Und sie fängt ihn nicht wieder ein. Kein lieto fine für Ruggiero und Bradamante. Alcina an der Opéra National de Paris

Armida, Circe und Calypso haben es besser. Ihnen bleiben zumindest die Tränen („Mi  restano le lagrime“) – und das Leben. Alcina bleibt nichts. Sie muss Geliebten und Leben lassen. Ihr Held  verlässt sie nicht nur. Er meuchelt sie noch dazu und weiß den Mord  so aussehen zu lassen, als habe sie sich selber erdolcht. Die wieder aufgetauchte mütterliche Ehefrau Bradamante und  ihr Psychiater scheinen zu triumphieren. Ein kurzfristiger Triumph. Noch über ihren Tod hinaus dominiert die sanfte Alcina den schwächlichen Ruggiero. Nicht zur Mutter kehrt er zurück. Er entschwindet ins Dunkel, in „das dunkle Reich des Todes“? Ein stupendes Finale mit impliziten Verweisen auf Freud und Wagner.

Und das war auch schon der einsame Höhepunkt einer Inszenierung, die ansonsten so dahin plätschert.… → weiterlesen

Pfälzer Weinfest mit kriminellen Machenschaften und mythischer Umrahmung. Götterdämmerung in Paris (Opéra National de Paris)

Pfälzer Weinfest mit kriminellen Machenschaften und mythischer Umrahmung.  Götterdämmerung  in Paris (Opéra National de Paris)

Nun endlich haben die Herren Jordan und Krämer und ihre jeweiligen Teams ihren Pariser Ring zu Ende ‚geschmiedet‘. Doch ob die einzelnen Teile wirklich zusammen passen, sprich: ob es eine kohärente Grundkonzeption bei diesem großen Unternehmen gab, ich habe da meine Zweifel.  Mag sein, dass es in der Musik, wo Maestro Jordan durchweg auf Verhaltenheit setzt, die rauschhaften Klänge und alles Aufdrehen meidet, so etwas wie eine einheitliche Konzeption gibt. Doch in der Inszenierung? Im  Rheingold betont sie die unselige Rezeptionsgeschichte, zitiert faschistische Ästhetik, proletarische Mythen und die Filmkunst der 20er und 30er Jahre. In der Walküre will sie von der ‚Liebe als Passion‘ nichts wissen und zeigt ein freudlos lustloses Paar in der Nachsommerblüte inmitten von Gewaltexzessen. Im Siegfried tummelt sich der übliche Latzhosenlümmel. Immerhin gibt es schöne Bilder, die an Odilon Redon, deutsche Romantik und faschistische Totenfeiern erinnern, zu bewundern. Und das war’s auch. Und jetzt in der Götterdämmerung? Da ist eine spektakuläre  und zugleich banalisierende ‚Arbeit am Mythos‘ zu besichtigen: eine aktualisierende Version, die das Geschehen am Hof der Gibichungen  in ein Großwinzer Milieu verpflanzt, König Gunther zum reichen Winzer, Gutrune zur ältlichen Weinkönigin macht und Hagen in den Rollstuhl setzt und ihn mit der Weltkugel spielen lässt. Siegfried ist wohl ein   reicher Bürgersohn, den es auf seiner Kavalierstour an den Rhein verschlagen hat und dem der Pokal mit dem Willkommenstrunk, den ihm die Weinkönigin reicht, gleich so zu Kopfe steigt, dass er sich wie ein betrunkener Silen aufführt. Ein leichtes Opfer für den machtlüsternen Intriganten im Rollstuhl, der  seinerseits nur das Werkzeug seines proletarischen Erzeugers Alberich ist. Alberich und nicht Hagen wird Siegfried ermorden. Alberich  wird in der Schlussszene vergeblich nach dem Ring greifen („Zurück vom Ring!“). Hagen hatte Gutrune einfach von der Bühne gefahren. Zwei Werkzeuge Im Kampf um die Weltherrschaft, die nicht mehr benötigt werden. Eine unterhaltsame und vielleicht auch neue Version der Binnenerzählung von der Intrige gegen Siegfried und von seinem Tod. War es das, worauf die Regie hinaus wollte? Spektakulär ist allenfalls der mythische Rahmen der eigentlich so banalen Krimistory. Oder besser gesagt: das Vorspiel. Während die Nornen – drei  Damen mittleren Alters im modischen kleinen Schwarzen –  von Vergangenem erzählen, greift eine vermummte Gestalt – sie wird sich später (wenn ich  mich recht erinnere: im ersten Aufzug) als Alberich zu erkennen geben – nach einer zerbrochenen Lanze (Wotans Lanze?), die auf einem Grab liegt und wirft einer Gestalt, die im Rollstuhl sitzt (Hagen, wie der Zuschauer im ersten Aufzug erfahren wird)  eine Weltkugel zu. Die neu zusammengefügte Lanze wird Alberich in der Traumszene Hagen bringen und mit dieser Lanze, mit Wotans Lanze, wird Siegfried getötet werden. Zweifellos ein schönes Symbolspiel: die Waffe des einstigen Weltherrschers, der der Macht entsagt hat, tötet den einstigen Hoffnungsträger. Ansonsten ist nichts Besonderes zu berichten. Natürlich gelingen einem so routinierten Theatermacher wie Krämer grandiose Bilder, an denen der Lichtdesigner mit seinen holographischen Spielchen einen nicht geringen Anteil hat. Doch im Finale, da geht nicht nur der Sängerin der Brünnhilde so langsam die Puste aus (kein Wunder bei den tropischen Temperaturen, die an diesem Sonntagnachmittag in Paris herrschten). Auch die Regie war wohl froh, dass das Ende nahe war. Und so verschonte  sie uns von allem Brimborium und dem üblichen ideologischen Quark. Ein Großereignis ist die Pariser Götterdämmerung wohl nicht – so wenig wie Rheingold, Walküre und Siegfried es waren. Wir sahen die Vorstellung am 26. Juni 2011.

 

 

Schöne Bildzitate – und weiter nichts. Ein heterogener Siegfried in der Opéra National de Paris

Schöne Bildzitate – und weiter nichts. Ein heterogener Siegfried in der Opéra  National de Paris

Ein Jahr ist es nun her, dass man nach fünfzig Jahren ringloser Zeit in Paris begann, einen neuen Ring zu ‚schmieden’. Und jetzt ist man beim Siegfried angelangt, und noch immer ist bei all dem Bemühen eines berühmten Theatermachers  und eines viel gefragten und hoch gehandelten Dirigenten keine konstituierende oder gar strukturierende Grundkonzeption  zu erkennen. Zur Musik mag ich und darf ich als Dilettantin nichts sagen. Vielleicht nur, dass sie mir auch im Siegfried wie schon im Rheingold und in der Walküre oft müde und matt und temperamentlos vorkam und dass sich von der berühmten Wagnerdroge nur Spurenelemente fanden. Diese Klänge, die da aus dem Orchestergraben kamen, sie werfen fürwahr nicht „die Stärksten noch wie Stiere um“. Auch die Inszenierung  ist fürwahr nicht  umwerfend.  Im Rheingold hatte Theatermacher Krämer noch  eine Mixtur aus faschistischer  Ästhetik, proletarischen Mythen und Filmzitaten aus den zwanziger und dreißiger Jahren  angerichtet. In der Walküre trafen wir auf ein lust- und freudloses Paar in der Nachsommerblüte inmitten von  Gewaltexzessen. Und jetzt im Siegfried: da rennt ein Unterschichtenjüngling in Latzhosen durch die Designerküche im ersten Akt, durch Kolonialszenen aus der Zeit des europäischen Imperialismus im zweiten Akt, um schließlich im dritten Akt bei einer monumentalen Totenfeier in imperialistischer oder vielleicht auch faschistischer Zeit zu landen.  Eine seltsame Grundkonzeption. Wenn es denn eine ist. Vielleicht bin ich ja auch zu dumm, sie zu erfassen. So begnüge ich mich damit zu beschreiben, was ich sah. Erster Akt: ein sich herumlümmelnder, wohlgenährter blonder Jungmann  langweilt sich im Attico mit Aufzug für den großen Teddybären aus dem Zoo. Unter der Dachterrasse findet sich ein  gut ausgestatteter Hobbyraum: praktischerweise mit Schmiede. Zweiter Akt: unter Kolonialkriegern im Afrika des 19. Jahrhunderts. Zwei europäische Kaufherren (bei Wagner Wotan und Alberich)  stecken ihre Claims ab, suchen einem dritten Kolonialisten (bei Wagner Fafner), der es wohl zum König unter den Eingeborenen gebracht hat, um seine Bodenschätze zu bringen.  Siegfried kommt hinzu, fängt einen Streit mit dem europäischen Eingeborenkönig an, sticht diesen einfach nieder und macht sich mit zwei Beutestücken davon – in Begleitung eines bebrillten Knaben (bei Wagner der Waldvogel), der die Geheimnisse des Eingeborenstamms kennt. Dritter Akt: Wotan geht ins Maxim oder vielleicht auch ins Bordell, kommt aber erst nach Betriebsschluss. Die Damen sind wohl schon schlafen gegangen. Nur eine Dame – bei Wagner Urmutter Erda, bei Krämer eine Dame, die in ihrem Outfit fatal an die späte Cosima erinnert –  gibt widerwillig spärliche Auskünfte. Finale dritter Akt:  auf  der Mitte einer monumentalen Treppe, die den ganzen Bühnenraum ausfüllt, liegt auf einem Sarkophag eine Figur im ‚Waffenschmuck’. Versunken in Meditation kniet davor  eine Figur im Militärmantel des 19. Jahrhunderts. Oben am rechten Rand der Treppe hocken regungslos Figuren mit Federbuschhelden. Trauert Wotan mit seinen Walküren um seine „Wunschmaid“? Zitiert die Regie ein Bild aus dem Reservoir der faschistischen Ästhetik? ‚ Das weiß ich nicht’. Oder ist angesichts des Niedergangs des stolzen Germaniens, von dem nur drei müde Lettern übrig geblieben sind, allgemeine Staatstrauer angesagt (Die Lettern hatten einst im Rheingold Leni Riefenstahl Jungmannen aufgerichtet)? ‚Das weiß ich nicht’. Dass bei dieser Trauerszene  von Liebe, Lust und Leidenschaft, um die es doch im Finale des Siegfried auch gehen soll, wenig zu hören und zu sehen war und manches in gewollte oder auch unfreiwillige Komik umzukippen drohte  – Latzhosen Siegfried  sauste auf dem Hosenboden vom halb umgekippten Tisch, auf dem Mutter Erda schon herumgerutscht war, direkt auf die bräutliche Walküre zu – dass da von Lust und Liebe und Leidenschaft wenig zu hören und zu sehen war, wen wundert das. Und so sind wir denn nach diesem unbefriedigenden Siegfried recht frustriert und leicht verärgert nach Hause gegangen. Immerhin – dieser Trost bleibt – es wurde brillant gesungen. Auch meine französischen Sitznachbarn wussten nicht weiter. Und so einigten wir uns darauf, dass eine Inszenierung  halt polyvalent ist und man  zumindest beim Pariser Siegfried etwas von der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts kennen müsste, – vielleicht etwas von Odilon Redon, vielleicht auch etwas aus der deutschen Romantik – um die Bildzitate im zweiten Akt zu erkennen und meinethalben zu genießen. Der Pariser Siegfried ist keine Reise wert. Wir sahen die Vorstellung am 18. März.  Die Premiere war am 1. März 2011.

Traumspiele oder Laientheater im ägyptischen Museum? Wahnvorstellungen der Magazinarbeiter? Giulio Cesare an der Opéra National de Paris

Traumspiele oder Laientheater im ägyptischen Museum? Wahnvorstellungen der Magazinarbeiter? Giulio Cesare an der Opéra National de Paris

Händels Giulio Cesare habe ich in den letzten Jahren in  unterschiedlichsten Inszenierungen  viele Male auf der Bühne gesehen: als Revuetheater mit Slapstick Einlagen in München, als Streit unter Jugendbanden und Zicken in einem Westside Story Ambiente in Köln, als lateinamerikanischen Bürgerkrieg unter Machos an der deutschen Oper am Rhein, als Theater auf dem Theater in einem Schloss des bayerischen Märchenkönigs, der gleich selber die Hauptrolle spielt, bei den Händel Festspielen in Karlsruhe. Jetzt in Paris, im Palais Garnier, macht das Produktionsteam das romantische Klischee von den wieder zum Leben erwachten Statuen zum Ausgangspunkt der Inszenierung, ein romantisches Motiv, wie es das französische Publikum noch aus der Schullektüre von Victor Hugos Notre Dame Roman kennt. Nicht genug damit. Diesem so gängigen romantischen Motiv wird ein konventioneller  Gag aus dem Arsenal des Metatheater aufgepfropft: die Statuen und Mumien eines Museums werden  nicht nur wieder lebendig. Sie spielen ihre Geschichten noch einmal, und zu diesen Geschichten schleppt das Museumspersonal  die Kulissen herbei und spielt, wenn gerade mal ‚Volk’ gebraucht wird, in  seinen Alltagskleidern mit und bleibt im Finale verwirrt zurück. Wahn überall Wahn? Ja, warum soll man ein Stück, das von der Liebe zwischen Cäsar und Cleopatra, von der Trauer und der Rache der Witwe des Pompeius und ihres Sohnes Sextus, von den Intrigen und Kämpfen zwischen Cleopatra und ihrem  Bruder Tolomeo erzählt, nicht auch mal in ein ägyptisches Museum verlegen und die wieder neu zum Leben erwachten antiken Figuren in römischen und ägyptischen Kostümen zwischen allerlei archäologischem Gerümpel und mürrisch ihren Dienst  im Magazin verrichtenden heutigen Museumsangestellten auftreten lassen. Eigentlich eine durchaus interessante Grundkonzeption. Nur sollten, abgesehen vom Lokalkolorit, Handlung und Ort des Geschehens irgendetwas miteinander zu tun haben, im Spiel aufeinander bezogen werden. In Paris begnügt man sich damit, zu den jeweiligen Rezitativen und Arien Museumsstücke über die Bühne zu fahren oder – so im zweiten Akt – lebende Bilder aus galanter Zeit nachzustellen. Aktivitäten der Bühnenarbeiter, der Statisten und der Choristen, die das jeweilige Geschehen wohl illustrieren und das  Moment Theater auf dem Theater betonen sollen, aber die letztlich doch nur unnötige Unruhe auf der Bühne schaffen und  das Publikum von Musik und Gesang ablenken. Natürlich ist es ein Gag, Cleopatra bei ihrem ersten Auftritt im luftigen Kleidchen auf einer umgestürzten Pharaonen Statue herumklettern zu lassen und sie zum zweiten Auftritt als Mumie auf einer Schubkarre hereinzufahren oder Cesare und Tolomeo   zur Arie „Va tacito e nascosto“ in Museumsschaukästen zu setzten oder zur elegischen Arie  des Cesare im dritten Akt: „Aure, deh, per pietà“ eine kopflose Imperatorenstatue auf die Bühne zu fahren. Doch all diese Gags erschöpfen sich mit der Zeit und produzieren auf die Dauer nur Langeweile. Ein Sachverhalt, der der Regie nicht entgangen sein kann, denn wohl nicht von ungefähr lässt sie in konventioneller Opernmanier Arien gern von der Rampe singen. Und wir im Publikum haben auch gar nichts dagegen. Wird doch in Paris von einem hochkarätigen Ensemble (Jane Archibald als Cleopatra, Lawrence Zazzo in der Titelrolle) so brillant gesungen und unter der Leitung von Emmanuelle Haim so feinsinnig und sensibel musiziert, dass die Inszenierung letztlich zur quantité negligeable wird. Ein großer Händel Abend in Paris. Wir sahen am 10. Februar die 10. Vorstellung der Neuproduktion. Die Premiere war am 17. Januar 2011.