Traumspiele oder Laientheater im ägyptischen Museum? Wahnvorstellungen der Magazinarbeiter? Giulio Cesare an der Opéra National de Paris
Händels Giulio Cesare habe ich in den letzten Jahren in unterschiedlichsten Inszenierungen viele Male auf der Bühne gesehen: als Revuetheater mit Slapstick Einlagen in München, als Streit unter Jugendbanden und Zicken in einem Westside Story Ambiente in Köln, als lateinamerikanischen Bürgerkrieg unter Machos an der deutschen Oper am Rhein, als Theater auf dem Theater in einem Schloss des bayerischen Märchenkönigs, der gleich selber die Hauptrolle spielt, bei den Händel Festspielen in Karlsruhe. Jetzt in Paris, im Palais Garnier, macht das Produktionsteam das romantische Klischee von den wieder zum Leben erwachten Statuen zum Ausgangspunkt der Inszenierung, ein romantisches Motiv, wie es das französische Publikum noch aus der Schullektüre von Victor Hugos Notre Dame Roman kennt. Nicht genug damit. Diesem so gängigen romantischen Motiv wird ein konventioneller Gag aus dem Arsenal des Metatheater aufgepfropft: die Statuen und Mumien eines Museums werden nicht nur wieder lebendig. Sie spielen ihre Geschichten noch einmal, und zu diesen Geschichten schleppt das Museumspersonal die Kulissen herbei und spielt, wenn gerade mal ‚Volk’ gebraucht wird, in seinen Alltagskleidern mit und bleibt im Finale verwirrt zurück. Wahn überall Wahn? Ja, warum soll man ein Stück, das von der Liebe zwischen Cäsar und Cleopatra, von der Trauer und der Rache der Witwe des Pompeius und ihres Sohnes Sextus, von den Intrigen und Kämpfen zwischen Cleopatra und ihrem Bruder Tolomeo erzählt, nicht auch mal in ein ägyptisches Museum verlegen und die wieder neu zum Leben erwachten antiken Figuren in römischen und ägyptischen Kostümen zwischen allerlei archäologischem Gerümpel und mürrisch ihren Dienst im Magazin verrichtenden heutigen Museumsangestellten auftreten lassen. Eigentlich eine durchaus interessante Grundkonzeption. Nur sollten, abgesehen vom Lokalkolorit, Handlung und Ort des Geschehens irgendetwas miteinander zu tun haben, im Spiel aufeinander bezogen werden. In Paris begnügt man sich damit, zu den jeweiligen Rezitativen und Arien Museumsstücke über die Bühne zu fahren oder – so im zweiten Akt – lebende Bilder aus galanter Zeit nachzustellen. Aktivitäten der Bühnenarbeiter, der Statisten und der Choristen, die das jeweilige Geschehen wohl illustrieren und das Moment Theater auf dem Theater betonen sollen, aber die letztlich doch nur unnötige Unruhe auf der Bühne schaffen und das Publikum von Musik und Gesang ablenken. Natürlich ist es ein Gag, Cleopatra bei ihrem ersten Auftritt im luftigen Kleidchen auf einer umgestürzten Pharaonen Statue herumklettern zu lassen und sie zum zweiten Auftritt als Mumie auf einer Schubkarre hereinzufahren oder Cesare und Tolomeo zur Arie „Va tacito e nascosto“ in Museumsschaukästen zu setzten oder zur elegischen Arie des Cesare im dritten Akt: „Aure, deh, per pietà“ eine kopflose Imperatorenstatue auf die Bühne zu fahren. Doch all diese Gags erschöpfen sich mit der Zeit und produzieren auf die Dauer nur Langeweile. Ein Sachverhalt, der der Regie nicht entgangen sein kann, denn wohl nicht von ungefähr lässt sie in konventioneller Opernmanier Arien gern von der Rampe singen. Und wir im Publikum haben auch gar nichts dagegen. Wird doch in Paris von einem hochkarätigen Ensemble (Jane Archibald als Cleopatra, Lawrence Zazzo in der Titelrolle) so brillant gesungen und unter der Leitung von Emmanuelle Haim so feinsinnig und sensibel musiziert, dass die Inszenierung letztlich zur quantité negligeable wird. Ein großer Händel Abend in Paris. Wir sahen am 10. Februar die 10. Vorstellung der Neuproduktion. Die Premiere war am 17. Januar 2011.