Ein disparater Ring. Zur Wiederaufnahme des Ring des Nibelungen am Aalto-Musiktheater Essen

Bei der Planung des Essener Rings hat man sich am vor Jahren erfolgreichen Stuttgarter Modell orientiert: vier Stücke, vier Regisseure, vier Deutungen, vier konträre Stile. Ein bewährtes Rezept, das gezielt auf Heterogenität  und Vieldeutigkeit setzt  und das auch in Essen erfolgreich umgesetzt wird.

Das Rheingold inszeniert man als wilde Sex and  Crime  und Gewalt Story, die sich im lateinamerikanischen Gangstermilieu, in Müllhalden, Bordells und zwielichtigen Büros und Wohnungen  ereignet –  und  erschlägt mit einer simultan laufenden Bilderfülle geradezu Wagner und reduziert die Musik zum Filmsound. In der Walküre ist man seriös und erzählt im Stil der großen Romane des späten des 19. Jahrhunderts die Geschichte vom ‚Verfall einer Familie‘  im Milieu einer preußischen Militärkaste und setzt die Musik wieder in ihre Rechte ein. Im Siegfried weiß  man in den ersten beiden Akten nicht so recht, was man will und steigert  sich dafür im dritten Akt  zu einem geradezu umwerfenden Wagnerrausch und zitiert dazu im Finale in wohl parodistischer Absicht  als Gegendroge  aus Inszenierungen des späten 19. Jahrhunderts. Und die Götterdämmerung? Die ist  von ihrer ganzen Konzeption her szenisch und musikalisch einfach nur brillant. Da gibt es  nichts  (oder fast nichts) zu mäkeln.… → weiterlesen

Von scheinbar großen und scheinbar kleinen Musiktheatern. Anmerkungen zum Berliner Samson und zum Lübecker Ring

Von scheinbar großen und scheinbar kleinen Musiktheatern. Anmerkungen zum Berliner Samson und zum Lübecker Ring

Manchmal frage ich mich, ob nicht die Musiktheater in der ‚Provinz’ die eigentlichen großen Bühnen sind und ob man sich den Besuch der renommierten Staatstheater nicht besser ersparen sollte. Eine Erfahrung, die wir zuletzt beim Lübecker Ring machen mussten. Ein paar Tage zuvor hatten wir eine reichlich dürftige Samson et Dalila Inszenierung an der Deutschen Oper in Berlin gesehen. Das Haus hatte zwar die üblichen Sängerstars und einen bekannten Ausstatter, der in Personalunion gleich auch noch die Regie übernommen hatte, engagiert. Doch eine halbwegs interessante Aufführung kam nicht zustande. Zwar sang die berühmte bulgarische Mezzosopranistin  von der Zürcher Oper durchaus brillant (dass sie nicht schauspielern kann und  vor allem bei den Femme fatale Rollen ziemlich hilflos wirkt, das müssen wohl inzwischen auch ihre Fans zugeben), und der berühmte Bayreuth Sänger sang auch einen beachtlichen Samson, und ein paar hübsche Bühnenbilder waren auch zu sehen. Die Regiekonzeption, wenn es denn eine gab, war, um es vorsichtig zu sagen, heterogen und versuchte das Geschehen in der Zeit des deutsch-französischen Krieges von 1870 (also mehr oder weniger in der Entstehungszeit der Oper) zu verorten. Ein hübscher, wenn auch antiquierter Ansatz, der nur ein obsoletes Opernspektakel entstehen ließ, das mit der beklemmenden Aktualität, die zum Beispiel die Nürnberger Samson und Dalila Inszenierung auszeichnet, nicht im geringsten mithalten kann. Ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Musiktheater in einer mittelgroßen Stadt die hauptstädtischen Bühnen klein aussehen lässt. Doch wir wollen nicht von der Berliner Musiktheater Szene sprechen (zum Berliner Ring im Schillertheater finden sich bereits zwei Artikel in unserem Blog), sondern vom großartigen Lübecker Ring. Beim Lübecker Ring im kleinen Jugendstil Theater, da stimmt nahezu alles. Vom rauschhaften Wagner Klang, den Maestro Brogli-Sacher  mit dem „Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck“ produziert, über die mit nur ganz wenigen Ausnahmen brillanten Sängerschauspieler bis hin zu einer geistreichen und literarisch beschlagenen Regie, die mit Thomas Mann Figuren spielt und diese ironisch verfremdet – mit  einem Blinzeln hin zum Publikum, das zur Mitwirkung im literarischen Spiel eingeladen ist, das die Übermalungen der Wagner Figuren erkennen  und  Wagner gleichsam als Thomas Mann Leser sehen soll. Eine anachronistische Lesart, die neues Bedeutungspotential erschließt. Da wird aus dem Walküre Wotan ein gebrochener Thomas Buddenbrook, ein Wotan, den wie sein Bruder im Geiste das Ende nicht mehr schreckt, seit er es selber will. Gunther präsentiert sich bei seinem ersten Auftritt als schwuler Clown Christian Buddenbrook, und die zickige Gutrune verweist auf die naiv durchtriebene Tony. Natürlich fehlen nicht die Wälsungenblut Geschwister, denen allerdings von Glanz und Dekadenz und Reichtum nichts mehr geblieben ist: der geliebte Bruder kehrt als Borcherts Kriegsheimkehrer Beckmann zurück, und Sieglinde ist zur verhuschten kleinen Hausfrau geworden und das Spottobjekt der Geschwister, der Sieglinde zugedachte Ehemann, ist  in seiner Rolle als Hunding zur Shylock  Karikatur mutiert. Im Siegfried sind wir dann wieder ganz bei Thomas Mann: in der Zauberberg Klinik, dem ausschließlichen Ort der Handlung. Mime, der „weise Zwerg“ hat es zum  Chefarzt gebracht, Alberich zum debilen Militär, der im Rollstuhl von der Weltherrschaft träumt, Fasolt ist ein übergewichtiger, misslauniger alter Mann, der in einem riesigen Bett in einem Extrazimmer thront. Wotan ist ein in die Jahre gekommener Rocker, der wohl der heimliche Boss der Klinik ist und dem  die aufreizende Oberschwester (bei Wagner das Waldvöglein) zu Diensten ist. Siegfried ist so eine Art Hausfaktotum, das durch die Klinikräume stürmt, ein kräftiger Zauberberg Bediensteter, der mit seinem Ungestüm allerlei Unheil anrichtet – sanft geleitet von der Oberschwester.  Brünnhilde schläft im Turmzimmer der Klinik und träumt wohl von der inzestuösen Liebe zu Vater Wotan: kaum hat das Enfant terrible Siegfried  sie‚erweckt’, da steckt sie diesen gleich in Papas Generalsmantel und setzt ihm dessen Mütze auf, dem armen Siegfried, der gelangweilt herumsteht und endlich zur ’Sache kommen’ will. Das berühmte Finale: eine ironisch verzerrte Liebesszene – vielleicht eine Parodie auf den ‚Höhepunkt’ im Wälsungenblut. Natürlich gelingen die Verweise nicht immer oder sind für literarisch Unbedarfte nicht zu erkennen. „Allein, was tut’s“. Der Lübecker Ring ist ein Kabinettsstück der literarischen Verweise, geistreich, unterhaltsam,  ironisch gebrochen und berauschend alle Male. Wagner liest Thomas Mann und Borchert und… – Wir sahen das Rheingold am 20. Mai. Die Walküre am 22. Mai. Siegfried am 27. und Götterdämmerung  am 29. Mai.

 

 

Vollendet das mühvolle Werk – als Fantasy Spektakel und Sängerfest. Der neue Wiener Ring wird zum ersten Mal als Zyklus aufgeführt

5. bis 10. Mai 2009

Gleich nach der Rheingold Premiere vom 2. Mai (in Wien kommt halt das Vorspiel nach dem Nachspiel) präsentiert die Staatsoper den Ring als Zyklus. Die Walküre, den Siegfried und die Götterdämmerung hatte ich nach den jeweiligen Premieren im vergangenen Jahr  schon gesehen. Jetzt beim Gesamtwerk hat sich der erste Eindruck kaum verändert: ein Zögern zwischen Begeisterung  und Skepsis, wobei allerdings jetzt die Begeisterung überwiegt.  Keine Frage: in Wien wird grandios musiziert und in fast allen Rollen brillant gesungen und gespielt. Wenn man  noch dazu das Märchenhafte am Ring liebt, auf das die Regie den Hauptakzent setzt, dann bleiben keine Wünsche offen. Wer sich hingegen von Wagner und seinen Deutern Welterklärungsmodelle erhofft, der kommt in Wien  nicht auf seine Kosten. Mir persönlich ist allemal die „holde Kunst“ ganz ohne ideologische  Verbrämungen am liebsten. Und in diesem Sinne hat mir der Wiener Ring gefallen. Für den, der es etwas genauer wissen möchte, was mir denn an Welser-Mösts und Bechtolfs  Wagner Spektakel gefallen hat (oder auch missfallen hat), für den schreibe ich – mit der einen oder anderen Ergänzung –  noch einmal auf, was ich mir im vergangenen Jahr zu den einzelnen Aufführungen notiert habe (Vgl. Zerlina von Faninal, „Die schöne Musik! […] Da muß ma weinen“. Vom Spektakel der Inszenierungen. Blätter aus Zerlinas Opern-Tagebuch (2005-2008). München – Zürich – Salzburg –Stuttgart –Wien – und die Provinz. München 2008, Martin Meidenbauer-Verlag). 

Die Walküre oder Sieglindes fatale Liebe als Passion: ein Spiel der Leidenschaften und der Sehnsüchte

In Wien ist halt alles anders. Da beginnt man den neuen Ring gleich mit der Walküre und spielt Das Rheingold nach der Götterdämmerung. In Wien ist halt alles anders. Da gibt’s kein Kriegsszenarium und kein Weißes Haus und keine hohen Militärs, da gibt es  keine Umweltkatastrophe und keinen Kampf zwischen Matriarchat und Patriarchat, da gibt es kein romantisches Schicksalsdrama und keinen Traumdiskurs, keine Popkultur und keine amerikanischen Filmsequenzen, kein Bayreuther Festspielhaus als Szenarium und kein Metatheater und schon gar nicht Parodie und  Ironie. Hier erzählt man, ganz wie es im Libretto steht und wie es die „sehn-süchtige“ Musik suggeriert, zwei tragisch (oder vielleicht auch nur traurig) ausgehende wilde Liebesgeschichten, zwei inzestuöse Passionen, die nicht ausgelebt werden können. Dass Regisseur Bechtolf sich auf die erotischen Diskurse und deren Symbole versteht und diese in ganz der Musik entsprechende  Bilder umzusetzen weiß, dies ist dem Zuschauer, der Bechtolfs Zürcher Mozart-Inszenierungen kennt (und bewundert), nicht neu. Wenn man auf Erotik, Passion und Sinnlichkeit als Grundkonzeption der Inszenierung setzt, dann ist es nur konsequent, dass  Sieglinde nicht das verhärmte Frauchen an Macho Hundigs Herd ist, sondern zur passionierten Verführerin wird, die den etwas unbedarften Siegmund schon gleich in den ersten Szenen für sich gewinnt. Und dann versteht sich auch, warum diese Sieglinde zur Ouvertüre den Stamm, in den Wotan das Schwert gestoßen hatte, wie einen Phallus umklammert. In diesem – ganz wie es die Musik verlangt – erotisch aufgeladenem Szenarium muss das Schwertmotiv geradezu eindeutige sexuelle Konnotationen gewinnen, das Schwert, das der brave Siegmund so ohne Mühe herauszieht und im Finale des ersten Akts so jubilierend präsentiert. Selbst die Gestalt der Fricka, die konventionell so gern als frustrierte ältliche Ehefrau gegeben wird, wird bei Bechtolf in Kostüm und Habitus zur Fruchtbarkeitsgöttin und Verführerin. Nur der Figur der Walküre wird erotische Ausstrahlung versagt. Keusche Umarmungen deuten die mögliche inzestuöse Beziehung zu Vater Wotan gerade mal nur an. Alle mit der Walküre assoziierte Erotik wird in ein Nebenmotiv verlagert, in das Pferdemotiv. Im dritten Akt platziert die Regie gleich ein ganzes Rudel (Plastik)Pferde in den Bühnenhintergrund. Natürlich sind die Pferdefiguren im platten Realsinn die Pferde der von Wotan fort gescheuchten Walküren. Die symbolischen Konnotationen des Motivs sind indes überdeutlich: das Pferd ist  von alters her das Symbol der Wollust, das Sinnbild der Luxuria. Latente Wollust ist (oder wird) das Attribut der Walküre. Und wenn dann zum „Feuerzauber“ im Finale nicht ein Flämmchen glüht, sondern die Pferdefiguren gleichsam von innen heraus im Feuer aufglühen und die Flammen an allen Begrenzungsmauern emporzüngeln, dann schließt die Walküre nicht nur mit einem großen Spektakel und einem grandiosen technischen Gag, sondern ganz im Sinne der Grundkonzeption der Inszenierung mit einem erotisch aufgeladenem Signal. Das Feuer ist im symbolischen Sinne ähnlich wie das Pferd eines der ältesten (und natürlich auch konventionellsten) Bildsymbole für Leidenschaft und Sinnlichkeit. Und um diese geht es primär in der  Wiener Walküre. Ob das angeblich so aufgeschlossene und angeblich so kritische Staatsopernpublikum, das an diesem Abend (wir sahen die dritte Aufführung – in der Premierenbesetzung) nicht zu einem geringen Teil aus japanischen und amerikanischen Touristen bestand, das auch so gesehen hat? Rechts von mir saß ein französisch sprechendes Paar, das sich langweilte. Links von mir eine Dame mittleren Alters, der, so verkündete sie lauthals, schon auf der Schule die Nibelungen so gut gefallen hatten und die jetzt mal sehen wollte, wie „das der Wagner so macht“. Und der junge Mann aus dem Wiener Männerwohnheim, der einstens auf der Galerie sich von Wagner berauschen ließ? Besser nicht daran denken. Sprechen wir lieber von der Inszenierung, der Musik und den Sängern. Natürlich gelingen der Regie auch außerhalb des Erotik-Themas grandiose Szenen. So visualisiert sie z. B. das sonst so gern vernachlässigte Wolfsmotiv. Wölfe (virtuelle Wölfe) verfolgen Siegmund. Oder führen sie ihn auf die Spur Wotans? Wenn Wotan seinen Sohn Siegmund praktisch zum Tode verurteilt, dann trägt eine weiß gekleidete Frau  (Erda?) ein Wolfsfell herein und wenn Wotan dieses Fell mit einem Tuch bedeckt, dann breitet er noch vor dessen faktischem Tod über  seinen Wölfing das Leichentuch aus. Eigentlich unnötig zu sagen, dass grandios gesungen und musiziert wurde. Einen so jugendlichen und so lyrischen Wotan wie ihn Juha Uusitalo, den man von München her in Wagner Rollen kennt, in Wien verkörpert, dürfte man nicht so leicht wieder finden, einen Wotan, der seinen großen Monolog im zweiten Akt geradezu haucht und der doch bis in jede Silbe hinein verständlich bleibt. Und wie Nina Stemme als Sieglinde in Gesang und Spiel das Sinnlichkeitskonzept der Regie umsetzt, das ist einfach bewundernswert. Schade, dass in der Aufführung innerhalb des Zyklus (am 6. Mai) Nina Stemme kurzfristig absagen musste. Natürlich hatte man in Wien eine bekannte Wagner Sängerin als ‚Ersatz’ bereit. Doch ‚Sinnlichkeit’ war nicht so ganz deren Sache.

 

„Leuchtende Liebe, lachender Tod!“

Während die Walküre in der zyklischen Aufführung etwas von ihrem Glanz und ihrer Faszination verloren hat, wird der Siegfried, der mir vor einem Jahr (wir sahen damals, Anfang Mai, die  zweite Aufführung) noch etwas matt vorkam und der erst im Finale des dritten Aufzugs grandios war, jetzt zum zu Recht umjubelten Höhepunkt des Wiener Rings, wenngleich die beiden ersten Akte sich noch immer  recht betulich dahin ziehen. Gleichsam zur Entschädigung wird dann allerdings im dritten Aufzug so brillant gesungen, musiziert und gespielt, ja, dass man im Publikum einfach hingerissen ist.

Wieder stehen Sänger der ersten Kategorie auf der Bühne – ganz wie man es von der Staatsoper in Wien erwarten kann: Stephen Gould als Siegfried, Juha Uusitalo als Wanderer, Nina Stemme in der für sie wohl noch ungewohnten Rolle der Brünnhilde. Beeindruckende, überragende Sängerschauspieler, wie man sie sich nicht besser wünschen kann. Und die Musik? Ein rauschhafter, ein erotisierender Wagner ist das nicht, was da aus dem Orchestergraben klingt. Eher ein zurückhaltender, ein fast sanfter, ein fast leidenschaftsloser Wagner wird  von Maestro Welser-Möst präsentiert, eine Interpretation, die vielleicht manche Erwartungen enttäuscht und die doch – im zweiten Teil des dritten Aufzugs in perfekter Harmonie mit der Inszenierung steht. Gemeinsam drängen musikalische und szenische Interpretation alles platt Erotisierende  zurück  und  deuten  alle Passion geradezu verschüchtert nur an. Brünnhilde ist kein „wild wogendes Weib“, das mit ihrer mächtigen Leibesfülle und mit ihren schreienden Tönen  den armen Siegfried erschreckt, sondern eine ängstlich-schüchterne mädchenhafte Frau, die sich nicht gerade danach sehnt, die Mätresse des jungen Herrn aus bestem Hause zu werden, zu dem die Figur des Siegfried im Finale stilisiert wird. Vielleicht ist die Siegfried – Brünnhilde Szene überhaupt das Glanzstück der Inszenierung. Regisseur Bechtolf versteht sich eben, wie man weiß, auf die erotischen Diskurse und deren szenische Umsetzung. Seine Walküre liegt nicht platt realistisch im „Waffenschmuck“ im Schlaf, sondern sie verbirgt sich – in großer Abendrobe – unter einer Vielzahl von Schleiern. So wird ganz konkret das Erwecken und Erwachen der Schlafenden zu einer Art Entschleierung, zum Symbol der  Verwandlung der mitleidsvollen Walküre in die liebende Frau.  Und die allmähliche Annäherung des Paares  gerät zum vorsichtigen Flirten, zu einem zurückhaltenden Einsetzen der gestischen Signale, eine Reserviertheit, die sich erst in der obligatorischen Umarmung zum Fallen des Vorhangs löst. So brillant und so überzeugend  – so ganz anders als man sie von den konventionellen Inszenierungen  her kennt –  die Brünnhilde Siegfried Szene  gestaltet wurde, so betulich wirken dagegen die ersten beiden Aufzüge. Siegfried und Mime hausen endlich nicht mehr, wie das inzwischen bei manchen Theatermachern Brauch  geworden ist, als Proleten auf der Müllhalde. Ganz im Gegenteil. In Wien leben und arbeiten sie in einem eleganten Labor, in einer Art Designer-Schmiede und während Siegfried an seinem Schwert hämmert, ohne sich wohl die Hände schmutzig zu machen, kocht ihm Mime ganz realistisch einen Schlangenbrei. Im zweiten Akt gibt es einen richtigen Riesen zu bestaunen und dazu ein Ungeheuer, das Feuer speit, und Alberich und Wotan hocken um ein richtiges Lagerfeuer – wie zwei alte miteinander stets konkurrierende Pfadfinderführer, die sich im finsteren Wald getroffen haben und nochmals über ihre alten Zwistigkeiten schwatzen. Ob hinter dem Wiener Siegfried eine einheitliche Konzeption, eine tragende Idee steht, ich weiß es nicht. Der erste Akt ‚realistisch’, der zweite ein Märchenspiel für Kinder, der dritte Akt Thanatos (Wotan schaufelt Erda aus einem Grab heraus und versinkt  darin – nach der für ihn so fatalen Begegnung mit Siegfried) und das Finale Eros? War es vielleicht das? Wie dem auch sei. Herausragend gesungen wird allemal.

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 Götterdämmerung als  Fantasy Spektakel und Zitatenkonglomerat

Die Wiener Götterdämmerung lässt den Zuschauer zunächst ratlos. Sind die Nornen, die da im düstern Nebel inmitten von verkrüppelten Tännchen herumirren, die Hexen aus dem Macbeth, die anders als bei Shakespeare nicht mehr die Zukunft verkünden, sondern nur noch vom Vergangenen erzählen? Ist die Brünnhilde der ersten Szene eine heidnische Priesterin, die einen toten Siegfried (er liegt  – ganz eingehüllt in eine Art Kokon –  auf einer Grabplatte) noch einmal ins Leben zaubert, auf dass er ihr seine und ihre Geschichte noch einmal vorspiele? Ein versteckter Hinweis auf die Priesterin Morgaine und Die Nebel von Avalon? Ist Brünnhildes unzugänglicher Felsen vielleicht die Insel Avalon? Ruht im Finale der tote Siegfried auf einem Schiff, weil Brünnhild e/ Morgaine mit ihrem Siegfried/Artus in die Nebel von Avalon entschwinden wird? Oder sind wir vielleicht bei Böcklin und seiner Fahrt zur Toteninsel? Ist der kahlköpfige bleiche Hagen in seiner schwarzen Gewandung ein Mephisto/Gründgens Verschnitt? Oder ist er vielleicht ein Untoter, vielleicht ein Golem, den Alberich sich zur Rache geformt hat? Ein Untoter, dazu verdammt, ewig das gleiche Spiel von Machtgier und Trug, von Mord  und Untergang zu spielen? Verweisen die schwarz gekleideten „Mannen“ mit ihren flachen Helmen und den hoch gereckten Lanzen auf einen Mittelalter Kostümfilm, vielleicht auf Szenen aus einer Verfilmung der Nebel von Avalon? Zitiert die Szene Hagen und die „Mannen“ vielleicht einen Bildausschnitt aus Breughels Bethlehemschem Kindermord (der Offizier, der inmitten seiner Leute das mörderische Treiben beobachtet). Versinken Gunter und seine Leute nach dem Mord an Siegfried zusammen mit diesem in der Unterwelt, in Dantes Inferno? Und wird dabei der Trauermarsch zum Einzugmarsch in die Hölle? Bilder über Bilder, die auf Literatur, Film und Malerei verweisen und die doch in all ihrer Zeichenhaftigkeit nie aufdringlich wirken, nur Assoziation evozieren, die nie von der Musik ablenken, einem kaum rauschhaften, eher einem, wenn man das so sagen darf, ‚intellektuellen’ Wagner. In Wien präsentiert man keinen Wagner, der mit seiner „Sinnlichkeit“ „den Geist mürbe und müde macht“. Hier hat Nietzsches böses Diktum: „Wagner wirkt wie ein fortgesetzter Gebrauch von Alkohol“ keine Gültigkeit. In Wien wird  unter der Leitung von Maestro Welser-Möst einfach nur schön musiziert und (in fast allen Rollen) schön gesungen. Hier ist Wagner im positiven Sinne „ dieser alte Zauberer“ als den ihn Nietzsche einst abwerten wollte. In Wien wird  kaum in der Musik, hier wird in Bildern geschwelgt, auf jeglichen Metatheaterehrgeiz verzichtet und aufgesetzter politischer oder gesellschaftlicher Impetus verschmäht. In Wien erzählen Welser-Möst und Bechtolf den Mythos von Göttern, Heroen und Menschen, von deren Konflikten, deren Untergang und möglicher Wiederkehr als ein Märchen für Erwachsene, die im Märchen  die Antimärchenzüge  und die intermedialen Verweise erkennen mögen. Ein konventioneller Wagnerabend oder wenn man es ein wenig böswillig sagen will: ein bedächtiger, ein betulicher Wagnerabend, der kein Risiko eingeht, der das Publikum nicht emotional oder gar intellektuell überfordert und der so richtig zur  k. und k. Behäbigkeit der Wiener Staatsoper passt.

 Und Das Rheingold? Nach all dem Märchen- und Fantasy-Zauber, der am ersten, dem zweiten und dem dritten Tag des „Bühnenfestspiels“ geboten wurde, war zu erwarten, dass der Zauber auch im Rheingold weitergeht. Und so war es  auch. Natürlich gibt es – ganz wie im Märchen – richtige Riesen zu bestaunen, die in ihren Gummianzügen wie zu groß gewachsene Michelin-Männchen wirken. Feuergott Loge – in Kostüm und Maske ein  reinkarnierter „Highländer“ –  ist wohl gerade aus dem gleichnamigen Kultfilm entlaufen. Die beiden kleinen Götter mimen reiche russische ‚Sommergäste’ in Baden Baden,  und Wotan mit seiner mächtigen Gestalt, seinem Glatzkopf, seinem weiten schwarzen Mantel könnte leicht den Türsteher einer Nobelbar geben. Göttin Fricka macht auf große Dame, und Freia, “die Gute“, hat wohl schon lange nicht mehr von ihren Jungmacher Wunderäpfeln genascht. Doch seien wir nicht böse oder gar zynisch. Das Rheingold ist halt das Satyrspiel nach der Tragödie und bleibt doch ein Kindermärchen für Erwachsene, so suggeriert es mit ironischem Blinzeln hin zum Publikum die Regie: alles ist doch nur Theater, alles nur ein Spiel. Lassen wir doch den ganzen ideologischen Überbau vom Weltverneiner Schopenhauer bis hin zum Langweiler Brecht und deren Adepten auf dem Müll der Geschichte faulen. Spielen und singen und musizieren wir auf hohem Niveau und appellieren wir mit unserer Inszenierung an das Populärkultur- Gedächtnis der Zuschauer! Und reichen wir dazu gelegentlich ein bildungsbürgerliches Zückerli! Dann sind alle zufrieden und begeistert und werden es auch in den nächsten Dekaden sein.  In Wien erfreuen sich die Inszenierungen bekanntlich eines langen Lebens.