„Man töte dieses Weib!“ – Eine desaströse Salome am Hessischen Staatstheater Wiesbaden

Man kann die Salome so ziemlich überall spielen lassen: in einem schwülen Orient-Ambiente, in der Wohnküche, im Atelier eines Schneiders, im Panoptikum der Dekadenz, in den wilden Zwanzigern in einem Nachtklub in Berlin, unter Kinderschändern, als Totentanz, in einem Palästinenser Camp, in einem Salon mit Fahrstuhl zum Schafott, in der Todeszelle,  auf dem Mond usw.

Alles, (fast) alles ist möglich. Nur eines ist mit Sicherheit nicht möglich. Man darf die Rolle der Salome nicht mit einer Sängerin besetzen, die, um es vorsichtig zu sagen, als Sängerin und Darstellerin nicht in Hochform ist. Dann ist das Stück erledigt, dann reicht es noch nicht einmal zur Parodie, mag das Orchester wie jetzt in Wiesbaden auch einen noch so schönen, glitzernden, temperamentvollen Strauss spielen. In einem solchen Fall hilft kein Apoll, kein Dionysos, kein unbekannter Operngott weiter. In einem solchen Fall landet man unweigerlich im Desaster. Da wird die Salome zum Flop, zu einem peinlichen Flop, wie wir ihn  jetzt im Opernhaus in Wiesbaden erlebt haben. So  mancher Wohlmeinender  hoffte an diesem Abend nur noch darauf, dass vielleicht ausnahmsweise Herodes seinen klassischen Satz: „Man töte dieses Weib“ nicht erst nach 90 Minuten vortrüge.… → weiterlesen

Der schwarze Satan aus der Fruchtblase bringt Verstörung und Tod. Romeo Castellucci inszeniert Salome bei den Salzburger Festspielen 2018, und Asmik Grigorian triumphiert in der Titelrolle

 

Wenn Theatermacher Castellucci – oder sollen wir lieber sagen, wenn Theatermagier Castellucci seine Theaterkiste aufmacht, dann ereignet sich großes, spektakuläres Theater, dann tun sich neue Sichtweisen auf, dann werden die alten Geschichten neu erzählt, anders erzählt – bis hin zu ihrer Zerstörung, dann wird das Publikum verwirrt und provoziert.

So war es schon bei Castelluccis Brüsseler Parsifal, den wir vor nunmehr sieben Jahren am Théâtre de la Monnaie sahen, einem Parsifal, in dem die Regie jeglichen Erlösungsbrimborium brutal hinweg gefegt hatte. So war es noch provozierender bei Glucks  Orpheus und Eurydike bei den Wiener Festwochen 2014, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit geradezu schamlos eingerissen wurden, wo eine reale Komapatientin zum Objekt der Voyeurs wurde und der Abstieg in die Unterwelt zum Abstieg in die Hölle der Intensivstation wurde, ein Inferno, aus dem kein lieto fine ins Leben zurück  führt.

Auf Provokation und Verstörung hat es Castellucci  auch bei seiner Salzburger Salome angelegt – und dies mit großem Erfolg. Die Szene ist ein geschlossener, ein geradezu klaustrophobischer Raum. Die zugemauerten Galerien der Felsenreitschule sind zu einer Art Klagemauer mutiert, vor der grotesk geschminkte Personen mit roten Gesichtern, in langen schwarzen Mänteln und mit großen schwarzen Hüten in rituellen Bewegungen auftreten. Sind sie alle Talmud Schüler oder vielleicht doch nur Marionetten, die an unsichtbaren Fäden geführt werden. Ein schwarz geschminkter Jochanaan, der selbst von den ersten Parkettreihen her kaum als Person zu erkennen ist, tritt in einer gigantischen Fruchtblase auf. Ist das der Satan selber, der sich als Prophet ausgibt? Oder ist er die Karikatur eines Voodoo Priester, ein Schamane, ein sich lautstark in Szene setzender Krimineller aus der Bronx?… → weiterlesen

Im Panoptikum der Dekadenz nebst Verweisen auf „die wilden Zwanziger“ in Berlin. Neuenfels inszeniert Salome an der Staatsoper unter den Linden

Auch im fortgeschrittenen Alter und nach so zahlreichen Provokationen, die seit Jahrzehnten mit seinem Namen verbunden sind, ist Theatermacher Neuenfels noch immer gut für eine Provokation oder zumindest für ein Skandälchen. Ich meine nicht seinen publikumswirksamen Streit mit  dem Dirigenten von Dohnányi, über den das Feuilleton ausführlich berichtete und der für die Salome Aufführungen den jungen Dirigenten Thomas Guggeis an die Spitze der Staatskapelle katapultierte. Das sind theaterimmanente Spielchen, die schon mal zu einer Produktion gehören können und mich nicht im Geringsten interessieren.

Ich spreche nur von der, wie es mir schien, musikalisch und szenisch äußerst gelungenen Salome an der Staatsoper. Dass die Staatskapelle einen Strauss comme il faut zu zelebrieren weiß und dass Maestro Guggeis sein Geschäft versteht, das braucht man eigentlich gar nicht zu erwähnen. Dass der eine oder andere im Publikum sich noch mehr Power, noch mehr Saft, noch mehr Glitzern, noch mehr Sogwirkung erhoffte, das mag ja sein. Für mich gab’s da nichts zu bekritteln Und das gleiche gilt für das hochkarätig besetzte Ensemble: Ausrine Stundyte in der Titelrolle, Thomas J. Mayer als Jochanaan, Gerhard Siegel als Herodias, um nur die drei Protagonisten zu nennen.

A rebours, ganz gegen den Strich gebürstet, wider alle konventionellen Erwartungen, so könnte man die Grundkonzeption der Inszenierung benennen.  Eine Inszenierung, die die Voyeurs enttäuscht. Sie warteten vergeblich auf einen traditionellen Tanz der sieben Schleier. Salomes Tanz ist ein Pas de deux mit dem Tod, ein Totentanz, ein Tanz, der auf die finale Szene verweist, in der Salome ihren berühmten Monolog inmitten von einer Unzahl abgeschlagener Köpfe singt, Gipsfiguren, die allesamt dem Kopf des Jochanaan ähneln. Sie hat bekommen, „was sie verlangt“ und das gleich hundertfach.

Die Voyeurs, so signalisiert es die Regie überdeutlich, sollen sich an die Figur des Jochanaan halten. Ein Potenzbrocken ist dieser Prophet, der die Zuckungen seines Unterleibs nur mühsam zu bändigen weiß, der sich in seiner Not auf dem Boden wälzt. Die Zisterne, in der das Libretto Jochanaan gefangen hält, mutiert bei Neuenfels zum meterhohen Phallus. In diesem Phallus wollte so mancher eine Rakete sehen. Ja, warum nicht. Die einen sehen halt auf das vermeintlich ‚Reale‘. Die anderen, die Postfreudianer, sehen halt das Symbolische. An der ‚Potenz‘ führt für beide kein Weg vorbei.

Zum Stelldichein mit der Prinzessin Salome holt ein leibhaftiger Oscar Wilde den Propheten aus seiner Potenzrakete, ein Oscar Wilde im schwarzen Business Anzug, dem in Höhe des Gemächts zwei Plastikhoden aus der Hose hängen. Wer hätte das gedacht. Der Schöpfer leidet mit seinen Figuren, teilt deren Unterleibsprobleme, wird zum stummen Mitspieler und Regisseur, der schon mal in  Maske und Kostüm der Salome deren Rolle übernimmt und damit für Jochanaan zum ‚Objekt der Begierde‘ wird, der im Tanz mit Salome den Todesgott und im Finale den vom Geschehen entsetzten Begleiter der Prinzessin gibt.

All dies kann man, wenn man so will, provokativ oder ein bisschen provokativ nennen. Schockierend ist es nicht. Ganz im Gegenteil. Was sich da auf der Szene ereignet, das ist höchst amüsant. Und nicht nur das. Neuenfels präsentiert uns darüber hinaus gleichsam eine ‘intermediale‘ Inszenierung: eine Hommage an Franz Stuck und an die Revuen und Stummfilme der Berliner Zwanzigerjahre. Es wimmelt geradezu vor fragmentarischen und variierenden Zitaten. Jochanaan ist von der Maske her Franz von Stuck. Seinen Unterleib bedeckt ein Rock, den  Stucks Salome trägt. Die Neuenfels Salome in ihren engen schwarzen  Hosenanzug und ihrer strengen schwarzen Scheitelfrisur erinnert an einen Stummfilmstar. Das Judenquintett mit schwarzem Zylinder und im schwarzen Frack könnte einem Cabaret entlaufen sein. Herodias in ihrem silbrigen langen Glitzerkleid wirkt wie die Assistentin eines Zauberkünstlers, und Herodes ist wohl der Direktor eines Etablissements. Spielen sie alle Salome, ein Stück von Oscar Wilde, ein Stück, das am Ende aus dem Ruder läuft? Ist die Neuenfels Salome ‚Theater auf dem Theater‘, Metatheater? „Allein, was tut’s. Ich habe“ eine höchst brillante Salome Aufführung an der Staatsoper unter den Linden gesehen und gehört. Und wenn sich noch einmal eine Gelegenheit ergibt, dann gehe noch einmal hin.

Wir besuchten die Aufführung am 14. März 2018, die vierte Aufführung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 4. März 2018.

 

 

Von der Angst des Politikers vor den Fundamentalisten. Salome an De Nationale Opera Amsterdam

Nein, dieses Mal wird uns kein Lustgreis und kein feister Kinderschänder im orientalischen Ambiente präsentiert. Es patrouillieren auch keine schwer bewaffneten Soldaten im Kampfanzug von heute. Salome ist auch kein sich langweilender Punk, der sich ein neues, leider tödlich ausgehendes Spielchen ausgedacht hat, und Jochanaan ist kein ‚Prophet aus der Wüste‘.
Von all diesem konventionellen Plunder will … → weiterlesen

Salomes Nachtmäre im Atelier beim Schneidermeister. Claus Guth inszeniert die Salome an der Deutschen Oper Berlin

Von schwülstiger Erotik, von Dekadenz und Jugendstil, von Orientmode, von Schleiertanz und Nekrophilie, von all den Mythen und Obsessionen des Fin de Siècle, in denen sich bei der Salome so mancher konventioneller Theatermacher verfängt, will Claus Guth nichts wissen. Er optiert stattdessen für Traumdiskurs, Puppentheater, Aktualisierung und einen Schuss Psychoanalyse.

Seine Salome, wie sie da im langen Nachthemd durch die Puppen (die Schaufensterpuppen) im Atelier irrt, ist keine Kindfrau mit eigenartigen Gelüsten. Sie ist eine erwachsene Frau, die in ihrer Kindheit vom pädophilen Stiefvater missbraucht wurde, an diesem Trauma leidet und sich gleichsam in einer Nachtmäre ihre Kindheit und Jugend in Erinnerung ruft. Eine Zeit, die sich gleich in sechs Salome Doppelgängerinnen in unterschiedlichen Altersstufen konkretisiert. Kinder und junge Mädchen, die sie nahezu ständig umgeben.

Der Prophet Jochanaan, ein schwerer nackter Mann, der aus einem Haufen von Stoffresten, die in der Schneiderei herumliegen, herauskriecht, ist nichts anderes als der Wiedergänger oder Doppelgänger des verhassten und geliebten Stiefvaters, eine Identität, die offensichtlich wird, wenn die Salome-Mädchen ihn ankleiden und er in Kostüm und Maske, mit Perücke und Brille zum perfekten Doppelgänger des Stiefvaters wird.… → weiterlesen

„Ich will den Kopf des“ – Terroristen. Eine aktualisierte Salome an der Oper Stuttgart

Könnt Ihr, liebe Theatermacher, uns nicht endlich einmal mit dem ewigen Israel- Palästinenser Konflikt in Ruhe lassen, mit der in allen Medien stets präsenten Flüchtlingsthematik, mit den Gewaltexzessen des IS, mit dem breiten Leinwandgrinsen der Merkel, mit Mossad und Terroristen, mit den ewig gleichen Videoaufzeichnungen, mit all dem Aktualisierungswahn, mit dem Ihr hier im konkreten Fall der Salome die glitzernde, so schön dekadente Musik zum Soundtrack für Euer Kino auf der Opernbühne missbraucht.

Natürlich sind Dekadenz und (verlogene) Orientmode des 19. Jahrhunderts längst Schnee von gestern.  Natürlich haben wir vom Mythos der Femme fatale nebst all ihren Mythemen, Varianten und gesellschaftlichen Verortungen längst genug. Und da hilft, wie uns das Stuttgarter Regieteam um Kirill Serebrennikov weismachen will, als Gegenmittel, als Gegengift nur Politisierung, schärfste Aktualisierung und intermediales Spektakel?… → weiterlesen