diesem Sinne gern verkaufen möchte. In Zürich bietet man, ganz wie man es von diesem Hause erwartet, die Crème de la Crème der Opernszene auf. Ingo Metzmacher am Pult. Auf der Bühne Stars wie Juliane Banse und Roberto Saccà in den Hauptrollen. Und doch produziert man an diesem  heißen Nachmittag nicht nur – aber viel Langeweile. Vielleicht müsste man die Schreker Klänge öfters hören, um ihren Zauber zu erkennen und zu genießen. Sie sind sicher mehr als ein ewiges Dahinplätschern. Vielleicht hat auch die  – mit Verlaub gesagt – etwas unbedarfte  oder auch nur lustlose Regie dazu beigetragen, dass von der Zürcher Schreker Aufführung, von der sich der  neugierige Opernfan eigentlich sehr viel versprochen hatte, so wenig Faszination ausging. Die Inszenierung erschöpft sich in einem billigen Naturalismus frei nach Hauptmann oder frei nach Horváth und wenn sie im zweiten Aufzug frei nach La Traviata auf verrucht macht, dann wird es ganz schrecklich, dann ist alles nur noch peinlich. Ach, was sind wir doch so spießig in Zürich.  Zum Glück für die Aufführung hat man eine so grandiose Sängerin und Schauspielerin wie die Banse engagiert. Wie sie im ersten Akt das naive verliebte kleine Mädchen und im letzten Akt die verhuschte alte Frau, die nicht von ihren Illusionen lassen will, spielt, das ist schon bewundernswert. Ansonsten: in Zürich ist der ferne Klang nichts als ein flüchtiger Klang.

Für die Rusalka hatte vor ein paar Jahren  Jossi Wieler in Salzburg eine spät-postmoderne Variante gewählt und damit für jeden im Publikum etwas parat: das Kindermärchen für Erwachsene im ersten Akt, die wohlfeile Gesellschaftskritik  im zweiten, das  Luxusbordell im  dritten Akt und das Zitat aus einem Gangsterfilm im Finale. Stefan Herheim erzählt in Brüssel und Graz den Undine Mythos als Wassermanns Nightmare und macht Rusalka zu einer Art Irma La Douce, zur kleinen Hure, die inmitten einer grotesken Welt von der großen Liebe träumt. Und wo sind wir in Zürich? Da sind wir bei den Reichen und Schönen von der Zürcher Goldküste, die sich in ihre Villa mit Blick auf die Stadt zur Unterhaltung – ein extravaganter Einfall des jungen Hausherrn – ein stummes Blumenmädchen eingeladen haben. Leider erweist sich das kleine Blumenmädchen als eine femme fatale, die den schönen jungen Mann um Verstand und Leben bringt, obwohl sie das doch eigentlich gar nicht will. Aber die Zwänge ihrer Sippe (sprich: die Zwänge des Antimärchens oder des Mythos) sind halt so. Es verwundert nicht, dass so routinierte Theatermacher wie Matthias Hartmann und Karl-Ernst Herrmann aus dieser so einfachen Geschichte ein opulent grandioses  Opernspektakel zu machen wissen, in dem sich in gut romantischer Manier Phantastisches, Groteskes und scheinbar Reales mischen, in dem aus dem scheinbar Vertrauen das Phantastische hervorbricht oder auch erträumt wird. Der See des Libretto ist in Zürich zur Blumenwiese geworden, über den eine Starkstromleitung führt.  Und doch ist die Wiese zugleich der Ort, wo sich Phantastisches ereignet, ein Ort, wo eine Märchenhexe eine Pennerin, die vor einem Hydranten sitzt, in ein Blumenmädchen verwandelt, ein Ort, wo Waldelfen (die Nixen des Libretto) spielen und singen, ein Ort, wo ein Herr im Biedermeieranzug den Wassermann des Libretto gibt (ein Verweis auf romantische Literaten? auf E.T.A. Hoffmann? auf  Friedrich de la Motte Fouqué? Vielleicht). Im letzten Akt ist die Wiese natürlich  zum Tümpel und zum Müllplatz geworden, das Blumenmädchen wieder zur Pennerin mutiert, den verstörten jungen Mann trifft wohl der Schlag, der Wassermann hat eine Ladung Altöl auf seinen schicken Anzug bekommen, die Elfen spielen neckisch im Müll usw. usw. Ein bisschen viel der Überdetermination. Ja, wir haben schon begriffen, dass das Reale das Phantastische zerstört, dass die Märchen eigentlich Antimärchen sind, dass die arme Rusalka, wenn sie jetzt wieder bei ihrem Hydranten ruht, die schöne Geschichte von Liebe und Lust, Leid und Tod sich nur erträumt hat.

Unnötig zu sagen, dass im Zürcher Opernhaus brillant und auf höchstem Niveau gesungen und gespielt wurde. Was aus dem Orchestergraben klang, das war vielleicht nicht unbedingt die spätromantische Zaubermusik, die damals in Salzburg Maestro Welser-Möst erklingen ließ. Manchmal dröhnte es mir ein bisschen zu viel. Wie dem auch sei. Die Zürcher Rusalka ist allemal ein Hit, den man nicht versäumen sollte. Wir sahen die Vorstellung am 6. Juni 2010. Die Premiere war am 30. Mai.

Une réputation s’envole….Ein spießig seichter Hoffmann am Opernhaus Zürich

Das Zürcher Musiktheater ist eigentlich ein Garant für Aufführungen auf höchstem Niveau und dies auch wenn die eine oder andere Inszenierung schon ein wenig in die Jahre gekommen ist. In Zürich sind eine Le Nozze di Figaro, eine Ariadne, ein Tristan und kürzlich eine Frau ohne Schatten und ein Idomeneo zu sehen: allesamt Aufführungen, wie man sie sich besser kaum vorstellen kann. Doch jetzt mit Les Contes d’Hoffmann da sind wir wieder wie vor ein paar Jahren mit Tiefland und Fidelio im Stadttheater gelandet. Und da hilft auch der musikwissenschaftliche Ehrgeiz nicht weiter, mit dem man alles Konventionelle verschmäht und sich an der neuesten Edition der Oper orientiert, der Ausgabe von Kaye und Keck vom Jahre 2005. Das Konventionelle, das die Musiker verschmähten, tobte sich auf der Szene umso mehr aus. Natürlich kann auch ein so renommiertes Haus wie das Zürcher nicht immer nur Exquisites und Elitäres bieten. Es muss auch dem Unterhaltungsbedürfnis eines breiten Publikums entgegen kommen. Und Hoffmanns Erzählungen, die landläufige Mär vom versoffenen und frustrierten Lover und Literaten, ist da gerade richtig. Doch, so fragt sich enttäuscht und ärgerlich die Opernbesucherin, warum macht man in Zürich aus der so populären Vorlage nicht großes Theater. In Köln hat vor Jahren schon Krämer aus dem Hoffmann ein grandioses Fest des Märchen- und Metatheaters gemacht. Und im braven Genf hat man sich sogar getraut, Les Contes d’Hoffmann zu einer Melange aus Sex Revue und Totentanz anzurichten. Und jetzt in Zürich? Da präsentiert man biederes Stadttheater zum Einschlafen. Zum Prolog eine alemannische Weinstube, wohl mit Zugang zum Opernhaus, in der noch nicht das Rauchverbot gilt (steht wohl alles so im Libretto), in der Herren im Abendanzug, die aus einer langweiligen Opernaufführung geflüchtet sind, ein bisschen saufen, rauchen und streiten wollen und vor allem lüsterne Geschichten von den Liebschaften eines Literaten namens Hoffmann hören wollen. Und der erzählt ihnen dann auch bereitwillig Grotesken, Nachtstücke und Phantasiestücke, und die Regie macht daraus Realitätsstücke mit phantastischen Einsprengseln. Das ist immerhin etwas: meist anspruchslos unterhaltsam, manchmal langatmig zäh. Wer Erzählungen von E. T. A. Hoffmann und wenn sie auch nur in einer verdünnten Librettoversion erscheinen, in Szene setzen will, der braucht viel Sinn für das Phantastische, für das Groteske, für das Sublime, und nicht zuletzt braucht er viel Sinn für Ironie. Von all dem zeigt sich in Zürich wenig, zu wenig, als dass daraus ein großer Opernabend würde. Hier setzt man, ohne es zu karikieren, auf das Spießige – so in den Szenen in der Weinstube. Hier setzt man auf das anrührend Kitschige, auf das, was einstens die morbide Zärtlichkeit und Lebensgier schwindsüchtiger junger Damen hieß – so im Antonia Akt. Hier setzt man auf das langweilig Seichte, auf die Kleinbürger Phantasien vom verruchten Leben der Demi Monde  – so im  Giulietta Akt. Wie immer oder wie fast immer stehen in Zürich Sänger der ersten Garnitur auf der Bühne. Doch ob unbedingt ein Latinlover wie aus dem Bilderbuch die Idealbesetzung für den zwischen Schreiblust und Sexlust changierenden Hoffmann ist? Ich weiß es nicht.

Les Contes d’Hoffmann in Zürich. Da hat der Arme nicht nur Schatten und Spiegelbild verloren. Da ist er verloren. Und ich als Publikum verlier mich nicht noch einmal zu den Zürcher Hoffmanns Erzählungen. Ein Vorschlag an die Intendanz: schenken Sie Ihrem Produktionsteam doch als Bonus eine Kopie von Krämers Regiebuch zum Hoffmann. Auch aus Populärem lässt sich Hochkultur machen: schlagt nach bei Krämer. Wir sahen die Vorstellung am 16. März, die zweite Aufführung nach der Premiere am 13. März 2010.

Der doppelte Harnoncourt – Idomeneo am Opernhaus Zürich

Maestro Harnoncourt, den Kritik und Publikum einmütig  seit vielen Jahren  – und dies zurecht – als unübertrefflichen Magier des Mozartklangs feiern, hat sich viele Male – und dies zurecht –  über unzulängliche Idomeneo Inszenierungen geärgert. Und jetzt nimmt er die Sache selber in die Hand und – vielleicht in Erinnerung an den seligen Karajan – dirigiert und inszeniert er in Personalunion. “Ich habe nie eine Inszenierung  von Idomeneo gesehen, die dem Werk gerecht wird”. Mozarts Oper, so kommentiert der Maestro weiter im Programmheft, sei immer wieder als opera seria missverstanden worden. “Es ist aber eine französische Oper […], eine tragédie lyrique” mit Ballett, Divertimento nach jedem Akt und im Finale eine¨riesige Schluss-Chaconne”. Wer dies alles streiche, wie es so oft geschehen sei, werde dem Werk nicht gerecht. “Das Ballett zieht sich also durch das ganze Stück hindurch [ …], man kann das Stück ohne Ballett eigentlich gar nicht aufführen”. In Zürich (wie schon vor knapp zwei Jahren bei der “styriarte Graz”) konnte  Harnoncourt seine Vorstellungen umsetzen, wurden alle Wünsche erfüllt. Die Orchestra La Scintilla spielt einen subtilen Mozart, produziert den unnachahmlichen Harnoncourt Mozart, die Sänger sind, wie wir das von Zürich her kennen, mehr als brillant (allen voran  Julia Kleiter als Ilia), das Ballett fügt sich nahtlos in die Handlung, der Gott Neptun wird zum tanzenden stummen Dialogpartner  eines verzweifelten Idomeneo, im Finale transponiert das Ballett  gleichsam in einer verkürzten und konzentrierten Duplikation noch einmal  das Geschehen in die Sprache des Tanzes, in das Medium der rituellen Bewegung. Ein grosser Opernabend in Zürich. Besser, so sagt man sich, geht es wohl nicht. Wirklich nicht? Ja, wenn nur die Inszenierungskünste mit Musik, Tanz und Gesang mithalten könnten.   Maestro Harnoncourt, der einstens mit Ponnelle legendäre Aufführungen zustande brachte, der in jüngster Zeit mit  Kusej zusammenarbeitete und gegen dessen Hang zur Groteske seine eigene Subtilität und Feinsinnigkeit setzte und so im Kontrast zu Hässlichkeit und Groteske das vom ihm propagierte Sublime noch stärker zur Wirkung brachte, hat er sich da, als er mit der Assistenz von Philipp Harnoncourt auch noch die Inszenierung übernahm, hat er sich (und seinem Publikum) damit wirklich einen Gefallen getan? Ich  habe meine Zweifel. Gibt es eigentlich in dieser Inszenierung eine stringente Grundkonzeption? Wenn ja, heisst sie vielleicht: archaische, gewalttätige, blutrünstige Welt, für die Neptun, Idomeneo und die Priesterkaste stehen, gegen eine moderne Welt der Utopien: der romantischen Zweisamkeit, der Liebe bis in den Tod, der Versöhnung und der Friedfertigkeit, für die Ilia und Idamante stehen. War es das? Aber warum tritt dann Idamante in seinem weissen Sommeranzug wie eine Art jugendlicher Aschenbach Verschnitt auf? Und Ilia als Hippy Blumenmädchen, Idomeneo als Grimms Märchen König, Arbace als blinder Teiresias? Warum wird Elektra als liebestolle Möchte-Gern-Verführerin veralbert? Doch seien wir nicht so kritisch. Mögen manche Bilder auch nicht ganz stimmig sein, mag auch die Opferungsszene mit ihrem kruden Hackebeil Realismus und ihren Verweisen auf aztekische Menschenopfer nicht unbedingt geschmackvoll sein, mag auch die Grundkonzeption mit ihrem Kontrast aus Archaik und Moderne (sprich: Aufklärung und Romantik) ein bisschen altbacken sein. Weit durchdachter, weit überzeugender als die Melange aus Asylantenproblematik und Passionen zweier Synodalen, die jüngst bei der Salzburger Mozartwoche als Idomeneo zu goutieren war, ist dieser Züricher Idomeneo alle Male. In Zürich präsentiert ein  – um es salopp zu sagen – doppelter Harnoncourt einen Idomeneo der Extraklasse, Hochkultur im besten Sinne des Wortes. Und das Opernhaus Zürich bestätigt mit dieser Idomeneo Produktion wieder  einmal seinen Ruf als Musiktheater der absoluten Spitzenklasse. Wir sahen die Aufführung am 2. März 2010, die vierte Aufführung nach der Prremiere am 20. Februar 2010.

Ein Hochfest der Klänge und des Gesangs. Die Frau ohne Schatten im Opernhaus Zürich

In Zürich ist, um es gleich vorweg und ohne alle Einschränkung zu sagen, was Orchesterklang und Gesang angeht, eine grandiose Aufführung der Frau ohne Schatten zu erleben. Mögen die Musikkritiker die Aufführung im Einzelnen analysieren und meinetwegen auch bekritteln. Die simple Opernbesucherin mit nur rudimentären musikwissenschaftlichen Vorkenntnissen kann über die Klangeffekte, den Klangrausch, den das Zürcher Opernorchester unter dem Dirigenten Welser-Möst entfacht, nur staunen, ein Klangrausch, der auch in dem relativ kleinen Haus der Zürcher Oper nie den Zuhörer erschlägt und der schon gar nicht die Sänger zudeckt oder gar die Textverständlich beeinträchtigt.  In Zürich, so glaubt die naive Opernbesucher, ist ein Strauss zu hören, wie er schöner und einschmeichelnder, meinetwegen auch berauschender, kaum geboten werden kann. Und dass zudem in Zürich Sängerschauspieler der ersten Kategorie auf der Bühne singen und agieren, dass zum Faszinosum des Orchesterklangs noch der Zauber des Strauss Gesangs kommt, das nimmt man in Zürich schon als selbstverständlich hin. Für die Inszenierung zeichnen renommierte Spezialisten der Grand Opéra verantwortlich. Wenn man das große Spektakel mag, bei dem es angeblich um „Menschheitsfragen“ geht, dann ist man bei David Pountney  und Robert Israel gut aufgehoben. Für sie ist der Kaiser ein später Habsburger, der auf die Jagd geht und der mit der geheimnisvollen Märchenprinzessin, die ihm zugefallen ist, nichts anzufangen weiß, der Geisterbote ist ein  Riese mit eher bürgerlichem Habitus, der Färber ein Edelproletarier aus der Zola Welt, die Färberin ein proletarische Zicke mit Aufstiegs- und Sexträumen, die erst als der Gutmensch im Färber den gewalttätigen Macho herauskehrt, die Gattenliebe entdeckt, die Amme ist eine Hexe, die Kaiserin eine sanfte Gutmenschin auf der Suche nach der Selbstverwirklichung, das Geisterreich ist eine Operetten- und Varietéwelt, die im ganz konkreten Sinne als Theatershow in die proletarische ‚Wirklichkeit’  der Färberin einbricht, der Falke und die Ungeborenen und nicht zuletzt auch das Bühnenbild im ersten und im dritten Akt verweisen auf Max Ernst Collagen. Regie und Ausstattung setzen eine beeindruckende Märchen- und Zauberwelt in Szene, sparen nicht mit Verweisen auf die Kunstgeschichte und die allgemeine Historie, zeichnen in den Färberszenen eine pseudorealistische Armeleutewelt und lassen selbst die (etwas abgespielten) Metatheater Gags nicht aus. Im Finale, nachdem die Liebenden frei nach der Struktur der Zauberflöte, alle Prüfungen bestanden haben und das Ziel all ihr sexuellen Wünsche (die Kinderschar?) vor Augen haben, entschwindet alle Märchen- und Zauberwelt. Die Akteure treten in Alltagskostümen auf, mimen Schauspieler, die gerade mit höchster Konzentration ein Märchen über „Menschheitsfragen“ gespielt haben und die jetzt zum gemütlichen Teil in der Kantine übergehen. Wie schön. So haben wir am Ende doch noch die Kurve gekriegt und das große Spektakel als Theater auf dem Theater entlarvt. Ob ein solcher gewaltsamer Metatheatergag im Sinne der Musik ist? Ich weiß es nicht. Wir sahen am 16. Dezember 2009 die zweite Aufführung, die „Premiere B“. Die Premiere war am 13. Dezember 2009.

Eine tödliche Buffa um gespielte Liebe. Così fan tutte im Opernhaus Zürich

In Zürich haben Franz Welser-Möst und Sven-Eric Bechtolf jetzt mit der Così fan tutte ihr Mozart/Da Ponte Projekt zu Ende geführt. Ein Zyklus, der auf alle ideologischen Botschaften verzichtet, der weder pseudo-subversiv ist noch sich im Reigen der Liebeskurse verliert. Vielmehr dominieren wie schon im Don Giovanni und mehr noch in Le Nozze di Figaro auch jetzt in der Così fan tutte Spielfreude und Witz, Ironie und Parodie, Leichtigkeit und Theaterseligkeit. Doch plötzlich und unerwartet wie im Finale der Così bricht alle Heiterkeit ab, und es tun sich Abgründe auf, die das Spiel mit der gespielten Liebe schal werden lassen. Im Finale in Zürich laufen die Paare nicht auseinander, wie man das bei so genannten gedankenschweren Theatermachern schon so viele Male gesehen hat. Hier gibt es die konventionelle Versöhnung – ganz wie es Musik und Libretto verlangen, ganz wie es die Zuschauer nach einem Abend der Heiterkeit und des leichten Spiels erwarten. Doch mit einem Male greift Fiordiligi (aus Versehen? mit Absicht? aus Verzweiflung?) nach dem Giftbecher, den Guglielmo in einer sonst kaum beachteten Szene auf den Hochzeitstisch gestellt hatte (beim Hochzeitstoast war er beiseite getreten und hatte die Damen verwünscht: „Ah, bevessero del tossico, / Questi volpi senza onor!“). Und dieses Mal ist es  tödliches Gift, kein Pseudogift wie bei der Selbstmordkomödie der Liebhaber. Das Spiel ist aus – ganz so wie in der bitteren Komödie aus romantischer Zeit, die einstens Alfred de Musset schrieb und in der das Spiel mit der gespielten Liebe tödlich ausging: On ne badine pas avec l’amour. Ein Finale, das überrascht und doch wiederum nur konsequent ist und schon in der ersten Szene angedeutet wird. Don Alfonso ist kein „vecchio filosofo“, sondern ein bleicher Alchimist, der den beiden Herren wohl gerade sein Labor mit seinen Reagenzien  zeigt. Und im Nachhinein versteht man auch, warum Fiordiligi die Arie der Schwester („Smanie implacabili“), die parodistische opera seria Arie, mit allerlei Selbstmordspielchen begleitet, und eine resolute Despina ihr immer nur im letzten Augenblick die Pistole, das Messer, den Strick entreißen kann. Das Motiv des Todes ist geradezu ein Leitmotiv der Inszenierung. Spielerisch und komödiantisch, unernst und parodistisch zieht es sich durch die Handlung, um im Finale seinen Schrecken zu zeigen. Doch bis es so weit ist, feiert auf der Bühne die Buffa fröhlich und laut Urständ. Kein Bechtolf ohne das Spiel mit den Sexsymbolen: vom Degen über die Banane bis zur phallisch hoch gereckten Zypresse, die die Bühne beherrscht, ist das gängige Arsenal versammelt. Und wenn es dies alles nicht gäbe und wenn noch dazu die meisten der großen Arien –  nicht von den Vortragenden, sondern  von den übrigen Personen in Spiel und Gestik parodiert würden, dann glaubte man sich beinahe in einer Ponnelle Inszenierung. So schön sind die Settecento-Kostüme der Damen. So elegant die Uniformen der Herren Offiziere. Doch dieser Ponnelle, an den man sich manchmal erinnert fühlt, ist für Bechtolf nur ein Tresor von Zitaten, Anlass zur Parodie und immer wieder zur Versexung. So sieht man denn in Zürich eine höchst amüsante Buffa, eine Buffa indes, die in der Schlussszene zur (romantischen) Tragödie wird.

Und der musikalische Part? Ein schwungvoll und temperamentvoll aufspielendes Orchester, das sich doch – so zum Beispiel in der zweiten großen Arie der Fiordiligi – ganz zurückzunehmen weiß und der Sängerin ein Pianissimo erlaubt, das die Zuhörer den Atem anhalten lässt. Auf der Bühne: Sängerschauspieler der ersten Kategorie – ganz so wie man es Zürich erwartet.

Vielleicht ist die Così fan tutte nicht ganz so gelungen wie Le Nozze di Figaro. Aber sehenswert und hörenswert ist sie alle Male.

Wir sahen die dritte Vorstellung. Die Premiere war am 28. Juni 2009.

15. 03. 09 Todesriten – Eine Wiederaufnahme von Robert Wilsons Götterdämmerung vom Jahre 2002 im Opernhaus Zürich

Wer zu einer Robert Wilson Inszenierung geht, der weiß, was ihn erwartet: ein Fest des Manierismus, ein Artefakt, dem jeglicher Bezug auf eine wie auch immer geartete ‚Wirklichkeit’, jeder Hinweis auf eine konkrete Zeit fern liegen. Es gibt kein Bühnenbild, nur Lichtschattierungen und Lichtbalken. Es gibt mit Ausnahme der für die Handlung unentbehrlichen Gegenstände wie Hagens Speer oder Siegfrieds Schwert und Tarnhelm praktisch keine Requisiten. Und Speer bzw. Schwert und Tarnhelm tragen die beiden Gegenspieler gleichsam wie materialisierte Leitmotive ständig mit sich herum. Die Kostüme sind lange Gewänder, die an mönchische Kutten erinnern. Gestik und Bewegung sind bis in die kleinsten Regungen durchstilisiert und ritualisiert. Auf der Bühne agieren keine Menschen, sondern Wesen aus einer fernen unbestimmten Urzeit oder vielleicht auch Untote, die ihre Leidenschaften, von denen die Musik erzählt, verhalten und rituell, im Wissen um ihr auswegloses Geschick  und gleichsam innerlich unbeteiligt, noch einmal nachspielen, auf einer Bühne, auf der sie durch die Lichteffekte immer wieder zu Scherenschnittfiguren werden:  Schattenrisse aus dem Totenreich.

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