Francesco Bartolomeo Conti, Don Chisciotte in Sierra Morena halbszenisch am Theater an der Wien

Contis „tragicommedia“ vom Jahre  1719 auf ein Libretto von Apostolo Zeno und Pietro Pariati hatte ich vor nunmehr zehn Jahren in einer szenischen Aufführung bei den Innsbrucker Festwochen gesehen und gehört, war von Musik, Libretto und Szene begeistert und habe es immer wieder bedauert, dass diese opera buffa avant la lettre so gänzlich von den Bühnen verschwunden ist.

Jetzt in Wien, wo  René Jacobs mit Stars der internationalen Opernszene wie  Stéphan  Degout, Anett Fritsch, Lawrence Zazzo, um nur drei Namen zu nennen, Contis Oper  halbszenisch wieder aufnimmt, ist die Begeisterung nicht minder groß. Und nicht nur bei mir.… → weiterlesen

Theater im protestantischen Gemeindesaal oder doch ’fiktionale Wirklichkeit‘? Olivier Py inszeniert einen szenisch recht heterogenen Fliegenden Holländer in der Urfassung am Theater an der Wien

Das Programmheft liefert gleich auf der ersten Seite die Gebrauchsanweisung: „Senta, die Tochter des Kaufmanns Donald, ist tot. Sie war einem Fremden  gefolgt, den ihr Vater für sie als Bräutigam mitgebracht hatte – für ihn glaubte sie sterben zu müssen, um ihn zu erlösen. War das Wahn oder Wahrheit? Oder nur Theater?“

Die freundliche pädagogische Anleitung zum Verständnis der Inszenierung – wir spielen Theater auf dem Theater und lassen das Geschehen zwischen Traumgespinst und ‚Realität‘ oszillieren –  unterschlägt gleich zwei wesentliche Aspekte der Inszenierung. … → weiterlesen

Heinrich Marschner: Hans Heiling. Eine Ausgrabung im Theater an der Wien

Ausgrabung tut Not. Und da sich viele Schatzgräber erfolgreich im Settecento umtun, könnte man es ja auch einmal in den Katakomben der deutschen Romantik versuchen. Im Theater an der Wien haben sie es versucht. Doch was sie da aufwendig und mühevoll ausgegraben haben, ist – mit Verlaub gesagt – nicht reines Gold. Was sie gefunden haben, das sind ein paar Tonscherben. Tonscherben, mag man sie auch übermalt und scheinbar modisch arrangiert haben, die nicht als Ausstellungsstücke taugen.

Anders ausgedrückt: es muss ja nicht immer Weber, Lortzing und der frühe Wagner sein. Doch mit Marschners „ romantischer Oper“ vom Jahre 1833 lässt sich wohl kaum das Repertoire der deutschen Oper des 19. Jahrhunderts auffüllen. Ich will ja nicht sagen, dass die Musik nicht gefällig sei.  Die Musikhistoriker werden zweifellos manche Höhepunkte zu benennen wissen und auf Passagen verweisen, die auf Wagner vorausdeuten. Ich muss gestehen, ich fand die Musik eher langweilig, mögen der Titelheld sich in manchen Ausbrüchen der Verzweiflung auch als der kleine Bruder vom Fliegenden Holländer und sein Rivale, der Jäger Konrad, wie eine Karikatur des Erik gebärden.… → weiterlesen

Gestern spielten wir den Parsifal. Heute spielen wir den Figaro. Psychotherapie im Dr. Almaviva-Spital. Le Nozze di Figaro am Theater an der Wien

Ja, warum soll man im Wien des Dr. Freud und des Otto Wagner-Spitals Le Nozze di Figaro nicht in eine psychiatrische Klinik verlegen. Irgendwie krank – zumindest krank an der Liebe – sind sie ja alle, die Mozart/Da Ponte Figuren. Und geheilt  – so scheint es zumindest – sind sie am Ende des „tollen Tags“. Und warum soll man als Theater auf dem Theater sie sich nicht selber spielen lassen, auf dass ihre Defekte, ihre ‚Neurosen‘, ihnen umso eher bewusst werden? Dass Musizieren und Theater-Spielen therapeutische Funktionen haben können, ist schon fast ein Gemeinplatz. Und dies gilt nicht minder für den Metatheater Trick des Theaters auf dem Theater. Ganz in diesem Sinne hat das Wiener Produktionsteam um Felix Breisach aus einem Subtext  der Oper (eben der Krankheit zur Liebe) und aus einem Metatheater Klischee (eben dem Theater auf dem Theater) sowie aus einem Mediziner Gemeinplatz eine etwas ungewöhnliche, doch immerhin recht amüsante Le Nozze di Figaro gemacht.… → weiterlesen

Und es bleibt ihm doch sein Dackel. Giovanni Paisiello, Il barbiere di Siviglia. Ossia la precauzione inutile. Eine brillante ‚Komödie für Musik‘ am Theater an der Wien

Mehr als dreißig Jahre vor Rossini, so belehren uns die Musikhistoriker, komponierte der Napolitaner Paisiello in Sankt Petersburg  in starker Anlehnung an Beaumarchais‘ Komödie einen Barbier von Sevilla, ein sehr erfolgreiches dramma giocoso, das indes im Laufe der Rezeptionsgeschichte Rossini mit seinem  Barbiere gänzlich von der Opernbühne verdrängt habe. Zu Unrecht, wie wir nach dieser musikalisch und szenisch so herausragenden Paisiello Produktion, wie sie René Jacobs und das  Regieduo Moshe Leiser / Patrice Caurier jetzt in Wien herausbrachten, glauben müssen. Paisiellos Stück – so argumentiert Jacobs,  und so bringt er es mit dem Freiburger Barockorchester auch zu Gehör – ist „ein in Musik gesetztes Theaterstück“ und auffällig ist dabei immer wieder, „wie viel Mozart von Paisiello gelernt hat“ sowohl in „der Technik der manipulierten Sonatenform“ wie auch im Melodischen. So seien zum Beispiel in der Serenade des Grafen im ersten Akt die ersten Takte, „ der ‚Embryo‘ vom Hauptthema der Cherubino-Arie ‚Voi che sapete‘ […]“. Und es gäbe noch eine ganze Reihe ähnlicher Fälle (vgl. Programmheft, S. 16 und 17).   So sollte man denn, wenn ich Jacobs und seine musikalische Interpretation richtig verstanden haben, bei Paisiellos Figaro nicht Rossini, sondern Mozart mithören.

Doch sprechen wir nicht von der Musik. Sie zu beschreiben, sie einzuordnen, das kommt uns als Nichtmusiker nicht zu. Sagen wir einfach nur: Paisiellos Musik ist eine schöne, eine gefällige Musik, die wohl auch heute noch das Repertoire bereichern könnte. Sprechen wir lieber von der Inszenierung, die nicht minder brillant ist als der Musik-Part.
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„Un amor disperato“. Bellini, La Straniera am Theater an der Wien

Vielleicht sollte man nicht immer nur Norma oder I Capuleti ed i Montecchi  oder La Sonnambula, sondern vor allem La Straniera hören, um immer besser begreifen zu können, welchen Zauber Bellinis ‚unendliche Melodien‘ auf den Zuhörer ausüben und warum noch der späte Wagner Bellini rühmte.

Ich kannte La Straniera nicht, hatte das „Melodramma“ vom Jahre 1829 noch nie vollständig gehört – geschweige denn auf der Bühne gesehen und war nach dem Verriss der Wiener Aufführung, den man in der FAZ vom 16. Januar lesen konnte, recht skeptisch. Nun, der Verriss bezog sich vor allem auf eine einstige Primadonna assoluta des Belcanto. Doch auch fast allen anderen Mitwirkenden wie auch dem Produktionsteam war die FAZ nicht sonderlich freundlich gesinnt.

Zur einstigen Primadonna, die, mag sie auch schon etwas in die Jahre gekommen sein, noch immer fragile Jünglinge und ältere Herren in Verzückung zu versetzen vermag – so habe ich es zu meinem Befremden noch vor ein paar Jahren in der Bayerischen Staatsoper erlebt – zu dieser Primadonna kann ich nichts sagen. Ich habe sie nicht erlebt. Wir waren in der zweiten Premiere – und an dieser Aufführung gibt es nichts zu bekritteln. Hier sang die Titelrolle fürwahr eine Primadonna assoluta – Marlis Petersen – in Gesang und Spiel und Bühnenerscheinung geradezu eine Idealbesetzung für die Rolle der Alaide, die  geheimnisvolle Fremde, die femme fatale, das Objekt der Liebes- und der Todessehnsucht, dem – ganz entsprechend den Schemata der ‚schwarzen Romantik‘ – ein exaltierter junger Mann, Arturo, ausweglos verfällt. „Liebe als Passion“ in ihrer radikalsten Form, die nur in Tod und Wahnsinn enden kann. Ein Stoff, eine Handlung, eine Personenkonstellation, aus denen die Mélodrames sind, die in der Bellini Zeit so sehr en vogue waren.
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