Mini-Lust / Doch bewußt? Prinz Blechherz und das Burgfräulein oder Tristan und Isolde im Gran Teatre del Liceu in Barcelona

Barcelona war einmal, vor vielen Jahrzehnten, das Zentrum der Wagner Rezeption in Spanien. Wenig, nichts, gar nichts ist von dieser stolzen Tradition geblieben. Was in Barcelona zu hören und zu sehen ist, das ist ein schlichter, ein dürftiger, ein manchmal peinlicher Wagner, der unfreiwilliger Komik recht nahe kommt. Statt sich in München oder in Zürich umzusehen und umzuhören und eine Konwitschny oder eine Guth Inszenierung einzukaufen, hat man sich in Barcelona für eine Produktion aus Los Angeles entschieden, die dort vor mehr als zwanzig Jahren Premiere hatte. Offensichtlich war man von der märchenhaften Ausstattung, die damals der Maler David Hockney geschaffen hatte und die wohl von der amerikanischen Presse sehr gelobt worden war, so begeistert, dass man sie unbedingt nach Barcelona holen wollte. Wer das kitschige Blau und Rot,  die das Bühnenbild dominieren, wer ein  naives Märchenambiente mag, wer sich für Ritter und Burgfräulein, Knappen, die die Schwerter schwingen, eine Isolde mit einem Krönchen auf dem langen Blondhaar, für einen Tristan als Prinz Eisenherz, für einen König Marke im Purpurmantel und der Krone auf dem Haupt (Sollten die Zacken an der Krone ihn als Gehörnten kenntlich machen?) begeistern will,  wer all diesen Opernplunder mag, der kommt bei dieser Inszenierung auf seine Kosten. Es gibt eine richtige Burg zu sehen. Brangäne wacht am Fenster der Kemenate. Zum Rendez-vous trifft sich das Liebespaar unter Pappeln vor der Burg (die Assoziationen zur Zufahrtsstrasse zu einem Parador waren sicher ungewollt). Im dritten Akt lagert der jammervolle Tristan an einer Art Grabstein, eine aufragende Klippe fällt steil zum Meer hinab, und eine etwas ausgepowerte Isolde kommt gleich außer Atem, als sie zu Tristan vom Strand hinaufklettern muss. Doch sind wir nicht so streng. Es muss ja nicht immer gleich Neubayreuth, deutsches ‚Regietheater’ Neuerzählung des Mythos, Aktualisierung, Verortung im Hause Wesendonck sein. In Los Angeles und in Barcelona tun es auch bunte Bilder, Miniaturen aus einem Kodex aus dem Mittelalter oder vorsichtige Hinweise auf die Fantasyliteratur  oder meinetwegen auch flüchtige Verweise auf König Artus, den Ritter Lancelot und die Königin Ginevra. So viel Arglosigkeit hat zumindest den Vorteil, dass uns arme Unbedarfte im Publikum Wagners Weise von Liebe und Tod nichts angeht und seine für frustrierte Gattinnen und neurotische Jünglinge so gefährliche Musik  im Opernmuseum entsorgt werden kann. Im Musentempel der Katalanen hat man ja sowieso eine Vorliebe für das Kastrierte, hasst man alle Leidenschaft, ist  aller Eros des Teufels. Hatte man im vergangenen Jahr die arme Salome musikalisch und szenisch erledigt, so steigert sich jetzt im Tristan das Sehnen, das ewige Sehnen, man hält es kaum für möglich, –   das Sehnen nach der Kastration  noch einmal. Schwunglos, müde und matt schleppt sich der erste Akt dahin.  Im zweiten Akt – vielleicht hat man sich inzwischen auch etwas an die eigenartige Interpretation gewöhnt, kommt ein bisschen Schwung und vielleicht auch eine Ahnung von Leidenschaft  und auch Todessehnsucht auf. Das war’s dann auch schon. Bei allem Respekt vor den Leistungen der Musiker: das ist nicht die Tristan Musik, wie sie in München und in Zürich zu hören ist. Und das sonst so disziplinierte Publikum im Teatro del Liceu hat das auch gemerkt und reagierte mit Hüsteln und Schnäuzen und sonstigen Geräuschen auf diesen langweiligen, blutlosen und, wir sagen es noch einmal in aller Deutlichkeit, auf diesen kastrierten Tristan. Zwei Damen in der Reihe vor mir hielt es im dritten Akt schon gar nicht mehr auf den Sitzen. Sie gingen zwischendurch mal zu den Toiletten.  Doch so schlimm  war der lange Abend nun auch wiederum  nicht. Die bekannte amerikanische Sopranistin, wenngleich ihre Stimme etwas in die Jahre gekommen ist, und der berühmte Heldentenor aus dem Rheinland singen noch immer mehr als passabel. Und auch alle anderen Rollen waren hochgradig besetzt. Doch was sollen Sänger wie Seiffert, Skovhus und Michaela Schuster in einem solch tristen Ambiente. Schade um sie. Wir sahen die Vorstellung am 12. Februar 2010. Die Premiere war am 23. Januar 2010.