Und Ruggiero endet als Pantoffelheld in der amerikanischen Provinz. David Alden inszeniert Alcina am Teatro Real in Madrid

Wer sich noch an  David Aldens legendäre Händel Inszenierungen an der Bayerischen Staatsoper erinnert, an Rinaldo, Orlando, Ariodante, der hofft darauf, dass ihn auch in Madrid eine spektakuläre Inszenierung erwartet, eine Inszenierung gegen den Strich, in der Alden unter Bewahrung der Grundstruktur der Libretti die alten Geschichten neu erzählt, eine neue Variante des Mythos vorschlägt.

In Madrid werden diese Erwartungen nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil. Der Alden Stil ist noch immer Garant für spektakuläre Aufführungen. Es gibt keine Zauberinsel, keine Zauberin oder gar eine Hexe Alcina, keinen Kreuzritter Ruggiero, der einer femme fatale verfällt und in den Armen einer Circe/Armida/Alcina seine Mission vergisst. In Madrid ist Ruggiero eine Art moderner Aussteiger, der sich in die Welt des Theaters geflüchtet hat, in eine Welt der Illusionen und Fiktionen, der dem spießigen Leben unter der Fuchtel der amerikanischen Hausfrau Bradamante entflohen ist. Und diese sucht mit allen Mitteln – und dazu gehört, so im Finale, auch die Schnapsflasche – den Entflohenen wieder einzufangen. Ein Versuch, der letztlich scheitert. Mag sie den gewaltsam volltrunken gemachten Bräutigam auch gleichsam vergewaltigen, Ruggiero träumt weiter von Alcina und der Welt des Theaters.

Einer Welt, in der Alcina ( in der Person der Karina Gauvin) Diva und Prinzipalin ist, Diva, die aus den Kulissen heraustritt und die schönsten Arien in höchster Brillanz singt, Prinzipalin, die über  Theatermaschinen  und Theaterfiguren verfügt, die Morgana als Logenschließerin, Revuegirl und Barbiepuppe auftreten lässt und den verliebten und gebeutelten Oronte in ein Affenkostüm steckt. Eine Alcina, von deren Theater am Ende nur die Brandmauern übrig bleiben, die scheinbar entschwindet und die doch in der Imagination und nicht nur in der des Ruggiero stets präsent ist. Das Theater, die Welt der Imagination, ist die eigentliche Welt. Vielleicht ist dies die Grundkonzeption der Inszenierung. Eine barocke Konzeption, die bei aller Aktualisierung der Personen und des Geschehens  Musik und Libretto wohl näher kommt als so manche sterile historisierende Aufführung und die noch weiß, dass Alcina/Armida die barocke Chiffre für die Scheinwelt des Theaters ist und diese Chiffre zum Angelpunkt der Inszenierung macht.

Spektakulär und ungewöhnlich ist die Szene. Grandios und brillant sind unter der Leitung von Christopher Moulds Musik und Gesang. Mit welcher Innigkeit Karina Gauvin die Melancholie Arien singt: „Sì, son quella! Non più bella […]“. „Mi restano le lagrime“.  Oder wie sie in den  Arie di furia o di dolore die große Tragödin singt und spielt oder mit welcher  melancholischen Leichtigkeit  Ruggiero (in der Person der Christine Rice ) die verdi prati Arie vorträgt, wie bis in die kleinsten Rollen alle Partien hochkarätig besetzt sind, wie Händel in Madrid in Vollendung dargeboten wird, all dies ist schon sehr beeindruckend.

Ein großer Opernabend im Teatro Real in Madrid. Wir sahen die Aufführung am 31. Oktober 2015, die dritte Vorstellung der laufenden Serie.