Ein Leben für Stalin? Harry Kupfer säubert und aktualisiert an der Oper Frankfurt Ein Leben für den Zaren

Warum wird Michail Glinkas Oper vom Jahre 1836 in Frankfurt nicht unter dem Originaltitel, sondern stattdessen unter dem Namen des Protagonisten Iwan Sussanin aufgeführt? Ist der Originaltitel vielleicht nicht political correct? Möchte sich der einstige Hausregisseur der Komischen Oper noch einmal für den Stalin Preis bewerben? Hat er deswegen aus einer romantischen russischen Oper ein sowjetisches Heldenepos gemacht  und die Handlung in das Jahr 1941 verlegt?

Die romantische Oper erzählt davon, wie ein einfacher Bauer im frühen 17. Jahrhundert sich für Russland und den Zaren opfert, als er ein polnisches Heer in den Wäldern in die Irre führt und mit dieser List Volk und Zaren vor dem Untergang rettet. Ein russischer Mythos, der mit den Klischees der romantischen Liebe angereichert wird: jugendlicher Held plus verliebtes Mägdelein.

Selbstverständlich bleibt es Theatermacher Kupfer und seinem Dramaturgen Abels unbenommen, den Mythos vom sich für den Staat  aufopfernden kleinen Mann auf ihre Weise neu zu erzählen. Ob sie dabei allerdings über weite Strecken gegen die Musik inszenieren mussten, einer Musik, die an Bellini und Donizetti erinnert und ob sie dieser Musik unbedingt einen trüben sozialistischen Realismus, der dem Agitprop ziemlich nahe kommt, überstülpen mussten? Bei dieser Konzeption wird aus dem Bauern des 17. Jahrhunderts ein fanatischer alter Brigadier in einer Kolchose, werden die Kolchose Arbeiter zu Partisanen, die gegen die scheinbar so siegreichen deutschen Truppen, die vor Moskau stehen, kämpfen, wird aus dem Liebhaber der unwiderstehliche Anführer der Partisanen, den das Mägdelein anhimmelt, werden die bösen Deutschen zu brutalen und dümmlichen Feinden, die es um jeden Preis zu vernichten gilt.

Bei dieser Schwarz-Weiß Konzeption nimmt es nicht Wunder, dass das Bühnenbild die Mauerreste einer ausgebrannten Kirche zeigt und dass im Finale bei der Siegesfeier die Ruinen der Kirche hinter den frisch restaurierten Mauern des Kreml verschwinden und dass die sowjetischen Militärs auf der Ehrentribüne sich in patriotischen Gesängen ergehen.

Es mag ja sein, dass die Regie die Klischees des sozialistischen Realismus nur zitieren und sich nicht mit ihnen identifizieren wollte. Vielleicht wollte sie auch auf die Filmtradition eines Eisenstein verweisen. Das mag ja alles so gemeint sein. Herüber gekommen ist indes ein abgestandenes sozialistisches Heldenepos mit einem dumpfen unreflektierten Patriotismus.

Kupfer hat in Frankfurt aus einer romantischen Oper ein sowjetisches Propagandastück gemacht. Zwar gibt es nirgendwo in der Inszenierung eine explizite Referenz auf Stalin.  Doch implizit verherrlicht die Regie einen Mann, der sich nicht wie im Libretto für den Zaren, sondern der sich für das Vaterland und seinen Diktator aufopfert. Ein Leben für Stalin.

Zum Trost: es wurde in allen Rollen brillant gesungen, und die Musik würde man gern noch einmal hören. Michail Glinka – so urteilte unlängst Valery Gergiev in einem Gespräch mit dem Magazin Freunde der Salzburger Festspiele – „war der erste große russische Komponist überhaupt“. Er hätte, so möchte man ergänzen, eine seiner Oper angemessene Inszenierung verdient.

Wir sahen die Aufführung am 5. November 2015, die dritte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war  am 25. Oktober 2015.