Im Museum der ‚Grand Opéra’. Andreas Kriegenburg inszeniert Meyerbeer, Les Huguenots an der Opéra National de Paris

Wenn man wissen, hören, sehen will, was die grand opéra ausmacht, dann muss man dorthin fahren, wo sie entstanden ist: nach Paris. Dort gibt es dann alles auf einmal zu hören und zu sehen, was im frühen 19. Jahrhundert die Opernwelt bestimmte, ein Genre, dem sich weder Verdi noch Wagner entziehen konnten. Und die von viel oder auch zu viel Wagner und Verdi geschädigte Opernbesucherin glaubt bei Meyerbeer immer wieder Wagner und Verdi mitzuhören: Wagner bei den gewaltigen Chören und den Finalszenen, Verdi zum Beispiel in dem großen Liebesduett im vierten Akt. Vielleicht hat die Besucherin auch zu viel darüber gelesen, dass Verdi und vor allem der frühe Wagner, gewollt ob ungewollt, auf Meyerbeer zurück verweisen.

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Vergeblich malt (inszeniert) der Künstler im Atelier die Utopie von der schönen heilen Welt. Die Hugenotten am Staatstheater Nürnberg

Höchst selten hat man Gelegenheit, Meyerbeers Grand Opéra vom Jahre 1836 in unseren Musiktheatern zu sehen und zu hören. Die Hugenotten hatten wir zum ersten Mal vor drei Jahren im Théâtre de la Monnaie gesehen, wo Marc Minkowski und  Olivier Py  ein grandioses Spektakel in Musik und Szene präsentiert hatten, eine Grand Opéra, bei der Melomanen wie Voyeurs auf ihre Kosten kamen.

Jetzt in Nürnberg geht man (ich spreche von der Szene, nicht von der Musik) anders als in Brüssel die Sache weit subtiler an. Zwar konnten auch in Nürnberg die Melomanen recht zuftrieden sei, wenn man auch dort nicht Stars der internationalen Opernszene wie Marlies Petersen und Julia Lezhneva aufbieten konnte. Hier richtete sich das Interesse – genauer: mein Interesse – primär auf das Regiekonzept. Wie in Leipzig bei seinem Admeto, wie kürzlich in Karlsruhe bei seinen Meistersingern verblüfft auch hier Tobias Kratzer sein Publikum mit einer originellen Inszenierungskonzeption. Ausgehend von der Grundidee, dass die Grand Opéra  in Szene und Ausstattung  ein ‚Showstück‘ ist, dass sie auf die großen Tableaux aus ist, lässt die Regie Tableaux als Theater auf dem Theater nachstellen und macht dabei die Figur des Grafen von Nevers, der im Libretto die feindlichen Lager, die Hugenotten und die Katholiken, miteinander versöhnen will, zu einem Historienmaler des 19. Jahrhunderts, der die Utopien der Versöhnung auf seiner Leinwand darstellen und als Tableaux vivants  nachstellen will.  Ganz wie es das Libretto will, scheitern der Maler und sein alter Ego, der Graf  von Nevers, kläglich. In romantischer Manier treten die Figuren aus den Bildern heraus, beginnen ihr eigenes Leben, wollen ihren Fanatismus ausleben, enden unwiederbringlich in der Katastrophe – zum Entsetzen des Malers, der mit ansehen muss, wie ihm die Produkte seiner Imagination entgleiten, wie keine Utopie von Frieden und Versöhnung das Gemetzel aufhalten kann.

Eine Metatheater Konzeption und zugleich eine romantische Konzeption – eben mit dem Motiv der desaströsen Verlebendigung von Kunstfiguren. Die Literaten kennen dieses Motiv von Victor Hugo oder von Eichendorff oder vielleicht auch von Bécquer her, und die Liebhaber der Malerei werden nicht minder ihre Wiedererkennungsfreude genossen haben. Im ersten Akt Tafelszenen nach Rembrandt und Frans Hals und noch dazu ein bisschen Delacroix, im zweiten Akt die Fêtes Galantes der Rokokozeit, im dritten Akt mit dem Einbruch der „Gargouilles“ und den Kampfszenen, da sind wir wohl wieder bei einem Delacroix Pastiche, und im Schlussakt, wenn ein Trupp von Katholiken die Anführer der Hugenotten erschießt, bietet sich die Referenz auf Goyas Dos de Mayo gleichsam von selber an. Wohl noch viele andere Highlights aus der Kunstgeschichte wird die Regie  fragmentarisch zitiert haben, um im Finale, wenn der Maler eine blutbefleckte Leinwand hochhalten wird, bei den leuchtend roten Farbsegmenten eines Miró angelangt zu sein.

Die kunsthistorische Perspektive – und das ist das Besondere an Kratzers Regiekonzeption – lenkt zu keinem Zeitpunkt von Musik und Libretto ab. Im Gegenteil. Die pessimistische, um nicht zu sagen, nihilistische Weltsicht, wie sie Meyerbeer und Eugène Scribe in den Hugenotten vertreten, wird mit den Referenzen auf die Kunstgeschichte nur noch verstärkt. Musik und Text und Bilder, sie alle erzählen von der Vergeblichkeit, vom Fanatismus, vom Fundamentalismus, die sich verselbständigen und keinen Platz für Utopien lassen.

Ein großer Opernabend, der mit seiner Grundidee, seiner Message, seinen Referenzen, mit seinen durchweg unbekannten Klängen Teile des Publikums wohl etwas überfordert hast. Schon nach der ersten Pause blieben nicht wenige Plätze leer. Und dabei müsste sich doch schon seit langem herumgesprochen haben, dass unsere Hausgötter Verdi und Wagner  so manches Meyerbeer zu verdanken haben: die großen Chöre mit ihren Massenauftritten, die eingängigen lyrischen Szenen, die großen Auftrittsarien, mit einem Wort: eine Musik, die auf Effekte hin angelegt ist. „Allein, was tut’s“. Mir und noch vielen anderen, die bis zum Schluss dabei waren, hat es gefallen. Am Nürnberger Opernhaus ist eine Rarität zu hören und zu sehen, die der Opernfan nicht versäumen sollte.

Wir sahen die Aufführung am 22. Juni 2014. Die Premiere war am 15. Juni 2014.

 

 

Effektvoll – Spektakulär – Virtuos. Marc Minkowski und Olivier Py präsentieren Giacomo Meyerbeer: Les Huguenots im Théâtre de la Monnaie in Brüssel

Effektvoll – Spektakulär – Virtuos. Marc Minkowski und Olivier Py präsentieren Giacomo Meyerbeer: Les Huguenots im Théâtre de la Monnaie in Brüssel

Vor gut zehn Jahren, so schreibt Maestro Minkowski im Programmheft, habe sich ihm die Möglichkeit geboten, Wagner oder Meyerbeer zu dirigieren: Tristan und Isolde oder Robert Le Diable: „Il m’a fallu faire le choix  entre un chef – d’oeuvre absolu et l´inconnu“. Er habe sich für das heute praktisch Unbekannte und damals im 19. Jahrhundert so überaus Bekannte entschieden. Meyerbeer  heute aufführen zu können, das sei eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen dürfe.  Mit Les Huguenots werde im Brüsseler Opernhaus eine Rarität geboten, von der ein großes Pariser Opernhaus nichts  habe wissen wollen. Und so sind wir denn extra nach Brüssel gefahren, um in La Monnaie fünf Stunden lang Mayerbeer zu hören. Selbst die Dilettantin begreift sehr schnell, dass Verdi und Wagner dieser heute so gänzlich aus dem Repertoire verschwundenen Grand Opéra eines Meyerbeer so manches zu verdanken haben: die großen Chöre mit ihren Massenauftritten, die dramatischen und die so eingängigen ‚lyrischen‘ Szenen mit ihrem ‚Belcanto‘ wie  zum Beispiel die erste Arie  (mit obligater Solovioline) des Raoul, in der der junge Hugenottenanführer von seiner Liebe zu einer Unbekannten erzählt, die Auftrittsarie des Pagen mit der Botschaft der Königin für Raoul, die hoch artifizielle Koloraturarie der Königin zu Beginn des zweiten Akts. Szenen der Intimität, die mit den großen dramatischen Szenen kontrastieren wie der Verschwörung im vierten  Akt oder  der Ermordung der Hugenotten im Finale des fünften Akts. Bei Meyerbeer, so glaubt die Dilettantin, die  zuvor noch nie eine Oper des „grand Giacomo“  gehört hat, zu begreifen, ist alles spektakulär, alles auf Effekt hin an gelegt: das Leise, das vielleicht auch schon das Kitschige streift, das Laute, das dem seelenlosen Dröhnen manchmal nahe kommt. Oder warum sagen wir nicht, selbst auf die Gefahr hin, uns als vollständige Ignorantin zu outen: Wagner berauscht – Meyerbeer bietet  eher laue Drogen. Wagner zieht an oder stößt ab – Meyerbeer lässt trotz aller Passion die Zuhörer eher kalt. Ganz im Sinne der Musik setzt auch die Inszenierung auf das Spektakuläre und Effektvolle. Kein Zweifel: der französischen Theatermacher Olivier Py ( vor ein paar Jahren beeindruckte er uns in Genf mit seiner Trilogie du Diable)  weiß die Bedürfnisse seines Publikums zu befriedigen und die Klischees aus dem Fundus der Grand Opéra souverän aneinander zu reihen: ein bleicher graubärtiger Hugenotte, dem Kleriker und Frauen in gleicher Weise verhasst sind – beide sind des Teufels – und der im Choralton seinen Gott preist und diesen bedenkenlos für sich instrumentalisiert und als sein Gegenspieler ein machtgieriger, glatzköpfiger Katholikenanführer, der  in seinem Fanatismus alle Protestanten massakrieren will und aus Versehen seine  eigene Tochter gleich mit umbringt. Mitten zwischen den beiden Parteien eine scheinbar engelsgleiche Königin, die mit Intrigen und Verführungsspielchen ihre politischen Ziele verfolgt. Des Weiteren ein verliebter Hugenottenführer, der aus dem Teufelskreis des Fanatismus nicht auszubrechen vermag und – diesem zugetan  – das  katholische Mägdelein, das Töchterchen des gewalttätigen Katholiken, das im Finale  sich geradezu zu einer Jeanne d’Arc  steigert. Eine Konfiguration, die zwanghaft in die Tragödie  führen muss, ohne dabei das Publikum mit aufgesetzter Ideologie allzu sehr zu belästigen. Die verspäteten bürgerlichen Romantiker unter uns dürfen sich gefahrlos an der ‚Liebe als Passion‘ erfreuen. Die Gutmenschen im Publikum können sich entspannt zurücklehnen: die Kreuze, mit denen sich die verfeindeten Glaubensbrüder attackieren und massakrieren, waren ihnen schon immer verdächtig, und Fundamentalisten, wie sie sich da unversöhnlich auf der Bühne, sei es in den Kostümen des 16. Jahrhunderts, sei es im heutigen Outfit, gegenüber stehen, waren uns schon immer ein Graus – wir sind doch so liberal und tolerant  –  und dass die Mächtigen dem Sex nicht abgeneigt sind, das wissen wir ja aus der Zeitung. A propos Sex. Für die Voyeure unter uns hält die Regie Nackedeis beiderlei Geschlechts bereit – ganz zu schweigen von den barbusigen Tänzerinnen, die bei der in der Grand Opéra obligatorischen Balleteinlage für Entspannung sorgen. So haben wir denn in Brüssel ein großes Spektakel gesehen: ein Spektakel mit Sex und Crime, Fanatismus und romantischer Liebe bis in den Tod, eine Männerorgie im ersten Akt, ein mit ausschließlich weiblichem Personal bevölkertes Arkadien im zweiten Akt, ein Zigeunerballett nebst Schlägerei zwischen Fundamentalisten im dritten Akt, eine Verschwörung unter werten Herren mit Anleihen an Rembrandtbilder im vierten Akt. Und im fünften Akt – das ist ja eigentlich schon obligatorisch, da werden die verfolgten Hugenotten zu verfolgten Juden, die im Namen des Kreuzes zusammengeschossen werden und die sonst so blässliche Valentin, die Tochter des Anführers der Katholiken und heimlich angetraute neue Gattin des Hugenottenanführers, reckt als eine neue Jeanne d’Arc  den katholischen Herren siegessicher und rachsüchtig das Kreuz entgegen. Fanatismus und Fundamentalismus haben kein Ende. Doch Theatermann Py ist kein Ideologe, der das Theater zur ’moralischen Anstalt‘ machen will. Py  bietet auf der Basis des Librettos von Eugène Scribe Unterhaltung, spektakuläre Unterhaltung (die Message versteht sich von selber), und Meyerbeer und sein Interpret Minkowski wollen das Gleiche – auf höchstem  Niveau. Keine Frage, dass in Brüssel brillant gesungen und musiziert wurde. Keine Frage, dass die Inszenierung mit ihrer Opulenz dem Stil der grand Opéra entspricht. Keine Frage, dass eine Meyerbeer Ausgrabung sich alle Male lohnt. Doch mit Verlaub, hoch verehrter Maestro Minkowski, wenn ich die Wahl hätte, Tristan und Isolde oder  Les Huguenots wieder zu hören, dann wüsste ich mich schnell zu entscheiden.  Wir sahen die Vorstellung am 30. Juni  – es war die letzte der laufenden Serie. Die Premiere war am 11. Juni 2011.