Der doppelte Harnoncourt – Idomeneo am Opernhaus Zürich

Maestro Harnoncourt, den Kritik und Publikum einmütig  seit vielen Jahren  – und dies zurecht – als unübertrefflichen Magier des Mozartklangs feiern, hat sich viele Male – und dies zurecht –  über unzulängliche Idomeneo Inszenierungen geärgert. Und jetzt nimmt er die Sache selber in die Hand und – vielleicht in Erinnerung an den seligen Karajan – dirigiert und inszeniert er in Personalunion. “Ich habe nie eine Inszenierung  von Idomeneo gesehen, die dem Werk gerecht wird”. Mozarts Oper, so kommentiert der Maestro weiter im Programmheft, sei immer wieder als opera seria missverstanden worden. “Es ist aber eine französische Oper […], eine tragédie lyrique” mit Ballett, Divertimento nach jedem Akt und im Finale eine¨riesige Schluss-Chaconne”. Wer dies alles streiche, wie es so oft geschehen sei, werde dem Werk nicht gerecht. “Das Ballett zieht sich also durch das ganze Stück hindurch [ …], man kann das Stück ohne Ballett eigentlich gar nicht aufführen”. In Zürich (wie schon vor knapp zwei Jahren bei der “styriarte Graz”) konnte  Harnoncourt seine Vorstellungen umsetzen, wurden alle Wünsche erfüllt. Die Orchestra La Scintilla spielt einen subtilen Mozart, produziert den unnachahmlichen Harnoncourt Mozart, die Sänger sind, wie wir das von Zürich her kennen, mehr als brillant (allen voran  Julia Kleiter als Ilia), das Ballett fügt sich nahtlos in die Handlung, der Gott Neptun wird zum tanzenden stummen Dialogpartner  eines verzweifelten Idomeneo, im Finale transponiert das Ballett  gleichsam in einer verkürzten und konzentrierten Duplikation noch einmal  das Geschehen in die Sprache des Tanzes, in das Medium der rituellen Bewegung. Ein grosser Opernabend in Zürich. Besser, so sagt man sich, geht es wohl nicht. Wirklich nicht? Ja, wenn nur die Inszenierungskünste mit Musik, Tanz und Gesang mithalten könnten.   Maestro Harnoncourt, der einstens mit Ponnelle legendäre Aufführungen zustande brachte, der in jüngster Zeit mit  Kusej zusammenarbeitete und gegen dessen Hang zur Groteske seine eigene Subtilität und Feinsinnigkeit setzte und so im Kontrast zu Hässlichkeit und Groteske das vom ihm propagierte Sublime noch stärker zur Wirkung brachte, hat er sich da, als er mit der Assistenz von Philipp Harnoncourt auch noch die Inszenierung übernahm, hat er sich (und seinem Publikum) damit wirklich einen Gefallen getan? Ich  habe meine Zweifel. Gibt es eigentlich in dieser Inszenierung eine stringente Grundkonzeption? Wenn ja, heisst sie vielleicht: archaische, gewalttätige, blutrünstige Welt, für die Neptun, Idomeneo und die Priesterkaste stehen, gegen eine moderne Welt der Utopien: der romantischen Zweisamkeit, der Liebe bis in den Tod, der Versöhnung und der Friedfertigkeit, für die Ilia und Idamante stehen. War es das? Aber warum tritt dann Idamante in seinem weissen Sommeranzug wie eine Art jugendlicher Aschenbach Verschnitt auf? Und Ilia als Hippy Blumenmädchen, Idomeneo als Grimms Märchen König, Arbace als blinder Teiresias? Warum wird Elektra als liebestolle Möchte-Gern-Verführerin veralbert? Doch seien wir nicht so kritisch. Mögen manche Bilder auch nicht ganz stimmig sein, mag auch die Opferungsszene mit ihrem kruden Hackebeil Realismus und ihren Verweisen auf aztekische Menschenopfer nicht unbedingt geschmackvoll sein, mag auch die Grundkonzeption mit ihrem Kontrast aus Archaik und Moderne (sprich: Aufklärung und Romantik) ein bisschen altbacken sein. Weit durchdachter, weit überzeugender als die Melange aus Asylantenproblematik und Passionen zweier Synodalen, die jüngst bei der Salzburger Mozartwoche als Idomeneo zu goutieren war, ist dieser Züricher Idomeneo alle Male. In Zürich präsentiert ein  – um es salopp zu sagen – doppelter Harnoncourt einen Idomeneo der Extraklasse, Hochkultur im besten Sinne des Wortes. Und das Opernhaus Zürich bestätigt mit dieser Idomeneo Produktion wieder  einmal seinen Ruf als Musiktheater der absoluten Spitzenklasse. Wir sahen die Aufführung am 2. März 2010, die vierte Aufführung nach der Prremiere am 20. Februar 2010.