„Meine Damen und Herren, liebe Opernbesucher, wenn Sie Mozartaufführungen sehen möchten, die nicht verschlissen und abgespielt, sondern neu und faszinierend sind, wenn Sie der behäbigen Kammersänger und der überreifen Sopranistinnen überdrüssig sind und lieber hochbegabte junge Sängerschauspieler hören und sehen möchten, wenn Sie das Pseudorokoko-Theater und die Perücken nicht mehr ausstehen können und sich mit einfacher Ausstattung und modernen Kostümen begnügen können, wenn sie langweilig-zähen Inszenierungen komödiantisches Theater vorziehen, ja dann machen Sie einen möglichst großen Bogen um den bayerischen Musentempel am Max-Joseph-Platz und fahren Sie zum Prinzregententheater, zur Bayerischen Theaterakademie. Hier wird mit Temperament und Begeisterung, mit Passion und hohem Können Mozart gesungen und gespielt. Dort sehen Sie nicht wie in der Staatsoper Stars von heute oder auch von gestern, die sich routiniert oder auch recht mühsam in verstaubten Kulissen bewegen und ihre Arien und Rezitative abliefern. Hier im Prinzregententheater sehen Sie den einen oder anderen Star von morgen. Hier im Prinzregententheater, wo sich für den Figaro die Hochschule für Musik und die Theaterakademie zusammengetan haben, erlebt der Zuschauer, was Musiktheater zu allererst sein kann und eigentlich auch sein soll: Können, Begeisterung, Spielfreude. Und da macht es gar nichts, wenn im vierten Akt der eine oder anderer der Akteure an seine Grenzen kommt, wenn die Regie das nächtliche Dunkel im Park allzu wörtlich nimmt und vom so witzigen Metatheaterkonzept, das vor allem den ersten Akt bestimmte, abkommt. Wie dem auch sei. Im Vergleich zu dem erbärmlichen und peinlichen Figaro, den die Bayerische Staatsoper vor ein paar Wochen als Alternative zum Münchner Oktoberfest bot, ist der Figaro der Theaterakademie alle Male ein Ereignis. Ich mache keine Sängerkritik. Wir sind nicht auf dem Fußballplatz, wo es bekanntlich jeder Fan besser weiß und besser kann als die Akteure. Ich sage einfach nur, dass mir Maria Pitsch in der Rolle der Susanna von allen am besten gefallen hat. Eine so glockenklar singende, eine so begeistert spielende Susanna sieht man nicht sehr oft auf der Opernbühne. Wir sahen die Vorstellung am 16. November. Weitere Vorstellungen sind noch am 20., 22. und 23. November. Sie sollten, meine Damen und Herren, den Figaro der Bayerischen Theaterakademie nicht versäumen“.
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Gemächlich und behäbig – zum letzten Mal Così fan tutte in der Bayerischen Staatsoper
Gemächlich und behäbig – zum letzten Mal Così fan tutte in der Bayerischen Staatsoper – und auch zum letzten Male Le Nozze di Figaro
Nein, ich wollte nicht mehr hingehen. Über Dieter Dorns jetzt bald zwanzig Jahre alte Inszenierung braucht man nicht mehr zu reden (Das habe ich an anderer Stelle zu genüge getan). Die intellektuelle Dürftigkeit und spießige Behäbigkeit, mit der hier in München Mozart und Da Pontes Oper einstens in der Ära Sawallisch in Szene gesetzt worden ist und noch immer einem freundlich gestimmten Publikum präsentiert wird, das ist über weite Strecken nur noch peinlich. Doch gesungen wird in München immer noch höchst brillant. Und um Sally Matthews als Fiordiligi, den unbestrittenen Star des Abends, zu hören, dafür muss man halt eine belanglose und abgespielte Inszenierung ertragen. Es bleibt ja immer noch Mozarts Musik, wenngleich sie am gestrigen Abend nicht gerade mit sonderlicher Verve präsentiert wurde. Wir sahen die Aufführung am 30. September 2010.
Ja, und dann haben wir zu unserem Ärger am Sonntag darauf noch einmal Le Nozze di Figaro erlitten, ebenfalls ein Dorn Produkt, über das ich an anderer Stelle schon das Nötige gesagt habe. Allein was an diesem Abend in der Bayerischen Staatsoper geboten wurde, dazu schweigt Zerlinas Höflichkeit. Auf der Bühne ein unmotiviertes, teilweise indisponiertes Ensemble, dem die Intendanz allenfalls zwei Proben zugestanden hatte. So viel Hilflosigkeit, so viel Erbärmlichkeit habe ich lange nicht mehr auf der Opernbühne gesehen. Ein Vorschlag an die Intendanz: schließt den Laden während der Zeit des Oktoberfests.
Liebesreigen im Penthouse. Im Theater Basel transponiert Elmar Goerden Le Nozze di Figaro in die amerikanische High Society
Da haben sie nun die Perücken und die Rokokokostüme abgelegt und tragen die modische Kleidung von heute, da haben sie Spanien, das Schloss und den Garten mit seinen Pinien verlassen und residieren und wohnen alle zusammen im Penthouse mit einer Gartenterrasse voller Kakteen, mit dem Blick auf die Lichter einer Metropole: der Conte einer eleganter junger Mann, dem wohl ein großes Vermögen zugefallen ist, die Contessa eine etwas schnippische, blonde Dame mit einem Hang zu teuren Roben, Figaro eine Mischung aus Hausmeister und Hausfreund, Cherubino auch so eine Art Hausfreund, Bartolo ein gut situierter Rentner, Marcellina eine bösartige Zicke, Basilio ein Chauffeur in Lederjacke und Jeans, Barbarina die farbige Hausangestellte im gestreiften Kittel. Und Susanna? Susanna ist wie immer: eine attraktive junge Frau, die scheinbar getrieben doch die Herrin des Spiels ist. Mögen sie auch die Kostüme gewechselt haben, mögen sich auch die Zeiten geändert haben, Erotomanen sind doch allesamt geblieben, Liebessüchtige, die nicht voneinander lassen, die mit der Liebe oder genauer: mit den Liebesdiskursen ihr Spiel treiben. Und wer die meisten Diskurse beherrscht und mit diesen am besten zu spielen weiß, der steht am Ende eines „ tollen Tags“ als Sieger da. Und Sieger ist zweifellos Susanna: Le nozze di Susanna ist der eigentliche Titel des Stücks, der eigentliche Titel des Spiels mit der Liebe. Und so wird es auch im Theater Basel begriffen und in Szene gesetzt. All der obsolete Theaterplunder des 18. Jahrhunderts, die scheinbar zwanghaften Verweise auf die bevorstehende große Revolution, ohne die so manch mittlerer Theatermacher nicht auszukommen glaubt, all dies wird einfach weggelassen, eben zu Gunsten des heiteren Spiels mit der Liebe, eines Spiels, dem es an parodistischen Zitaten nicht mangelt und deren Bedeutung sich auch dem simpelsten Zuschauer leicht erschließt: die Dachterrasse ein Wald, ein ‚Lustgarten’ voll Kakteen, an denen sich die Akteure immer wieder schmerzlich stoßen, der düpierte Conte, der gleichsam in einem kollektiven (Geschlechts)akt an die Wand gedrückt wird, Cherubino, der einen ganzen Koffer voller Papillons dabei hat: papierne Liebespfeile, die zur Polonaise auf das verängstige Grafenpaar fliegen, ein Tanz der Liebespfeile anstatt der oft so unseligen Tänze, die in manchen Aufführungen die Chorsänger veranstalten müssen. Im Finale schießt Cherubino die übrig gebliebenen Pfeile ins Publikum. Und wer jetzt immer noch nicht verstanden hat, um was es in Le Nozze di Figaro geht, ja dem ist nicht zu helfen. Anders ausgedrückt: gut gemeinte Überdetermination muss nicht unbedingt sein. Es versteht sich von selber, dass eine Konzeption, die ganz im Sinne Mozarts und Da Ponte auf den Reigen der Liebesdiskurse als Grundstruktur setzt, nur dann aufgehen kann, wenn wie jetzt hier in Basel herausragende junge Sängerschauspieler, die mit ihrer Spielfreude und ihrem Witz, ihrer Leichtigkeit und ihrem Charme und selbstverständlich mit ihrer sängerischen Brillanz brillieren, auf der Bühne stehen. Mag auch der Basler Figaro in seiner Konzeption an Bechtolfs Zürcher Figaro erinnern. Gelungen ist er alle Male. Wir sahen die Aufführung am 10. Mai 2010. Die Premiere war am 25. März dieses Jahres.
Scherenschnitte im weißen Guckkasten. Noch einmal Le nozze di Figaro an der Bayerischen Staatsoper
Scherenschnitte im weißen Guckkasten. Noch einmal Le nozze di Figaro an der Bayerischen Staatsoper
Dorns Inszenierung habe ich in den letzten Jahren schon ein paar Mal gesehen – und erlitten. Die kritischen Bemerkungen, die ich mir schon vor ein paar Jahren über diese – vorsichtig gesagt – nicht gerade glanzvolle Inszenierung notiert habe, brauche ich an dieser Stelle nicht zu wiederholen. Nur eine Ergänzung: wenn man nur weit genug weg sitzt – ich hatte den Platz „Balkon rechts, Reihe 1“, dann lässt sich der Inszenierung, die auf mich immer wie ein verstaubtes Pseudo-Rokoko Schauspiel wirkte, vielleicht doch noch etwas abgewinnen. Soll die grell weiß ausgeleuchtete verengte Guckkastenbühne, auf der durchweg farbig gekleidete Figuren agieren, vielleicht den Hintergrund für ein Spiel der Scherenschnitte geben? Aus der Distanz wirken die Figuren in der Tat wie Scherenschnitte vor weißem Hintergrund. War es das? Ein hübscher Gag. Aber mehr auch nicht. Ansonsten nichts Besonderes. Zwar standen in der Vorstellung, die ich am vergangenen Montag sah, mit Michael Volle und Erwin Schrott zwei Starsänger auf der Bühne, die beim Zürcher Figaro begeisterten. Aber viel genützt hat das dem Münchner Figaro nicht. All die Spielfreude, all das komödiantische Talent, mit der die beiden in Zürich sangen und agierten, sind in München fast zur Routine erstarrt. Und von den beiden Damen, die in München als Protagonistinnen auf der Bühne standen und die doch eigentlich in Mozart und Da Pontes Reigen der Liebesdiskurse dominieren müssten, über die sag ich am besten gar nichts. Dem Münchner Figaro, das zeigt sich auch in dieser Aufführung wieder, fehlt im Gegensatz zur Zürcher Aufführung aller Schwung, alle Begeisterung, letztlich mit Ausnahme ganz weniger Sequenzen alle Spielfreude. Alles wirkt wie ein routiniert eingespieltes Pflichtprogramm, das seit vielen Jahren heruntergespult wird. „Die schöne Musik“ – diese Lieblosigkeit, die hat sie nicht verdient. Das war wirklich das letzte Mal, dass ich zum Münchner Figaro gegangen bin. Wir sahen die Vorstellung am 22. März 2010. Wie viele Male diese Produktion schon gezeigt wurde? Darüber schweigt der Besetzungszettel.
28. 03. 09 „Die spekulieren wohl auf die Abwrackprämie“. Eine Wiederaufnahme von Le Nozze di Figaro am Aalto-Musiktheater in Essen
Nein, so böse, wie das klingt, war die Bemerkung einer Besucherin wohl nicht gemeint. Und sie bezog sich wohl auch nicht auf die gesamte Inszenierung, sondern nur auf das Bühnenbild im letzten Akt. Aus dem nächtlichen ‚Garten der Lüste’ (für simple Gemüter: aus dem Garten der amourösen Verirrungen) ist in Essen ein Schrottplatz für die ausgedienten gräflichen Kutschen geworden, die ohne Rücksicht auf die Umweltverschmutzung geradewegs vor einem Pinienwäldchen abgestellt worden sind. Wir wollen das Schrottplatzmotiv nicht zum Symbol des Essener Figaro machen. Aber vielleicht sollten die Verantwortlichen im Aalto-Theater ihre etwas sehr in die Jahre gekommene harmlos-konventionelle Inszenierung doch bald ‚abwracken’, eine Inszenierung, die, mag sie auch vor mehr als zehn Jahren in manchem Feuilleton gelobt worden sein, brav und bieder das historische Ambiente der Mozart Zeit nachzustellen sucht, die das erotische Geflecht zwischen den handelnden Personen allenfalls andeutet und die von den möglichen Konflikten zwischen den Ständen, vulgo: von einem prärevolutionären Zeitgeist erst gar nichts wissen will. Mit einer solchen Produktion erregt man nirgendwo Anstoß.