Requiem für Popstar Bellini. Ein Fest des Belcanto in einer ehrgeizigen Inszenierung. I Puritani an der Oper Frankfurt

„Die unendliche Melodie“ – Doch nicht nur. Es mag ein schon von den Zeitgenossen verbreitetes Vorurteil oder gar ein Zerrbild sein, in Bellini nicht den Musikdramatiker, sondern nur den Schöpfer der unendlichen Melodie, der „lyrischen Kantilenen“ sehen zu wollen. Kantilenen, die an die Emotionen der Zuhörer appellieren, diese im Extremfall zu Tränen rühren wollen. Und doch, mögen die Musikhistoriker auch zu Recht den Musikdramatiker Bellini rühmen, was an Bellinis Opern fasziniert, das ist vor allem der Belcanto, das Melodiöse – und so war es auch wieder in Frankfurt.

Besser und schöner und eindrucksvoller als wir es im Frankfurter Opernhaus erlebt haben, lässt sich Bellini wohl nicht besetzen. Gleich vier Stars der internationalen Opernszene singen und agieren hier. Brenda Rae in der Rolle der unglücklichen, in den Wahnsinn getriebenen Elvira. John Osborn als ehrgeiziger Höfling und Verführer, der die Braut am Hochzeitstag verlässt, um sich als Retter der Königin hervor tun zu können. Der Bariton Iurii Samoilov als letztlich großmütiger Rivale um die Gunst der Schönen. Der Bass Kihwan Sim als verständnisvolle Vaterfigur. Belcanto in Perfektion. Wollte man beschreiben, mit welcher Brillanz und Bellezza in Frankfurt gesungen wurde, dann bliebe einem nur die so schrecklich abgegriffene Feuilletonlyrik. Sagen wir einfach – frei nach Mozart – „die geläufigen Gurgeln“, die großen Stimmen kann man nur bewundern. Bei dieser Bewunderung geriet so mancher Belcanto Fetichist schier aus dem Häuschen – „Orgasmus in der Opernloge“.… → weiterlesen

Belcanto nebst Griff in die Theaterkiste. Jossi Wieler und Sergio Morabito inszenieren Bellini, I Puritani an der Oper Stuttgart

Bei Bellini und Donizetti – viele Male konnte ich dies schon konstatieren – braucht man eigentlich nur vier herausragende, höchst brillante Sänger, und alles andere ist letztlich unwichtig. Sagen wir es gleich: in Stuttgart stehen diese vier Belcanto Sänger  auf der Bühne und – sagen wir es ruhig pathetisch –  ‚verzaubern‘ ihr Publikum mit Bellinis unendlichen Melodienbögen: die Sopranistin Ana Durlovski als unglücklich liebende Elvira, der Tenor Edgardo Rocha als nicht minder unglücklicher Liebhaber Arturo, der Bariton Gezim Myshketa als verschmähter Rivale Riccardo und der Bass Adam Palka in der Rolle des Giorgio, des uneigennützigen Helfers des Liebespaars – im Libretto der Onkel der Protagonistin und im Regiebuch der Spielleiter: in Kostüm und Maske ein Selbstporträt von Jossi Wieler. Wie Giorgio gleich bei seinem ersten Auftritt seine Theaterkiste aufmacht, eine Marionette hervorholt und mit dieser Elvira vorspielt, wie er ihren noch zögernden Vater dazu überredet habe, seine Tochter dem schönen Lord Arturo und nicht dem gewalttätigen Puritaner Riccardo zur Frau zu geben, so hat auch Jossi Wieler seine  Theaterkiste geöffnet und das Bellini Fest der Stimmen zugleich zu einem Fest der Regie gemacht.

Alles (beinahe alles), was das Theater nur hergibt, wirft Wieler auf die Bühne: fanatische, schwarz gekleidete Fundamentalisten mit der Bibel (nein, nicht mit dem Koran) in der Hand,  eine ganz der ‚Liebe als Passion‘ hingegebene junge Frau, die zum Opfer politischer Intrigen und von Macho Gehabe wird und der nur die Flucht in Wahn und Traum bleibt, den schönen Liebhaber, der von Maske und Kostüm her einem Stück von Corneille entsprungen sein könnte und dementsprechend zwischen gloire/devoir und amour, zwischen ‚Pflicht und Neigung‘ schwankt und am Ende alles verliert, den von Rachsucht getriebenen Rivalen, für den der religiöse Fundamentalismus nur Vorwand für persönliche Rache ist, den gutmütigen jungen Mann, der doch nur das Beste für das Liebespaar will, ein Fra Lorenzo als Gutmensch von heute, und dem das Spiel entgleitet.… → weiterlesen