Wann hat man schon Gelegenheit, zwei so unterschiedliche Opernspektakel an einem Tag zu hören und zu sehen. Aber vielleicht sind sie gar nicht so unterschiedlich? Ist vielleicht der Kitsch das Gemeinsame, was sie verbindet? Neoromantischer Kitsch? Hier bei Schreker die Sehnsucht nach der blauen Blume, pardon: nach dem unerreichbaren fernen Klang, der sich natürlich nur beim Verscheiden in den Armen der einstens so schnöde Verlassenen findet. Dort bei Dvorak die Sehnsucht nach der großen Liebe als Variante des Undine Mythos. Ja, ich weiß: jeder Kenner nennt mich verächtlich eine Ignorantin. Aber ich bleibe dabei: was da im Zürcher Opernhaus bei der nachmittäglichen „Volksvorstellung“ als ferner Klang zelebriert wurde und erst recht was sich da auf der Bühne tat, das ist ein Hollywood Melodrame mit dem entsprechend süßlichen Sound. All das ist per se nichts Negatives. Aber ein Geniestreich ist es auch nicht. Auch wenn man es uns in diesem Sinne gern verkaufen möchte. In Zürich bietet man, ganz wie man es von diesem Hause erwartet, die Crème de la Crème der Opernszene auf. Ingo Metzmacher am Pult. Auf der Bühne Stars wie Juliane Banse und Roberto Saccà in den Hauptrollen. Und doch produziert man an diesem heißen Nachmittag nicht nur – aber viel Langeweile. Vielleicht müsste man die Schreker Klänge öfters hören, um ihren Zauber zu erkennen und zu genießen. Sie sind sicher mehr als ein ewiges Dahinplätschern. Vielleicht hat auch die – mit Verlaub gesagt – etwas unbedarfte oder auch nur lustlose Regie dazu beigetragen, dass von der Zürcher Schreker Aufführung, von der sich der neugierige Opernfan eigentlich sehr viel versprochen hatte, so wenig Faszination ausging. Die Inszenierung erschöpft sich in einem billigen Naturalismus frei nach Hauptmann oder frei nach Horváth und wenn sie im zweiten Aufzug frei nach La Traviata auf verrucht macht, dann wird es ganz schrecklich, dann ist alles nur noch peinlich. Ach, was sind wir doch so spießig in Zürich. Zum Glück für die Aufführung hat man eine so grandiose Sängerin und Schauspielerin wie die Banse engagiert. Wie sie im ersten Akt das naive verliebte kleine Mädchen und im letzten Akt die verhuschte alte Frau, die nicht von ihren Illusionen lassen will, spielt, das ist schon bewundernswert. Ansonsten: in Zürich ist der ferne Klang nichts als ein flüchtiger Klang.
Für die Rusalka hatte vor ein paar Jahren Jossi Wieler in Salzburg eine spät-postmoderne Variante gewählt und damit für jeden im Publikum etwas parat: das Kindermärchen für Erwachsene im ersten Akt, die wohlfeile Gesellschaftskritik im zweiten, das Luxusbordell im dritten Akt und das Zitat aus einem Gangsterfilm im Finale. Stefan Herheim erzählt in Brüssel und Graz den Undine Mythos als Wassermanns Nightmare und macht Rusalka zu einer Art Irma La Douce, zur kleinen Hure, die inmitten einer grotesken Welt von der großen Liebe träumt. Und wo sind wir in Zürich? Da sind wir bei den Reichen und Schönen von der Zürcher Goldküste, die sich in ihre Villa mit Blick auf die Stadt zur Unterhaltung – ein extravaganter Einfall des jungen Hausherrn – ein stummes Blumenmädchen eingeladen haben. Leider erweist sich das kleine Blumenmädchen als eine femme fatale, die den schönen jungen Mann um Verstand und Leben bringt, obwohl sie das doch eigentlich gar nicht will. Aber die Zwänge ihrer Sippe (sprich: die Zwänge des Antimärchens oder des Mythos) sind halt so. Es verwundert nicht, dass so routinierte Theatermacher wie Matthias Hartmann und Karl-Ernst Herrmann aus dieser so einfachen Geschichte ein opulent grandioses Opernspektakel zu machen wissen, in dem sich in gut romantischer Manier Phantastisches, Groteskes und scheinbar Reales mischen, in dem aus dem scheinbar Vertrauen das Phantastische hervorbricht oder auch erträumt wird. Der See des Libretto ist in Zürich zur Blumenwiese geworden, über den eine Starkstromleitung führt. Und doch ist die Wiese zugleich der Ort, wo sich Phantastisches ereignet, ein Ort, wo eine Märchenhexe eine Pennerin, die vor einem Hydranten sitzt, in ein Blumenmädchen verwandelt, ein Ort, wo Waldelfen (die Nixen des Libretto) spielen und singen, ein Ort, wo ein Herr im Biedermeieranzug den Wassermann des Libretto gibt (ein Verweis auf romantische Literaten? auf E.T.A. Hoffmann? auf Friedrich de la Motte Fouqué? Vielleicht). Im letzten Akt ist die Wiese natürlich zum Tümpel und zum Müllplatz geworden, das Blumenmädchen wieder zur Pennerin mutiert, den verstörten jungen Mann trifft wohl der Schlag, der Wassermann hat eine Ladung Altöl auf seinen schicken Anzug bekommen, die Elfen spielen neckisch im Müll usw. usw. Ein bisschen viel der Überdetermination. Ja, wir haben schon begriffen, dass das Reale das Phantastische zerstört, dass die Märchen eigentlich Antimärchen sind, dass die arme Rusalka, wenn sie jetzt wieder bei ihrem Hydranten ruht, die schöne Geschichte von Liebe und Lust, Leid und Tod sich nur erträumt hat.
Unnötig zu sagen, dass im Zürcher Opernhaus brillant und auf höchstem Niveau gesungen und gespielt wurde. Was aus dem Orchestergraben klang, das war vielleicht nicht unbedingt die spätromantische Zaubermusik, die damals in Salzburg Maestro Welser-Möst erklingen ließ. Manchmal dröhnte es mir ein bisschen zu viel. Wie dem auch sei. Die Zürcher Rusalka ist allemal ein Hit, den man nicht versäumen sollte. Wir sahen die Vorstellung am 6. Juni 2010. Die Premiere war am 30. Mai.