Da haben sie nun die Perücken und die Rokokokostüme abgelegt und tragen die modische Kleidung von heute, da haben sie Spanien, das Schloss und den Garten mit seinen Pinien verlassen und residieren und wohnen alle zusammen im Penthouse mit einer Gartenterrasse voller Kakteen, mit dem Blick auf die Lichter einer Metropole: der Conte einer eleganter junger Mann, dem wohl ein großes Vermögen zugefallen ist, die Contessa eine etwas schnippische, blonde Dame mit einem Hang zu teuren Roben, Figaro eine Mischung aus Hausmeister und Hausfreund, Cherubino auch so eine Art Hausfreund, Bartolo ein gut situierter Rentner, Marcellina eine bösartige Zicke, Basilio ein Chauffeur in Lederjacke und Jeans, Barbarina die farbige Hausangestellte im gestreiften Kittel. Und Susanna? Susanna ist wie immer: eine attraktive junge Frau, die scheinbar getrieben doch die Herrin des Spiels ist. Mögen sie auch die Kostüme gewechselt haben, mögen sich auch die Zeiten geändert haben, Erotomanen sind doch allesamt geblieben, Liebessüchtige, die nicht voneinander lassen, die mit der Liebe oder genauer: mit den Liebesdiskursen ihr Spiel treiben. Und wer die meisten Diskurse beherrscht und mit diesen am besten zu spielen weiß, der steht am Ende eines „ tollen Tags“ als Sieger da. Und Sieger ist zweifellos Susanna: Le nozze di Susanna ist der eigentliche Titel des Stücks, der eigentliche Titel des Spiels mit der Liebe. Und so wird es auch im Theater Basel begriffen und in Szene gesetzt. All der obsolete Theaterplunder des 18. Jahrhunderts, die scheinbar zwanghaften Verweise auf die bevorstehende große Revolution, ohne die so manch mittlerer Theatermacher nicht auszukommen glaubt, all dies wird einfach weggelassen, eben zu Gunsten des heiteren Spiels mit der Liebe, eines Spiels, dem es an parodistischen Zitaten nicht mangelt und deren Bedeutung sich auch dem simpelsten Zuschauer leicht erschließt: die Dachterrasse ein Wald, ein ‚Lustgarten’ voll Kakteen, an denen sich die Akteure immer wieder schmerzlich stoßen, der düpierte Conte, der gleichsam in einem kollektiven (Geschlechts)akt an die Wand gedrückt wird, Cherubino, der einen ganzen Koffer voller Papillons dabei hat: papierne Liebespfeile, die zur Polonaise auf das verängstige Grafenpaar fliegen, ein Tanz der Liebespfeile anstatt der oft so unseligen Tänze, die in manchen Aufführungen die Chorsänger veranstalten müssen. Im Finale schießt Cherubino die übrig gebliebenen Pfeile ins Publikum. Und wer jetzt immer noch nicht verstanden hat, um was es in Le Nozze di Figaro geht, ja dem ist nicht zu helfen. Anders ausgedrückt: gut gemeinte Überdetermination muss nicht unbedingt sein. Es versteht sich von selber, dass eine Konzeption, die ganz im Sinne Mozarts und Da Ponte auf den Reigen der Liebesdiskurse als Grundstruktur setzt, nur dann aufgehen kann, wenn wie jetzt hier in Basel herausragende junge Sängerschauspieler, die mit ihrer Spielfreude und ihrem Witz, ihrer Leichtigkeit und ihrem Charme und selbstverständlich mit ihrer sängerischen Brillanz brillieren, auf der Bühne stehen. Mag auch der Basler Figaro in seiner Konzeption an Bechtolfs Zürcher Figaro erinnern. Gelungen ist er alle Male. Wir sahen die Aufführung am 10. Mai 2010. Die Premiere war am 25. März dieses Jahres.