Ach! es ist ja auch so anrührend, wenn der biedere Landmann Lyonel, der bald zum Grafen mutieren wird, nach der entschwundenen Martha schmachtet, der Lady, die sich als Magd verkleidet hatte und die ihm mit dem melancholischen Volkslied „Letzte Rose, wie magst du so einsam hier blühn?“ den Kopf verdreht hat.
Doch spotten wir nicht über Omas Wunschkonzert. In Flotows Martha da wimmelt es nur so von wunderschönen Melodien, von Arien und Koloraturen, die an Donizetti erinnern, von Ensembleszenen, die wohl auf Rossini verweisen, ganz zu schweigen vom so eingängigen volksliedhaften Ton der ‚irischen Weise‘, deren Hauptmotive im vierten Akt gleichsam leitmotivisch wieder aufgegriffen werden und die zum Ohrwurm wurden. Was Flotows Musik ausmacht, das hat Stefan Frey im Programmheft (p.33) auf den Punkt gebracht: „Heute ist uns Flotows Eklektizismus, seine spielerische Leichtigkeit, mit der er mit Genres und Stilen jongliert, näher als der Biedersinn vieler seiner Zeitgenossen. Seine Musik ist weltläufig, urban, amüsant; alles Eigenschaften, für welche die deutsche Musikwissenschaft nie Verständnis hatte.“
Diese Martha, die im Jahre 1847 in Wien uraufgeführt wurde, ist ein hybrides Konstrukt. Sie ist keine deutsche Spieloper. Hierfür fehlt es ihr an Plumpheit und derbem Humor. Sie ist auch keine opéra comique im französischen Sinne. Es gibt keine gesprochenen Dialoge. Sie ist auch noch keine Operette im Stile eines Jacques Offenbach. Dafür fehlt es ihr an der scharfen Satire, wenngleich die vorsichtige Verspottung des Standesdünkels der Lady schon in die Richtung der Gesellschaftssatire geht. Sie hat eher etwas von einer Märchenoper oder auch etwas vom Hollywood Kitsch: der Prinz, der von seiner Herkunft nichts weiß, erringt nach schmerzvollen Prüfungen die Prinzessin „- und es war alles, alles gut!“ Flotows „romantisch-komische Oper“, wie sie der Komponist im Untertitel nennt, hat eigentlich von all diesen Gattungsformen etwas. Und gerade das macht ihren Reiz aus.
In Frankfurt stehen mit Maria Bengtsson in der Titelrolle und AJ Glückert als unglücklich verliebter Lyonel, um nur die beiden Protagonisten zu nennen, exzellente Sängerdarsteller auf der Bühne, und alle anderen Mitwirkenden können durchaus mithalten. Ein gleiches gilt für die Inszenierung, die Katharina Thoma verantwortet. Die Regie verlegt die Handlung aus dem frühen 18. Jahrhundert in die Entstehungszeit der Oper, in die Biedermeierwelt, und bricht diese mit ironisch-spöttischen Verweisen auf unsere Zeit wieder auf. Der sich langweilenden, leicht am ‚Weltschmerz‘ leidenden Lady fehlt ein Liebhaber. Die Vertraute weiß gleich Rat: schlag nach im Internet bei der Dating Agentur. Der verschrobene exzentrische Lord, der der Lady den Hof macht, fährt im Mini vor. Lyonel und sein angeblicher Halbbruder hausen, da ihr Haus noch eine Baustelle ist, im Wohnwagen. Die Queen, die dem armen Lyonel die Grafenwürde zurückgibt, ist in Kostüm und Maske natürlich die Queen, wie wir sie kennen. Der Markt zu Richmond, auf dem sich die Mädels im Dirndl präsentieren, verweist auf das Oktoberfest. Die hochadlige Gesellschaft im dritten Akt trifft sich auf dem Golfplatz, das glückliche Paar wird seine Flitterwochen im Wohnwagen verbringen usw.usw.
Flotows Oper, die viele Jahrzehnte lang ein Schlager im Repertoire war und heute praktisch vergessen ist, sollte auf die Bühne zurückkehren und dürfte, wenn sie in Musik und Szene so brillant präsentiert wird wie jetzt in Frankfurt, auch wieder ein Erfolg werden. Ein bis auf den letzten Platz ausverkauftes Haus feierte Martha enthusiastisch.
Wir sahen die Aufführung am 5. November 2016, die fünfte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 16. Oktober 2016.