In Charons Barke ins Reich der Nacht. Tristan und Isolde an der Oper Leipzig

In Charons Barke ins Reich der Nacht. Tristan und Isolde an der Oper Leipzig

In Leipzig hat  man in diesem Monat, im Januar 2011, für zwei Vorstellungen eine Tristan  Inszenierung von Willy Decker aus dem Jahre 1997  wieder aufgenommen. Eine Inszenierung, die mit ihrem Minimalismus und ihren Verweisen  auf den Neubayreuther Stil beeindruckt und fasziniert. Spielfläche ist eine rechteckige ‚Scheibe’. Einziges Requisit in allen drei Akten ist eine Barke, ein kleines Ruderboot, in dem Isolde ihre Meerfahrt erlebt, in dem sie Tristan den Todes/Liebestrank reicht, in dem das Paar die „Nacht der Liebe“ besingt, in dem  Tristan stirbt und in dem Isolde als ein neuer Charon die Ruder ergreift – zur Überfahrt in das „Reich der Nacht“, zur Toteninsel, in den Hades. Und diese Überfahrt geschieht in einem Dekor – große Stellwände  in verblichenen grau-schwarzen Tönen begrenzen die Seitenbühne – das latent auf Motive, auf den Stil eines Anselm Kiefer verweist, auf Vergeblichkeit und Vergänglichkeit, oder vielleicht auch den grau-düsteren Horizont von Böcklins Toteninsel suggerieren will. Die Symbolik, auf die die Regie setzt, drängt sich, wenngleich sie überdeutlich determiniert ist,  keineswegs unangenehm auf, wirkt zu keiner Zeit störend: die Meerfahrt als Lebensreise, als Liebesfahrt und Todesfahrt, das Wasser  als Fruchtbarkeitssymbol als „Element ewig luftiger Verschmelzung“(Novalis), das Boot als Barke des Charon, die Farbsymbolik: das rote Kleid der Isolde, der rote Anzug, den Tristan im zweiten und dritten Akt trägt, die im ersten Akt in lichtem Blau, im zweiten Akt in knalligem Grün gehaltenen Seitenwände, die die Spielfläche einengen. Tristan und Isolde als symbolistisches Theater, als Tragödie des Fatums und des Todes, als ‚Krankheit zum Tode’ –  mit verdeckten Hinweisen auf Pélleas und Mélisande?  Vielleicht war dies die Grundkonzeption einer durchweg brillanten und faszinierenden Inszenierung. Brillant und faszinierend wurde bei diesem Leipziger Tristan auch gesungen und musiziert. Mit welchem Piano, mit welch zurückgenommenen Tempi Maestro Kober und das Gewandhausorchester die berühmten und schon so viele Male gehörten Tristan Klänge zelebrierten, wie Stefan Vinke als Tristan und Jennifer Wilson ohne ein Spur von Ermüdung ihre großen Partien gestalteten – das war schon sehr beeindruckend. Wir sahen die Vorstellung am 15. Januar 2011. Die Premiere war laut Programmheft am 14. 06. 1997.

Mini-Lust / Doch bewußt? Prinz Blechherz und das Burgfräulein oder Tristan und Isolde im Gran Teatre del Liceu in Barcelona

Barcelona war einmal, vor vielen Jahrzehnten, das Zentrum der Wagner Rezeption in Spanien. Wenig, nichts, gar nichts ist von dieser stolzen Tradition geblieben. Was in Barcelona zu hören und zu sehen ist, das ist ein schlichter, ein dürftiger, ein manchmal peinlicher Wagner, der unfreiwilliger Komik recht nahe kommt. Statt sich in München oder in Zürich umzusehen und umzuhören und eine Konwitschny oder eine Guth Inszenierung einzukaufen, hat man sich in Barcelona für eine Produktion aus Los Angeles entschieden, die dort vor mehr als zwanzig Jahren Premiere hatte. Offensichtlich war man von der märchenhaften Ausstattung, die damals der Maler David Hockney geschaffen hatte und die wohl von der amerikanischen Presse sehr gelobt worden war, so begeistert, dass man sie unbedingt nach Barcelona holen wollte. Wer das kitschige Blau und Rot,  die das Bühnenbild dominieren, wer ein  naives Märchenambiente mag, wer sich für Ritter und Burgfräulein, Knappen, die die Schwerter schwingen, eine Isolde mit einem Krönchen auf dem langen Blondhaar, für einen Tristan als Prinz Eisenherz, für einen König Marke im Purpurmantel und der Krone auf dem Haupt (Sollten die Zacken an der Krone ihn als Gehörnten kenntlich machen?) begeistern will,  wer all diesen Opernplunder mag, der kommt bei dieser Inszenierung auf seine Kosten. Es gibt eine richtige Burg zu sehen. Brangäne wacht am Fenster der Kemenate. Zum Rendez-vous trifft sich das Liebespaar unter Pappeln vor der Burg (die Assoziationen zur Zufahrtsstrasse zu einem Parador waren sicher ungewollt). Im dritten Akt lagert der jammervolle Tristan an einer Art Grabstein, eine aufragende Klippe fällt steil zum Meer hinab, und eine etwas ausgepowerte Isolde kommt gleich außer Atem, als sie zu Tristan vom Strand hinaufklettern muss. Doch sind wir nicht so streng. Es muss ja nicht immer gleich Neubayreuth, deutsches ‚Regietheater’ Neuerzählung des Mythos, Aktualisierung, Verortung im Hause Wesendonck sein. In Los Angeles und in Barcelona tun es auch bunte Bilder, Miniaturen aus einem Kodex aus dem Mittelalter oder vorsichtige Hinweise auf die Fantasyliteratur  oder meinetwegen auch flüchtige Verweise auf König Artus, den Ritter Lancelot und die Königin Ginevra. So viel Arglosigkeit hat zumindest den Vorteil, dass uns arme Unbedarfte im Publikum Wagners Weise von Liebe und Tod nichts angeht und seine für frustrierte Gattinnen und neurotische Jünglinge so gefährliche Musik  im Opernmuseum entsorgt werden kann. Im Musentempel der Katalanen hat man ja sowieso eine Vorliebe für das Kastrierte, hasst man alle Leidenschaft, ist  aller Eros des Teufels. Hatte man im vergangenen Jahr die arme Salome musikalisch und szenisch erledigt, so steigert sich jetzt im Tristan das Sehnen, das ewige Sehnen, man hält es kaum für möglich, –   das Sehnen nach der Kastration  noch einmal. Schwunglos, müde und matt schleppt sich der erste Akt dahin.  Im zweiten Akt – vielleicht hat man sich inzwischen auch etwas an die eigenartige Interpretation gewöhnt, kommt ein bisschen Schwung und vielleicht auch eine Ahnung von Leidenschaft  und auch Todessehnsucht auf. Das war’s dann auch schon. Bei allem Respekt vor den Leistungen der Musiker: das ist nicht die Tristan Musik, wie sie in München und in Zürich zu hören ist. Und das sonst so disziplinierte Publikum im Teatro del Liceu hat das auch gemerkt und reagierte mit Hüsteln und Schnäuzen und sonstigen Geräuschen auf diesen langweiligen, blutlosen und, wir sagen es noch einmal in aller Deutlichkeit, auf diesen kastrierten Tristan. Zwei Damen in der Reihe vor mir hielt es im dritten Akt schon gar nicht mehr auf den Sitzen. Sie gingen zwischendurch mal zu den Toiletten.  Doch so schlimm  war der lange Abend nun auch wiederum  nicht. Die bekannte amerikanische Sopranistin, wenngleich ihre Stimme etwas in die Jahre gekommen ist, und der berühmte Heldentenor aus dem Rheinland singen noch immer mehr als passabel. Und auch alle anderen Rollen waren hochgradig besetzt. Doch was sollen Sänger wie Seiffert, Skovhus und Michaela Schuster in einem solch tristen Ambiente. Schade um sie. Wir sahen die Vorstellung am 12. Februar 2010. Die Premiere war am 23. Januar 2010.

27. 03. 09 Generalprobe für ein Musical auf der Bregenzer Seebühne? Tristan und Isolde an der Oper Köln

Nach dem fulminanten Carsen Ring, der vor zwei Jahren zuletzt gezeigt wurde, hat die Kölner Oper mit Wagner Inszenierungen  kein Glück mehr gehabt. Den Kölner Lohengrin konnte man mit viel Wohlwollen als ironisches Mittelaltermärchen verstehen, den Tannhäuser als unfreiwillige Parodie. Doch jetzt bei Tristan und Isolde sind wir an einem Tiefpunkt angelangt, und man fragt sich, jetzt ohne Wohlwollen, wenn statt des Stadtarchivs das Opernhaus in einem tiefen schwarzen Loch versunken wäre, ob das überhaupt weiter aufgefallen wäre. Doch seien wir nicht zynisch. Wir sind eher traurig und bestürzt darüber, dass die Kölner Oper, in der ich im Laufe der Jahre so viele hervorragende Aufführungen gesehen habe, dabei ist, sich aus dem Kreis der großen Opernbühnen zu verabschieden. Natürlich spielt das Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Markus Stenz noch immer einen rauschhaften Wagner. Allein, was auf der Bühne zu sehen und zu hören ist, das ernüchtert schnell. Ich verbiete mir jede Sängerkritik. Ein Opernhaus ist kein Fußballplatz, auf dem jeder Zuschauer an den Akteuren herummäkeln darf (das miese, besserwisserische Bekritteln der Sänger, auf das man immer wieder in den einschlägigen Magazinen stößt, ist mir sowieso zuwider). Ich sage einfach nur, dass es mir nicht gefallen hat und dass zwischen der Kölner und der Zürcher Tristan Aufführung, die ich Anfang Januar gesehen habe, Welten liegen. Und dies gilt nicht minder für das Inszenierungskonzept.

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