Diana Mélodrame mit Gluck Sound. Angela Denoke triumphiert als rührend-depressive Prinzessin Diana alias Alceste im Teatro Real

Ist diese Madrider Alceste, wie sie uns Krzysztof Warlikowski und Ivor Bolton  im Teatro Real präsentieren, Musiktheater oder Theater mit Soundtrack? Hat diese zweifellos brillante Inszenierung, die in ihrer Konzeption und deren Umsetzung fürwahr Maßstäbe setzt und die, lässt man sich einmal auf sie ein, überzeugt und begeistert, hat diese Produktion noch etwas mit Gluck und Calzabigi zu tun? Erschlägt die Inszenierung nicht geradezu die Musik und zersetzt noch dazu den Kern des Alkestis Mythos (Selbstaufopferung und Verklärung im lieto fine)? Alceste als Tabletten- und Alkoholsüchtige Prinzessin Diana, eine seelenlose Repräsentationspuppe für öffentliche Auftritte, eine Alceste/Diana, für die sich der Gemahl nicht im Geringsten interessiert, für die der Selbstmord mit einer Überdosis der einzige Ausweg aus der Misere ist? Ist für ein solch zeitgenössisches Mélodrame, das, wenn überhaupt, nur eine sehr ferne Variante des Alkestis Mythos ist, Glucks Musik wirklich die adäquate?  Fragen über Fragen, die ich nicht zu beantworten weiß.… → weiterlesen

Lustvolles Schwelgen in Melancholie – und in Komik und Parodie. Der Rosenkavalier im Teatro Real.

Lustvolles Schwelgen in Melancholie – und in Komik und Parodie. Der Rosenkavalier im Teatro Real.

In Madrid, im Teatro Real, ist jetzt im Dezember eine Rarität zu sehen und zu hören. Warum sagen wir nicht gleich: zu bewundern. Wernickes einst vor vielen Jahren in Salzburg entstandener, dann in Paris nachgespielter Rosenkavalier wird im Teatro Real noch einmal neu in Szene gesetzt. Und das gleichsam Wunderbare ist, dass die Inszenierung nicht eine Spur von Patina angesetzt hat. Gleichsam – um es mit einer Spur von vielleicht zu viel Pathos zu sagen – neu entstanden ist. Wie Wernicke die latente Melancholie, die das Libretto als Leitmotiv durchzieht, mit sanfter Ironie, mit einer Fülle von leicht verfremdeten fragmentarischen Zitaten aus Malerei, Film und Theater zu brechen weiß, das ist geradezu faszinierend. Die Marschallin in ihrem eleganten Kostüm scheint geradezu  aus einem Klimt Porträt herausgetreten zu sein, und Sophie in ihrem Brautkleid ist geradewegs einem Sissy Film entstiegen, der Baron Ochs ist eine Art Hans Moser Verschnitt, Faninal ein beflissener Diener aus einer französischen Boulevard Komödie. Und wenn Octavian im zweiten Akt im weißen Frack und weißem Zylinder auftritt und auf einer vielstufigen Treppe hereingeschoben wird, dann erinnert er an den Showmaster aus einem Musical. Und im ersten Akt, da kniet er nicht auf einem Schemel vor dem Bett der Marschallin, wie es das Libretto will, sondern hockt lässig  auf einer Chaiselongue und raucht eine Zigarette.  Nach getaner Arbeit entspannt sich der Liebhaber – parodistisches Zitat eines Klischees aus französischen Liebesfilmen. Der „kleine Neger“ ist zu einer Commedia dell’arte Figur geworden: zum Harlekin, der das Spiel eröffnet, der den Showmaster begleitet und der das Spiel beschließt. „Das war halt eine Farce und weiter nichts“? Nein, das ist es nicht. Trotz all der gebrochenen Filmzitate, trotz all der komödiantischen Einlagen (die versoffenen Lerchenauer, der halb verhungerte „Sänger“, die Rosenkavalier Erscheinungen, die den armen Ochs im dritten Akt verwirren, usw., usw.), trotz des Commedia dell’arte Signals ist das Farcenhafte nur die Oberfläche, unter der sich Melancholie und Traurigkeit, Vergänglichkeit und Tod verbergen. Das Schlussbild zeigt eine herbstliche Allee. Oder vielleicht einen weiträumigen Friedhof. Die Marschallin und Faninal fahren in Kutschen davon. Das neue Liebespaar liegt regungslos am Boden. „[…] beieinand’ für alle Zeit und Ewigkeit“. Und Harlekin legt eine rote Rose auf das Paar. Kitsch? Oder endet die Komödie vom Rosenkavalier als Variante des Mythos von der Einheit von Eros und Thanatos, als Spiel von Liebe und Tod? War es das? Vielleicht.  Keine Frage, dass ein erlesenes, höchst brillantes und noch dazu spielfreudiges  Sängerensemble (Joyce DiDonato in der Titelrolle, Franz Hawlata als Ochs, Anne Schwanewilms als Marschallin) mit zum großen Erfolg beitragen. Ganz zu schweigen von Jeffrey Tates Interpretation.  Maestro Tate, dessen Deutung des Rings, die mich  mit ihren so zurückgenommenen Tempi vor ein paar Jahren in Köln beeindruckt hat, dirigiert  jetzt in Madrid einen Rosenkavalier mit einer solchen Sanftheit, mit einem solchen Piano, mit geradezu schmerzhafter Langsamkeit, mit einem solchen Auskosten der melancholischen Gestimmtheit, dass es dem nicht sonderlich disziplinierten Publikum  vor allem im Finale des ersten und des dritten Akts im Wortverstande die Sprache verschlägt und selbst meine sonst so kühle Freundin Ariadne zu Tränen gerührt ist. Ja, ich weiß, das ist alles Wiener Kitsch par excellence. Sei’s drum. Aber ein schöner Kitsch – ein Rosenkavalier, wie man ihn selten hört und sieht. Musik und Gesang, Inszenierung und Ausstattung auf höchstem Niveau. Da gibt es einfach nichts zu kritteln, denn besser und schöner und brillanter geht es wohl nicht. Wir sahen die Premiere am 3. Dezember. Weitere Vorstellungen sind noch am 9., 11., 14., 17., 19., und 22. Dezember 2010.

Ein Sängerfest im Dekorationstheater. L’incoronazione di Poppea am Teatro Real in Madrid

Besser, schöner, vollendeter lässt sich Monteverdi wohl nicht singen. Dies bleibt  an einem frühsommerlichen Abend in Madrid als Eindruck  haften, wenn man Stars wie Danielle de Niese als Poppea, Philippe Jaroussky als Nerone und Anna Bonitatibus als Ottavia gehört hat. War es Zufall oder Absicht, dass in dieser Madrider Poppea, einer Koproduktion „con el Teatro La Fenice de Venecia“, ausschließlich die Stimmen im Zentrum des Interesses standen? Wenn es Absicht war, dann war sie erfolgreich – oder sie ergab sich zwangsläufig. Vom Orchester, von den hochrangigen Spezialisten für alte Musik, Les Arts Florissants, die unter der Leitung von William Christie musizierten, war in dem großen Madrider Haus kaum etwas zu hören – das mehr als bekannte Problem aller historischen Aufführungspraxis. In den weiträumigen Musiktheatern des 19. Jahrhunderts verliert sich eine Musik, die für Intimität, für eine höfische Festgesellschaft und für kleinere Säle gedacht war, als ‚ferner Klang’ (es sei denn, man sitzt in den ersten Reihen des Parketts). Kein Zweifel, dass ein Routinier wie Maestro Christie sich dieses Problems bewusst ist  und wohl aus der Not eine Tugend gemacht hat und deswegen, eben um den Stimmen nur allen denkbaren Raum zur Entfaltung  zu bieten, seine Instrumentalisten gleich noch mehr zurücknahm. Auch Pier Luigi Pizzi, einer der berühmt-berüchtigten Altmeister des antiquierten Dekorationstheaters, der für den gesamten außermusikalischen Part verantwortlich zeichnet, war nicht minder sängerfreundlich eingestellt und verzichtete von vornherein darauf, seine Sänger als Schauspieler zu fordern. Sie dürfen in weißen, schwarzen oder auch Gold glitzernden Gewändern vor Säulenhallen in meist dämmerig-silbernem Licht hoheitsvoll schreiten, auch in hoch emotionalen Szenen nur wenig Emotion zeigen, und vor allem  dürfen sie durchweg von der Rampe singen. Mit anderen Worten: in Madrid ist klassisches französisches Theater zu besichtigen – mit dem einzigen Unterschied, dass nicht eine hoch stilisierte Bühnensprache, sondern ein hoch stilisierter rezitativer Gesang Träger des Geschehens ist. Dass bei dieser Konzeption die komödiantischen Szenen (klassisch: das Satyrspiel zur Tragödie) wie Fremdkörper, mit denen die Regie wenig anzufangen wusste, wirkten, verwundert dann nicht mehr. Von den komödiantischen Szenen, die durchweg unbeholfen, um nicht zu sagen peinlich wirkten, ist einzig  die Nerone-Lucano Szene gelungen. Hier hat sich die Regie wohl der Technik der Personenregie erinnert und im Wettstreit mit und in Ergänzung zum Gesang über  die Körpersprache der Akteure die Bisexualität Nerones geradezu plakativ herausstellt. Das war aber auch die einzige Kühnheit, die sich die Altmeister Pizzi erlaubte. Ansonsten auf der Szene nichts von Sex und Crime, nichts von verruchten Ambitionen und rachsüchtiger Leidenschaft und schon gar nichts von Karneval, kaum etwas von dem, was das Libretto erzählt. Mit einem Wort: auf der Szene edle, sublime Langeweile, eben klassisches französisches Theater in antiquierter Aufführungspraxis. Doch Monteverdi-Stimmen und  Monteverdi-Gesang in höchster, in manieristischer Vollendung. Nach Madrid fährt man nicht wegen der Oper – aber bei dieser fulminanten Besetzung vielleicht doch. Wir sahen die Premiere am 16. Mai. In diesem Monat wird Poppea noch achtmal aufgeführt.

„Omnia vincit Amor et nos cedamos Amori“ – Vicente Martín y Soler, L’arbore di Diana am Teatro Real in Madrid

Als Da Ponte für Mozart das Libretto zum Don Giovanni schrieb, da schrieb er gleichzeitig – so erzählt er in schönster Selbststilisierung  in seinen Memoiren – Texte für Salieri und für Martín y Soler. Salieris opera seria ist heute vergessen. Doch Martín y Solers Buffa, die im Jahre 1787 in Wien uraufgeführt wurde, gehört in Spanien geradezu zum Repertoire. Jetzt im März zeigte das Teatro Real in einer Koproduktion mit dem Liceu Barcelona L’arbore di Diana gleich acht Mal. Ganz wie es sich für eine Buffa gehört,  ist das Sujet witzig und unterhaltsam: eine Keuschheitsprobe in einem mythischen und pastoralen Ambiente, die, wenn Amor nur interveniert, notwendigerweise scheitern muss. Diana  hat in ihren Garten einen Baum gepflanzt, der alle Lüsternheit, ob sie sich „in Gedanken, Worten und Werken“ ereignet, offenbar macht. Spazieren Diana oder eine ihren keuschen Nymphen unter den Zweigen dieses Baumes, ertönt himmlische Musik. Einer ‚sündigen’ Nymphe hingegen fallen die Früchte auf den Kopf. Amor, der den Hochmut der Diana brechen und seine Macht beweisen will, führt drei Schäfer, darunter den in Diana verliebten Endymion in den Garten, und…. Ja, wir wissen schon, wie das ausgeht, eben so wie es in Vergils Bucolica steht: „Amor herrscht über alles und alle“, und selbst die scheinbar so keusche Diana fügt sich resignierend und doch freudig seiner Macht („et nos cedamos Amori“). Die Regie (Francisco Negrín) verzichtet auf den nahe liegenden antiklerikalen und aufklärerischen Touch und erzählt uns nicht die Mär vom so bösen sechsten Gebot, das alle Lust mit Höllenstrafen belegt, und auch von den unterdrückten Sexualtrieben der Freudianer will sie nichts wissen. Sie setzt einfach auf Komik und Karnevalisierung, macht Diana zur Primadonna, die sich selber parodiert, die Nymphen zu Wagners Walküren, Amor als Spielleiter zum androgynen Karnevalsclown und die drei jungen Männer, die es in den Garten der Diana und zu deren Nymphen verschlagen hat, zu zugleich ängstlichen, draufgängerischen und tölpelhaften Kleinmachos – und hetzt sie alle wie in einem Panoptikum aufeinander. Ein Thema, ein Handlungsschema, eine Personenkonstellation, die allesamt einen unterhaltsamen Abend garantieren. Und wenn dann auch noch die Bühnentechnik mitspielt und aus Dianas Apfelbaum einen glitzernden Lichterbaum macht, wenn Diana als schaumgeborene Venus (natürlich in ein Badetuch gehüllt) aus der Wanne steigt, die jungen Männer ihre durchtrainierten Oberkörper zur Schau stellen, die Walküren die Panzerhemden ablegen und zu Wunschmaiden mutieren, ja dann wissen wir wieder: „Alle Lust will Ewigkeit….“ . Und die Musik? Sie ist schön und gefällig. Die Musikhistoriker werden sie einzuordnen wissen. Mir gefällt sie einfach, und ich finde es schade, dass man sie so selten oder wohl gar nicht in deutschen Musiktheatern hört. Wir sahen die achte Vorstellung am 26. März. Es war die siebte Aufführung nach der Premiere am 17. März 2010.

13. 03. 09 Eros und Thanatos für Anfänger. Tannhäuser im Teatro Real in Madrid

Eigentlich ist es mehr als snobistisch, von Zürich nach Madrid zu fliegen, um Wagners „große romantische Oper“ in einem spanischen Musiktheater, in amerikanischer Ausstattung und Inszenierung, mit deutschsprachigen Sängern zu hören und zu sehen. Und die Enttäuschung  ist auch entsprechend. Natürlich darf man in Madrid kein großes Opernspektakel im Stile eines Neuenfels, eines Konwitschny oder eines David Alden erwarten. Aber etwas Besonderes erhoffte man sich doch. Eine trügerische Hoffnung. Die Madrider Verantwortlichen haben sich bei ihrem Tannhäuser für etwas Braves und Konventionelles entschieden und eine Inszenierung aus Los Angeles eingekauft. Regisseur Ian Judge ist immerhin so kühn, die Handlung in die Entstehungszeit der Oper und in großbürgerliche Salons zu verlegen. So sitzt denn zur Ouvertüre der Hausherr, unser Tannhäuser, im weiten roten Schlafrock am Flügel und scheint vergessen zu haben, dass die Damen und Herren eines gewissen Etablissements einen Pornoabend für ihn vorbereitet haben. Allein die  angebotene Erotik-Show ist trotz aller Striptease Bemühungen des Personals so zäh und so langweilig, auch wenn die Leiterin des Etablissements sich in ihr Cocktailkleid geworfen hat, sich dekorativ auf den Flügel legt, Champagner aus der Flasche säuft, den Joint mit dem Hausherrn teilt, dass man auch im Publikum sehr schnell versteht, dass unser braver Sänger und Dichter aus diesem „Reiche fliehen“ will. Wir sind nicht geflohen, obwohl der erste Akt Schlimmes für den Abend befürchten ließ.

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