Alles ist Theater, alles ist Illusion und Schein und Albtraum. Eine Wiederaufnahme von Jossi Wielers Alcina an der Oper Stuttgart

circe - mira d'oubliette

Alles ist Theater, alles ist Illusion und Schein und Albtraum. Eine Wiederaufnahme von Jossi Wielers Alcina an der Oper Stuttgart

Händels Alcina habe ich in den letzten Jahren in München und in Wien gesehen – in faszinierenden Aufführungen. Als Wahn und Trug in einem Reigen der Liebe und Melancholie hatte  Christof Loy bei den Münchner Opernfestspielen den Alcina Mythos gedeutet. In Wien, man kann es kaum glauben, dass das berühmte Haus am Ring im November 2010 Alcina zum ersten Mal auf dem Spielplan hatte,  in Wien spielt man Alcina als Theater auf dem Theater, als Laienaufführung auf dem Landsitz einer englischen Hochadligen, die mit ihrer Familie und ihren Freunden Alcina aufführt. Und in der Hochschule für Musik und Theater in München, da wird Alcina zur Komödiantin, die sich bei jedem Auftritt in eine andere Theaterfigur verwandelt. Alcina, so signalisieren es – und dies zu Recht – alle Inszenierungen, ist eben ganz in der Tradition des Barockzeitalters geradezu die Chiffre für Verwandlung und Verzauberung, die Chiffre für die Scheinwelt des Theaters.… → weiterlesen

Alcina die Komödiantin. Ein grandioser Händel Abend in der Hochschule für Musik und Theater München

Alcina die Komödiantin. Ein grandioser Händel Abend in der Hochschule für Musik und Theater München

Es muss ja nicht immer gleich Maestro Harnoncourt sein. Es muss ja nicht immer gleich Bejun Mehta sein. Es muss ja nicht immer gleich ein Hochkulturevent sein. Auch in der Münchner Musikhochschule weiß man auf hohem Niveau zu singen und zu spielen, zu dirigieren und zu inszenieren – mit einem Wort: das Publikum zu faszinieren und zu begeistern. Vor ein paar Monaten hatte ich schon eine Aufführung der Münchner Hochschule gesehen –  Le Nozze di Figaro – und war begeistert. Und jetzt bei der Alcina ist die Begeisterung nicht minder groß, wenn ein internationales Ensemble hochbegabter junger  Sängerschauspieler so scheinbar ganz ohne Mühe in den so schwierigen Händelkoloraturen nicht nur brilliert, sondern diese noch dazu mit großem schauspielerischen Talent gestaltet. Ich will keine Namen nennen: sie haben mir alle gefallen: die Primadonna, die Magierin Alcina, die sich bei jedem Auftritt in eine andere Theaterfigur verwandelt und in der Schlussszene, als die Scheinwelt der Komödiantin zerstört ist, ganz konsequent als abschminkte Schauspielerin auftritt. Ruggiero, der Primo Uomo: – er wird in München von einer Mezzosopranistin gesungen – ein  sich ständig am Whisky berauschender Oscar Wilde Verschnitt. Morgana, die Seconda Donna als Maskenbildnerin der Komödiantin Alcina. Oronte in seinem weißen Anzug und der verspiegelten Brille ein Dandy, der geradewegs aus dem Kirschgarten herübergelaufen sein kann. Bradamante und sein Mentor Melisso auf der Suche nach dem verschwundenen Ruggiero: auch sie verweisen auf Film- oder Theaterfiguren. Vielleicht auf Sherlock Holms und Dr. Watson? Ganz im Sinne der Poetik des barocken Theaters nimmt die Regie den Alcina Mythos (oder seine Variante: den Armida Mythos) als Chiffre der Verwandlung, der Verzauberung, mit einem Wort: als Chiffre der Scheinwelt des Theaters und macht  Bühne (einen Laufsteg, an dem zu beiden Längsseiten die Zuschauer sitzen) und  Zuschauerraum zugleich zur Spielstätte. Alles ist Theater, alles ist nur Illusion und Schein. Und die Musik? Als ‚musica celeste’  kommt  sie von oben. Oberhalb der Frontseite des Laufstegs – für die Zuschauer kaum sichtbar – sitzt das Orchester. Wenn man so will: das ‚unsichtbare Orchester’, dieses Mal  nicht bei Wagner, sondern bei Händel: das „Barockorchester des Studios für historische Aufführungspraxis der Hochschule…“.  Eine große, eine brillante Händel  Aufführung.  Wir sahen die Aufführung am 27. März. Die Premiere war am 18. März 2011.

Händel ist in der Wiener Staatsoper angekommen – zur Hälfte. Eine (musikalisch) brillante Alcina in Wien

Während anderenorts Händel Opern  seit vielen Jahren einen festen Platz im Spielplan haben, hatte das berühmte Haus am Ring bisher  nichts für Händel übrig. Vor fünfzig Jahren – so liest man im Programmheft – wurde zuletzt eine Händel Oper  in der Staatsoper aufgeführt (Giulio Cesare als Julius Caesar in deutscher Sprache). Und jetzt unter der neuen Direktion wagt man sich an die Wiener Erstaufführung der Alcina und holt dazu  Minkowski und seine Musiciens du Louvre an die Staatsoper. Eine Entscheidung, zu der man die Direktion nur beglückwünschen kann. Maestro Minkowski und sein Orchester sind für mich ( und wohl nicht nur für mich als Dilettantin) das Non plus Ultra des Händel Musizierens. Oder einfacher gesagt: besser und schöner und faszinierender geht es nicht. Und wenn dann noch die Harteros und die Kasarova und die Cangemi  – alle drei hatte ich vor ein paar Jahren schon in Loys Münchner Alcina gehört und gesehen  – und wenn dann noch dazu diese drei Damen  für die Hauptrollen engagiert werden, dann kann man auch nur noch sagen: besser, schöner und faszinierender geht es nicht. Ja, und wenn man dann noch Christof Loy oder David Alden  für die Regie gewonnen hätte, dann wären wohl keine Wünsche offen geblieben. Aber in Wien wollte man wohl keine moderne und erst recht keine anspruchsvolle Händel Inszenierung, sondern eine Inszenierung der edlen Einfalt und der schönen Bilder. Regisseur  Adrian Noble verlegt das Geschehen um Glanz und Elend der Zauberin Alcina in den Palast einer Hochadligen des englischen 18. Jahrhunderts, die zusammen mit ihrer Familie und ihren Freunden in ihrem Ballsaal die Oper Alcina aufführt und gleich selber die Hauptrolle übernimmt. Alcina als Theater auf dem Theater in einem noblen  und hoch ästhetischen Ambiente. Kein sonderlich origineller, aber ein schöner Einfall, der überdies dem Produktionsteam viel Arbeit erspart. Da der Fiktion nach Laien Theater spielen, braucht es nicht viel Personenregie. Die Arien lassen sich dann konsequenterweise  von der Rampe singen, und die Sänger können sich mit den konventionellen Operngesten begnügen – eben weil sie der Fiktion nach ja Dilettanten sind. All das hat uns im Publikum nicht weiter gestört. Es war eigentlich alles schön. Kein Trash Theatermacher musste sich gegen die Musik behaupten. Alles war schön – und konventionell. Wir sind halt in Wien. Wir sahen die Vorstellung am 20. November 2010. Es war laut Programmheft die „3. Aufführung in dieser Inszenierung“. Die Premiere war am 14. November 2010.