Noch nicht einmal eine Traumfigur – nur eine Performance-Figur. Lohengrin an der Oper Graz

Vielleicht – so notierte ich mir Ende vergangenen Jahres, als wir einen musikalisch wie szenisch höchst faszinierenden Tristan am Theater Lübeck erlebten – vielleicht sollte man zu den kleineren und mittelgroßen Musiktheatern fahren, wenn man ungewöhnliche Wagner-Aufführungen hören und sehen möchte. Eine Beobachtung, eine Erfahrung, die sich beim Grazer Lohengrin bestätigte. Auch hier wird – vielleicht mit gewissen Einschränkungen im Vergleich mit Lübeck – durchweg brillant gesungen. Auch hier weiß man den Wagner-Sound zu bereiten. Ja, ich weiß, der Lohengrin ist noch nicht der Tristan. Die Lohengrin-Musik ist noch eine sanfte Droge, macht noch nicht süchtig wie die Tristan Klänge. Das militärische Gedröhn stört noch. In Graz, so schien es mir, hat man dieses Laute zurückgedrängt – zu Gunsten des ‚Überirdischen‘ und des Sanften und des ‚Lyrischen‘, ohne indes den Kontrast zwischen den beiden Welten zu verwischen. Doch wer weiß, ich bin ja keine Musikerin, vielleicht habe ich das alles falsch gehört. Sagen wir es doch einfach ganz subjektiv und simpel: die musikalische Interpretation hat mir gefallen.

Und dasselbe gilt – ohne alle Einschränkungen – für die szenische. Regisseur Johannes Erath inszeniert ähnlich wie Stefan Herheim bei seinem Bayreuther  Parsifal die deutsche Geschichte gleich mit.… → weiterlesen

Star-Theater nebst Bühnenbildner-Exzess. Ariadne auf Naxos an der Oper Frankfurt

Ist doch schön, wenn ein berühmter Ausstatter, der schon seit vielen Jahren stets schicke Dekorationen und Kostüme kreiert, wieder einmal seine „Kunstfertigkeiten“ ausgiebig zur Schau stellen darf: im „Vorspiel“ ein großbürgerlicher Salon mit Treppen, vielen Türen und weißem Flügel. In der „Oper“ so eine Art illustre Vorhölle, dieses Mal mit überdimensionierten Türen. Und dann die Kostüme: die Prinzessin Ariadne ist eine klassische Amphoren-Schönheit, Zerbinetta und ihre Partner: eine klassische Commedia dell’arte-Truppe, Bacchus (seltsamerweise) ein entlaufener Benediktiner. All dies ist hübsch anzusehen und freut das Publikum. Doch, so fragt sich die Zugereiste, warum dieser Aufwand? Warum spielt man die „Oper“ nicht gleich anschließend an das „Vorspiel“ im Salon und vermeidet damit die lange Umbaupause, die das Stück doch nur auseinander reißt und alle Illusion zerstört? Anderenorts spielt man die Ariadne doch auch ohne Pause.… → weiterlesen

Und Garibaldi schwenkt die Fahne über Bergen von Leichen. I Vespri Siciliani an der Oper Freiburg

Eine nahe liegende und auch eine überzeugende Konzeption,  das krude Geschehen aus dem späten 13. Jahrhundert in die Entstehungszeit der Oper, konkret: in die Zeit des Risorgimento zu verlegen. Entsprechend kämpfen jetzt die Fanatiker und Fundamentalisten nicht mehr gegen eine französische Besatzungsmacht, sondern gegen die Bourbonen, die sich dem italienischen Nationalstaat widersetzen. Ein Stück über den zeitlosen Fundamentalismus, dem  Leichen, zerstörte Liebes- und Familienbeziehungen gleichgültig sind. 

Aufgepfropft werden diesem  politischen Unterbau die üblichen Verdi-Konflikte. So sind denn auf der Bühne  wieder einmal die üblichen Verdächtigen beisammen. Die schöne Sopranistin im Kampf zwischen Pflicht und Neigung, der Tenor, der zwischen allen Stühlen sitzt, der Bariton, der es eigentlich mit allen gut meint, der fanatische Bass, der es eigentlich mit allen bös meint. Ja, und am Ende sind sie alle tot, und der Böse – und mit ihm das Vaterland –  triumphieren. Schwer erträgliches, krudes Zeug, das die Musik nur mühsam ’sublimiert‘.

Ich hatte die Sizilianische Vesper noch nie gehört, geschweige denn auf der Bühne gesehen. Ob diese Oper ein großer Verdi ist, das kann ich nicht beurteilen. Sicherlich  finden sich dort eine ganze Reihe eingängiger Arien, Duette und Chorszenen, und ein Verdi Publikum wird sicherlich seine Freude daran haben. Mir hat es nicht sonderlich gefallen. Vielleicht lag es auch daran, dass wir zu weit vorne saßen und deswegen das starke Forcieren, zu dem Tenor und Sopranistin neigten, etwas unangenehm fanden. Vielleicht  zielte die musikalische Interpretation ja auch auf ein starkes Herausstellen der Singstimmen zu Lasten des Orchesters. Ich weiß es nicht.

Wie dem auch sei. In Freiburg ist ein respektabler Verdi zu hören und zu sehen. Wir sahen die Vorstellung am 25. Dezember. Die Premiere war am 2. November 2013.

Und Wagner/Tristan stirbt im Palazzo Vendramin, und Cosima/Brangäne und Isolde/Mathilde „ertrinken – versinken“ – in Notenblättern. Tristan und Isolde an der Oper Lübeck

Sind die mittleren und kleinen Häuser der wahre ’Hort‘ der Wagner-Pflege? Muss man  weit in den Norden, ins ferne Lübeck reisen, um „Leiden und Größe Richard Wagners“ zu erfahren, zu genießen? Ein Gedanke, der einem nicht abwegig dünkt, wenn man in der Oper Lübeck eine grandiose Tristan und Isolde Aufführung erlebt, eine Aufführung, bei der alles stimmt: bei der das Orchester die berüchtigte ‚Klangfarbenpracht‘ ausbreitet, bei der die Musik  die berüchtigte ‚Suggestionskraft‘ entfaltet, sich im Publikum die berüchtigte „narkotisierende Wirkung“ der Wagner Musik einstellt, eine Wirkung, der sich kaum ein Zuhörer zu entziehen vermag. Auf der Bühne Wagner-Sänger, denen jeglicher Schreigesang fern liegt, Stimmen, die einen geradezu lyrischen Wagner-Gesang zelebrieren. Ein brillantes Ensemble von Sängerdarstellern, wie man es in dieser Geschlossenheit selten antrifft.… → weiterlesen

An der Front im ersten Weltkrieg und auf dem faschistischen ‚Heldenfriedhof‘. Die Walküre an der Oper Leipzig

„Völkerschlacht“ bei Leipzig. Ausbruch des ersten Weltkriegs. Gedenkorte und Gedenkjahre des großen Abschlachtens. Da liegt es nahe, daran zu erinnern, dass es auch in Wagners Walküre um das sinnlose Abschlachten aus scheinbar hehren Motiven geht: um der Ehre, um der Rache, um der Macht willen. Ein Gedanke, der vielleicht die Konzeption der Leipziger Walküre mitbestimmt haben mag.

Rosamund Gilmore, die im neuen Leipziger Ring für die Regie verantwortlich zeichnet, setzt indes in ihrer Walküre kein plattes realistisches Kriegsstück in Szene, wenngleich die Ingredienzen hierfür alle beisammen sind. Nebelschwaden, Stacheldrahtverhaue, Walküren im modernen Military Look, Karabiner mit aufgestecktem Bajonett, Hunding als französischer (?) Soldat, der nebst Gattin in einem unterirdischen Bunker haust, Wotan in einem zerschossenen Hauptquartier, das einstmals wohl ein Schloss aus dem 18. Jahrhundert war.

Das Kriegsszenarium ist indes nur das Vordergründige. Bild und Geschehen öffnen sich hin zum Mythischen. Archaische Elemente des Mythos, die eine platte Aktualisierung unterdrücken würde, treten wieder hervor. Und diese Ausweitung des Geschehens gelingt der Choreographin Gilmore über Bewegung und Tanz. Sind das Lemuren, Untote unter ausgebleichten Tierschädeln, Vorboten des Todes, die da aus den Stacheldrahtverhauen über Hundings Bunker kriechen, Siegmund in den Bunker hinab folgen und lauernd die wachsende Feindseligkeit zwischen den beiden Männern beobachten? Wer ist der groß gewachsene ‚Held‘, der Brünnhilde ständig begleitet. Ihr Adjutant? Einer von Wotans „Heldensöhnen“, der dessen „Wunschmaid“ schützen soll?. Oder ist der “Held“ schon die Präfiguration ihrer Erlösers Siegfried? Überaus deutlich wird dieses Schwanken zwischen scheinbarer ‚Realität‘ und dem Archaisch-Mythischen in der Fricka-Szene. Zwei Tänzer mimen die Widder, die laut Libretto den Wagen der Göttin ziehen. Doch diese Göttin wirft ihre Attribute von sich und mutiert zu einer Art   Florence Nightingale Verschnitt – und die Widder sind weiter ihre ständigen Begleiter.

Höchst spektakulär  ist das Szenarium im dritten Akt: ein Heldenfriedhof, übersät statt mit weißen Kreuzen mit weißen Stiefeln. In der Mitte das schon für Brünnhilde vorbereite ‚Heldengrab‘, auf das sie sich als Statue ihrer selbst legen wird, zur Linken ein faschistischer Palast im  De Chirico Stil, in den sich die Walküren flüchten werden und aus dem Brünnhildes vieldeutiger Adjutant auf die Schlafende herab blicken wird. Und während dessen ist die Tanztruppe zum paramilitärischen faschistischen Turnverein mutiert.

Eine höchst beeindruckende Bühnenwelt, die Rosamund Gilmore und der Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle für ihre Leipziger Walküre geschaffen haben. Hinzu kommt ein zweites, das schon beim Rheingold zu beobachten war. Das Produktionsteam verzichtet auf die üblichen ideologischen Botschaften, will nicht mit Wagner die Welt erklären, sondern  mit Wagner großes, faszinierendes Theater machen. Und dies ist ihm zweifellos gelungen.

Und Orchesterklang und Gesang? Da gibt es nichts zu bekritteln. In Leipzig wird in allen Rollen herausragend gesungen und gespielt. Und natürlich spielt  das Gewandhausorchester unter Maestro Schirmer einen perfekten Wagner. Wagner vom Allerfeinsten. Ein großer Opernabend in Leipzig.

Wir sahen die Aufführung am 22. Dezember, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 7. Dezember 2013.

 

 

 

 

Spiel mir die Musik vom Tod. Sterben im Transitraum. Claus Guth setzt Schuberts Oratorien-Fragment Lazarus in Szene

Im Theater an der Wien ist eine Rarität zu hören und eine (zum Teil) herausragende Regiearbeit zu bestaunen. Oratorien als Theaterstücke zu inszenieren – bei deren struktureller Analogie zur Oper liegt das ja auch nahe – ist keine Besonderheit mehr. Bei Händel Oratorien wie z.B. bei Il Trionfo del Tempo e del Disinganno ist die szenische Umsetzung inzwischen gängige Praxis. Selbst der Messias – das hatte vor ein paar Jahren Claus Guth mit großem Erfolg im Theater an der Wien gezeigt – lässt sich in ein großes szenisches Spektakel umformen. Und Schuberts Lazarus? Ein gerademal gut einstündiges Stück, das vom langsamen Sterben eines Mannes und von den Klagen seiner Schwestern und Freunde erzählt. Ich sage bewusst ‚erzählt‘, denn von einer dramatischen Anlage, die zur szenischen Gestaltung einladen würde, ist in diesem Stück kaum etwas zu finden. Ein Problem, an dem andere  Theatermacher wohl scheitern würden, ist für einen so versierten Musiktheater-Regisseur wie Claus Guth  eine Herausforderung, Anregung zur Kreativität.… → weiterlesen