Maria Magdalena unter Fundamentalisten im Treibhaus der Südstaaten. Ein musikalisch herausragender, ein szenisch missglückter Stiffelio an der Oper Frankfurt

Sagen wir es gleich: es wird grandios gesungen. Sopran (Sara Jakubiak als Lina), Tenor (Russell Thomas in der Titelrolle) und Bariton (Dario Solari als Stankar) haben ihre großen Auftritte. Alles klingt so schön und so süß  nach Bellini und Donizetti und natürlich nach Verdi, nach dem frühen Verdi, und manchmal auch schon ein bisschen nach La Traviata. Eben unbeschwerte Italianità, wie sie die Verdi Fans lieben. Im Bereich von Gesang und Orchesterklang da gibt es nichts auszusetzen. Es wäre ein großer Opernabend geworden, ja wenn nur die szenische Umsetzung nicht so schrecklich gewesen wäre.

Die Regie versetzt das Geschehen in die schwüle, bigotte, abgeschlossene Welt einer amerikanischen Sekte von heute und schließt die Handelnden in eine Art Treibhaus ein. Da schwänzeln  nun die Sakristei-Ziegen mit irr-leuchtendem Blick um den  hochmütigen, charismatischen, farbigen Prediger. Nur dessen verhuschtes Frauchen im schwarzen Faltenrock und mit langem roten Haar (eine Mischung aus femme fatale und Hausmütterchen) hat die Abwesenheit des Pastors genutzt, um sich ein bisschen und mit schlechtem Gewissen mit einem in die Jahre gekommenen Hippy zu vergnügen. Und jetzt – so beginnt die Oper – ist das Gejammer der, so sieht sie sich selbst,  armen Sünderin groß. Nicht nur dass der  Kirchenmann und  noch schlimmer der stets von der Ehre schwafelnde  und doch nur eifersüchtige  Papa , der wohl eine inzestöse Neigung zu seiner Tochter hat, die Sünderin unter Psychoterror setzen. Sie greifen auch gleich zu den langen Messern und wollen den Liebhaber abschlachten. Der Guru bleibt  dann doch lieber bei der Bibel, will das Frauchen nur verstoßen und überlässt das Abschlachten dem alten Papa. Der schafft das und wirft der Sünderin den Kopf, nein, nicht den des Jochanaan, sondern den des Liebhabers in den Schoß. Doch diese will nicht Salome, sondern Maria Magdalena spielen. Und als solche steht sie dann, nein, nicht im Ribera oder Tizian Outfit, sondern in Omas fleischfarbener Unterwäsche im Finale im Gemeinderaum. Und da der Prediger, Gott sei Dank, gerade die Bibel an der richtigen Stelle aufschlägt: „Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“, darf’s Frauchen „Ehebrecherin“ beim Prediger Macho bleiben. Und alles ist gut.

Was hätte man aus so einer abgenutzten Dreiecksgeschichte, aus so öden ‚Szenen einer Ehe‘ doch für eine böse Satire auf die bigotten Jungfrauen und die kleinen Sünderinnen, auf die inzestösen Alten und die heuchlerischen Prediger machen können! In Frankfurt hat die Regie sich mit ein paar unmarkierten Verweisen auf  Literatur und Film (Treibhaus, Salome, Maria Magdalena, Südstaaten Klischees,  Szenen einer Ehe)  begnügt und ansonsten eher peinlichen Sekten- und Kleinbürgerkitsch produziert. Schade um die „schöne Musi“.

Wir sahen die Aufführung am 3. März 2015, die siebte Vorstellung. Die Premiere war am 31. Januar 2016.

 

 

‚Theater auf dem Theater‘ nebst Opernparodie bis zum Exzess. Valentino Fioravanti: Le Cantatrici Villane. Dramma giocoso in zwei Akten. Uraufführung 1799

In einem italienischen Dorf trifft ein Kapellmeister gleich auf vier begabte junge Frauen, die alle Talent zur Sängerin haben und sich auch gleich vom Maestro ausbilden lassen wollen. Und Rosa (in der Person der Jessica Strong), die talentierteste von allen, ist noch dazu eine reiche Witwe – leider nur scheinbar, denn der angeblich im Kriege umgekommene Ehemann mischt sich, ohne in seiner Kriegermontur erkannt zu werden, ständig in die schönen Pläne des Maestro und dessen Schülerin ein. Und auch die drei anderen Damen wollen nicht zu kurz kommen. Zu diesen sechs Personen gesellt sich noch eine siebte, ein junger Mann, der nur zu gern auf der Opernbühne reüssieren möchte. Leider mangelt es ihm an Talent – dafür aber nicht an Geld. So wird er halt nicht Sänger, sondern Impresario und lässt gleich eine Oper einstudieren.… → weiterlesen

Ein Leben für Stalin? Harry Kupfer säubert und aktualisiert an der Oper Frankfurt Ein Leben für den Zaren

Warum wird Michail Glinkas Oper vom Jahre 1836 in Frankfurt nicht unter dem Originaltitel, sondern stattdessen unter dem Namen des Protagonisten Iwan Sussanin aufgeführt? Ist der Originaltitel vielleicht nicht political correct? Möchte sich der einstige Hausregisseur der Komischen Oper noch einmal für den Stalin Preis bewerben? Hat er deswegen aus einer romantischen russischen Oper ein sowjetisches Heldenepos gemacht  und die Handlung in das Jahr 1941 verlegt?

Die romantische Oper erzählt davon, wie ein einfacher Bauer im frühen 17. Jahrhundert sich für Russland und den Zaren opfert, als er ein polnisches Heer in den Wäldern in die Irre führt und mit dieser List Volk und Zaren vor dem Untergang rettet. Ein russischer Mythos, der mit den Klischees der romantischen Liebe angereichert wird: jugendlicher Held plus verliebtes Mägdelein.… → weiterlesen

„Hier gibt’s kein Auferstehn“ – auch nicht im Traum. – Korngold, Die Tote Stadt. Gluck, Orpheus und Eurydike. Zwei Varianten des Orpheus-Mythos in Wiesbaden und in Frankfurt

Passen Korngolds Filmmusik Oper (avant la lettre) und Glucks berühmte ‚Reformoper‘ zusammen? Von der Musik her selbstverständlich nicht. Hier die oft so eingängige und in den bekannten ‚Nummern‘, Mariettas Ballade, Pauls Schlusslied, Pierrots Lied, schlagerartige Musik. Dort bei Gluck das ‚Erhabene‘ in Gesang und Orchesterklang. Auch von der Handlung her haben die Tote Stadt und Orpheus und Eurydike – auf den ersten Blick hin – nichts gemein. Dort der etwas abartige Totenkult um die früh verstorbene Marie in einem düsteren, abergläubischen katholischen Milieu, einem Totenkult, aus dem sich der Trauernde schließlich durch einen Albtraum befreit. Hier der Abstieg in die Unterwelt und der vergebliche Versuch, die Geliebte zu den Lebenden zurück zu führen – mit einem scheinbaren lieto fine, das Amor als deus ex machina bewirkt.… → weiterlesen

Traumdiskurs mit Filmmusik. Bohuslav Martinů, Julietta an der Oper Frankfurt

In Frankfurt ist eine Rarität zu hören. Julietta, Martinůs  „lyrische Oper in drei Akten“  vom Jahre 1938, zu der der Komponist in Anlehnung an das Theaterstück Juliette ou la clé des songes des französischen Surrealisten Georges Neveux selbst das Libretto schrieb – so liest man es im Programmheft.

Die Musik – schöne, gefällige Filmmusik, die ich zuvor noch nie gehört hatte und an die ich mich schon gar nicht mehr erinnern kann. Ganz wie die Akteure in diesem surrealistischen Stück –  Träumer sind sie alle -, die sich an nichts erinnern können,  die sich Erinnerungen beim Hausierer kaufen  und sich für ihre Träume beim Zentralbüro für Traumverwaltung anmelden.

Ganz im Sinne des Librettos und wohl auch ganz im Sinne des sanften Soundtrack setzt Theatermacherin Florentine Klepper mit geradezu karnevalesker Spielfreude ein ‚Traumspiel‘ in Szene. Sie kennt ihren Strindberg, ihren Breton und  Borges und Tabucchi  und noch viele andere Literaten des Traumdiskurses und weiß sie für ihre Arbeit zu nutzen: „Alles kann geschehen, alles ist möglich und wahrscheinlich, vor einem unbedeutenden Wirklichkeitsgrund entfaltet sich die Einbildung und webt neue Muster: ein Gemisch aus Erinnerungen, Absurditäten und Improvisationen“. (Strindberg) –

Kleppers Inszenierung  ist geistreiches, witziges, groteskes Traumtheater, ein Labyrinth der Träume,  in dem sich der Protagonist Michel, der nicht von ungefähr ein Buchhändler, eben ein von der Literatur Geschädigter  ist, gänzlich verliert. Gibt es die schöne Juliette, nach der er sucht, die er zu finden glaubt, die er wieder verliert, gibt es sie überhaupt? Ist sie nur ein Traumgespinst?  Ist er selber, der sich für eine ‚reale Person‘ hält, vielleicht doch nur eine Traumfigur? Alles Geschehen bleibt in der Schwebe – für den Protagonisten wie für die Zuschauer. Im Finale hält die Regie  – vielleicht – eine Antwort bereit, wenn sie – vielleicht – den Schluss der Borges Erzählung Las ruinas circulares zitiert : wie der Protagonist bei Borges erkennt der Buchhändler Michel, dass er doch nur eine Traumfigur ist, die Traumfigur eines anderen Michel und dieser Michel wiederum die Traumfigur eines anderen ist und dass das Spiel der Träume und Traumfiguren in einer Endlosschleife immer weiter läuft, immer weiter…

Keine Frage, dass diese anspruchsvolle und zugleich auch höchst unterhaltsame Inszenierung nur gelingen kann, wenn wie jetzt in Frankfurt ein spielfreudiges Ensemble auf der Bühne steht, wenn mit dem so brillanten  Kurt Streit in der Rolle des Michel die Regie einen Sängerschauspieler zur Verfügung  hat, der den Traumdiskurs grandios zu konkretisieren weiß. Ein schöner, ein ungewöhnlicher Opernabend in Frankfurt.

Wir sahen die Aufführung am 13. Juli 2015. Die Premiere war am 21. Juni 2015.

 

 

„Nur eine tote Geliebte ist eine gute Geliebte“. Webers Euryanthe als Altherrenfantasien an der Frankfurter Oper

Es mag ja sein, dass die Euryanthe Musik zu Unrecht ein Schattendasein führt. Es mag auch sein, dass die Euryanthe  den typischen „Weberton“ verkörpert, dass sie in manchen Passagen Berlioz und Wagner schon vorweg nimmt. Aber ein Proto-Wagner ist eben noch kein Wagner. Diese Musik, so schön und eingängig sie auch in den Kavatinen der Protagonistin ist, berauscht nicht. Sie langweilt – und den gleichen Effekt erzielt die Inszenierung.

Die Regie hat tief und wahllos in die Theaterkiste gegriffen und eine Melange aus Weiberobsessionen einer versoffenen Männergesellschaft, Nightmare Fantasien, schwarzer Romantik, Gruselkabinett und Metatheatereinlagen angerührt. Da wetten in einer Bar vom Whisky selige, dümmliche Machos aus den besseren Kreisen auf die Verführbarkeit bzw. ewige Treue einer etwas in die  Jahre gekommenen Schönheit, da geistern die ‚schnöden Revenanten‘ aus der gothic novel durch die Szene, da tummeln sich  die grotesken Figuren  Goyas und Füslis auf der Bühne, da fehlt es nicht an Burgruinen und Friedhöfen und einem Revuetheater. Da dürfen die alten Herren ihre Lust an der vermeintlich untreuen Euryanthe austoben und die arme Frau (fast) ausziehen  und beinahe lynchen. … → weiterlesen