Theater- und Filmemacher Serebrennikov hält es nicht mit den Liebesdiskursen des Settecento und auch nicht mit den Mythen der Aufklärung von der Manipulierbarkeit des Menschen und deren ironischer Verzerrung ins Parodistische, wie es einst Daponte und Mozart vorschlugen. Er optiert für das Handfeste: für Boulevardtheater, Klamotte, Parodie und Satire des Lifestyle junger Leute von heute und gibt dem Affen so richtig Zucker. Mit anderen Worten: er bedient die Altherrenphantasien über Weiber und Sex und provoziert so manchen der braven Zürcher Abonnenten zu blökendem Lachen. Sie wussten ja schon immer über die die Weiber Bescheid. Die wollen vor allem heißen Sex und als Zugabe Money fürs Shopping. Und wenn sie das nicht kriegen, dann werden sie hysterisch. So mag wohl so mancher im Publikum gedacht haben.
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Die Entführung findet nicht statt – und Konstanze landet in der Endlosschleife. Jetzke Mijnssen inszeniert Die Entführung aus dem Serail am Aalto- Musiktheater in Essen
Eine Wohltat. Endlich einmal keine Türkenposse, kein Märchen aus dem Morgenland, keine verschleierten Damen, keine als Gutmenschen getarnte Machos, keine hochnäsigen Europäer, keine frohgemut zu heimischen Betten zurückkehrenden Damen. Keine Angst vor der Hochzeitsnacht, keine Freud Sublimierungen und keine Volkshochschulkurse. Nichts von alle dem findet sich in der Essener Inszenierung.
In Essen steht Konstanze im Zentrum des Interesses, eine Frau, die zwei Männer liebt, die sich weder für den einen noch für den anderen zu entscheiden vermag. Wendet sie sich dem einen zu, dann sehnt sie sich nach dem anderen und will zu diesem zurückkehren. Und umgekehrt. Dieses Zögern, dieses Sich-nicht-Entscheiden- können geht wie in einer Endlosschleife immer weiter. Konsequenterweise hat die Essener Entführung kein Finale und erst recht kein happy end. Wo das Stück üblicherweise zu Ende ist, da beginnt die Ouvertüre von neuem. Konstanze, die allein auf der Bühne zurückgeblieben ist, greift sich die Reisetasche, die sie bei ihrer Ankunft im Hause des Selim mit sich trug, und geht davon. Zu welchem der beiden Männer? Zu Selim? Zu Belmonte?Das Spiel, das Spiel um die unmögliche Beziehung, um die nicht auflösbare Dreiecksgeschichte, das wir im Publikum gerade als Voyeure miterlebt haben, wird von neuem beginnen: Konstanze, eine junge Frau von heute liebt Selim, einen erfolgreichen, allseits beliebten jungen Mann von heute und kann ihren einstigen Geliebten Belmonte, den netten jungen Mann aus der Nachbarschaft (?), nicht vergessen. Auf der Party im Hause Selims trifft sie Belmonte wieder, will an die frühere Beziehung anknüpfen, tut es am Ende doch nicht, möchte zu Selim zurück, bleibt allein, bleibt beiden Männern treu und zugleich untreu. Frei nach Goethe eine Stella Variante, eine feminisierte Stella Variante? Oder ist alles nur viel banaler? Frei nach der Maxime, die eine Fraueninitiative in der Pariser Metro großflächig propagiert: “ Etre fidele a deux hommes c‘ est etre deux fois plus fidele“.
Wie dem auch sei. In Essen schlägt die Regie eine Variante, eine Version der Entführung vor, die überzeugt und gefällt. Schade nur, dass die Situierung der Handlung in ein Partymilieu nicht ganz durchgezogen wird. Zur „Qual der Seele“ , zur Seelenpein und Liebesklage treffen sich die Liebenden wohl in unbewohnten Räumen des Hauses ( sprich an der Rampe) und dass sich all dies im Rahmen einer Geburtstagsparty für einen gut situierten jungen Mann ereignen soll, das verliert der Zuschauer aus den Augen. Vielleicht passen auch die beiden Konzeptionen – Psychostudie einer zweifach Liebenden und Situierung der Handlung in eine oberflächliche ‚Spassgesellschaft‘ nicht so ganz zueinander. „Allein, was tut’s“. In Essen ist, das sagen wir ohne alle Mäkelei, ist eine ungewöhnliche Entführung zu sehen. Und das gilt nicht minder für Orchesterklang und Musik. Mit Simona Saturova als Konstanze und Bernhard Berchtold als Belmonte sind die Rollen der Protagonisten brillant besetzt sind. Es ist ein Vergnügen ist, die so oft gehörten Arien wieder zu hören, wenn sie – wie jetzt im Essener Musiktheater – so perfekt und so „seelenvoll“ vorgetragen werden.
Wir sahen die Vorstellung am 21. Juni 2012. Die Premiere war am 10. Juni 2012.
28. 03. 09 „Die spekulieren wohl auf die Abwrackprämie“. Eine Wiederaufnahme von Le Nozze di Figaro am Aalto-Musiktheater in Essen
Nein, so böse, wie das klingt, war die Bemerkung einer Besucherin wohl nicht gemeint. Und sie bezog sich wohl auch nicht auf die gesamte Inszenierung, sondern nur auf das Bühnenbild im letzten Akt. Aus dem nächtlichen ‚Garten der Lüste’ (für simple Gemüter: aus dem Garten der amourösen Verirrungen) ist in Essen ein Schrottplatz für die ausgedienten gräflichen Kutschen geworden, die ohne Rücksicht auf die Umweltverschmutzung geradewegs vor einem Pinienwäldchen abgestellt worden sind. Wir wollen das Schrottplatzmotiv nicht zum Symbol des Essener Figaro machen. Aber vielleicht sollten die Verantwortlichen im Aalto-Theater ihre etwas sehr in die Jahre gekommene harmlos-konventionelle Inszenierung doch bald ‚abwracken’, eine Inszenierung, die, mag sie auch vor mehr als zehn Jahren in manchem Feuilleton gelobt worden sein, brav und bieder das historische Ambiente der Mozart Zeit nachzustellen sucht, die das erotische Geflecht zwischen den handelnden Personen allenfalls andeutet und die von den möglichen Konflikten zwischen den Ständen, vulgo: von einem prärevolutionären Zeitgeist erst gar nichts wissen will. Mit einer solchen Produktion erregt man nirgendwo Anstoß.