Komödie mit tragischen Einlagen: Götterdämmerung an der Oper Frankfurt

Der Frankfurter Ring wird  bekanntlich in den Feuilletons sehr gelobt – und dies, so scheint es mir, auch zu Recht. Wir hatten im November vergangenen Jahres Siegfried  gesehen:  eine, abgesehen von  den ziemlich eindeutigen parodistischen Verweisen auf Freud Klischees, recht vieldeutige Inszenierung, und wir waren von der spektakulären Aufführung mehr als angetan, um nicht zu sagen begeistert. Und das gleiche gilt auch für die Götterdämmerung. Das beginnt schon mit dem scheinbar so einfachen und doch vieldeutigen Einheitsbühnenbild. Wie im Siegfried ist Ort der Handlung eine runde Scheibe mit einer Öffnung in der Mitte, die sich je nach  dramatischer Situation auftut oder verschließt, eine Scheibe, die sich um ihre Achse drehen und sich  senkrecht aufrichten und wie eine Achterbahn funktionieren kann. Wie  schon im Siegfried spielt  das „Frankfurter Opern- und Museumsorchester“ unter der Leitung von Maestro Weigle einen – zumindest erschien es mir so – faszinierenden, manchmal sogar rauschhaften Wagner. Wieder sind  mit Lance Ryan als Siegfried, Johannes Martin Kränzle als Gunther und Gregory Frank als Hagen die Hauptrollen herausragend besetzt,… → weiterlesen

Schwarzer Humor in der Operette. Die Oper Frankfurt gräbt einen Hit der Belle-Époque wieder aus: Emmanuel Chabrier, L’Étoile. Opéra bouffe in drei Akten

Schwarzer Humor in der Operette. Die Oper Frankfurt gräbt einen Hit der Belle-Époque wieder aus: Emmanuel Chabrier, L’Étoile.  Opéra bouffe in drei Akten

Es muss ja nicht immer Offenbach sein. Aber die Leichtigkeit, die Raffinesse, die Eleganz und den Witz eines Offenbach, die sollten Musik und Libretto schon haben, wenn wir eine opéra bouffe  herausbringen. So mag man in Frankfurt gedacht haben, als man sich entschloss, Chabriers in seiner Zeit so erfolgreiche opéra bouffe in Szene zu setzen. Und mit L’Étoile (Uraufführung 1877) hat man eine exzellente Wahl getroffen. Da findet sich alles, was eine Bouffe ausmacht:… → weiterlesen

Das Trauma vom Frühlingserwachen oder ein Fest für eine Sopranistin. Daphne an der Oper Frankfurt

Das Trauma vom Frühlingserwachen oder ein Fest für eine Sopranistin. Daphne an der Oper Frankfurt

Der späte Strauss, so liest man mancherorts, sei nur noch der Schatten des einstigen Genies  gewesen und als er dann nach dem Tode Hofmannsthals und der Emigration Stefan Zweigs bei der Daphne an einen Wiener Kleinliteraten als Librettistin geraten sei, da sei es eigentlich aus mit ihm gewesen. Lassen wir es einmal dahingestellt sein, ob das Konglomerat aus Mythemen des Apollo/Daphne- und des Dionysosmythos, aus Dreiecksgeschichte und Freudscher Triebverdrängung, das Joseph Gregor für Strauss fabriziert hat, wirklich so einfältig ist, wie mancherorts behauptet wird.  Immerhin hat es Strauss dazu inspiriert, seine glitzernde Welt der Klänge und der Koloraturen noch einmal aufzubereiten und wenn dann wie jetzt in Frankfurt so herausragende  Strauss Sänger wie Juanita Lascaro  als Daphne und Lance Ryan als Apollo  auf der Bühne stehen, dann verzaubert auch noch die Musik des späten Strauss. Natürlich ist die Daphne keine Salome und keine Zerbinetta. Doch Möglichkeiten, mit ihrer Kunst zu brillieren, bietet auch die Rolle der Daphne einer Sopranistin in Fülle – und in Frankfurt weiß die Protagonistin diese zur Begeisterung des Publikums zu nutzen. Zur Faszination des Abends trägt auch die durchdachte und zugleich spektakuläre Inszenierung bei. Regisseur Claus Guth hält sich mit der Verwandlungsszene und den mythischen Materialien, wie man sie bei Ovid findet, gar nicht weiter auf: die Nymphe Daphne – so heißt es bei Ovid – kann sich der Nachstellungen Apolls kaum noch erwehren, und erschöpft  von der Flucht vor dem verliebten Gott bittet sie um Hilfe. Diese wird ihr in der Weise zuteil, dass sie vor den Augen Apolls in einem Lorbeerbaum verwandelt wird. Guth erzählt die Geschichte im Rückblick, aus der Perspektive einer zur alten Frau gewordenen Daphne, die noch einmal an den jetzt verfallenen Ort des Geschehnes zurückkehrt, ihre Geschichte noch einmal erlebt, ihr Trauma noch einmal erfährt: ihren vergeblichen Versuch, sich vor den Menschen in die Natur, zu den Pflanzen und Bäumen zu flüchten, die Leidenschaft, mit der sie ihr Freund aus Kindertragen bedrängt, das Dionysosfest, auf dem die maskierten Anhänger des Gottes sie zu vergewaltigen suchen, die anhaltenden Nachstellung des verliebten Fremden (eine Rolle, die der Gott Apoll angenommen hat), die gewalttätige Eifersucht des Fremden, der den Jugendfreund tötet, das Entsetzen über die Tat, die Flucht … Es sind gleichsam Filmsequenzen, in denen sich die Greisin Daphne als junges Mädchen wieder erkennt, eine Frau, die all ihre Geschlechtlichkeit zu verdrängen suchte und gerade deswegen zum Objekt der Begierde wurde. Anders als in vielen seiner sonstigen Arbeiten will Guth bei seiner Frankfurter Daphne den Mythos nicht aktualisieren oder neu  verorten. Die Erzählung bleibt im zeitlich und örtlich Unbestimmten, wird zum Albtraum einer Verstörten. Ein großer Opernabend in Frankfurt. Wir sahen die Aufführung am 26. Juni 2010, die neunte Vorstellung. Die Premiere war am 28. März 2010

Nachtrag vom 10. Februar 2019

Bald neun Jahre ist es her, dass wir die Claus Guth Inszenierung der Daphne in Frankfurt sahen, eine Inszenierung, die nicht im Geringsten abgespielt ist. Ganz im Gegenteil. Beim Wiedersehen wird man auf Deutungen aufmerksam, die einem damals entgangen sind. Nur ein Beispiel: die „bukolische Tragödie“, wie sie Guth versteht, ist auch ein Kinderschänderstück. Daphne ist eben nicht nur das Opfer Apolls, wie es die gängige Variante des Mythos will. Ihre Traumata, ihre sexuelle Gestörtheit, ihre Flucht in das Vegetative, gehen auf ihre Kindheit zurück. Sie ist das Opfer eines Inzest, Opfer ihres Vaters (in der gängigen Variante der Flussgott Peneios). Diese zunächst befremdende Deutung fügt sich ein in das Spiel mit den Mythen. Daphne, die Schutz in der Natur sucht und zum Lorbeerbaum wird ist zugleich Myrrha, das Opfer des Inzests, das in einen Myrrhe-Baum verwandelt wird.

Natürlich braucht man das Spiel mit den Mythen und die impliziten Verweise auf Freud gar nicht zu verfolgen. Es genügt, sich an den ‚glitzerten Klangteppich‘ der Strauss-Musik und an die so exzellenten Stimmen zu halten. Und man erlebt einen Strauss Abend der Extraklasse – mit Jane Archibald in der Titelrolle und Andreas Schager als Apollo.

Immer Ärger und Langeweile im Club Méditerranné. Vivaldi, Orlando Furioso an der Oper Frankfurt

Ja, warum sollen Angelica und Medoro, Ruggiero und Bramante, Alcina und Orlando, der versierte Opernbesucher  kennt sie alle schon von Händel  her, sich nicht auch einmal in einem südlichen Club Med  treffen, zu der Alcinas Zauberinsel in Frankfurt mutiert ist, einem Club Med mit Felsenstrand, Strandbar und der schönen und eleganten Alcina als Gentil Animateur, die sich um die Liebeshändel der Gäste sorgt, sich aber leider in einen Neuankömmling, einen gewissen Ruggiero, so hoffungslos verknallt, dass sie dabei zugrunde geht und der Club geschlossen werden muss. Natürlich konnte Alcina nicht damit rechnen, dass der abgetakelte Pop Star Orlando ständig Ärger macht und schließlich vollständig durchdreht, dass Ruggiero ein solches Weichei ist, dass er sich gleich von seiner Exfreundin Bramante, einem Monster an Eifersucht, mit allen Tricks wieder einfangen und domestizieren lässt. Nur die beiden Kids, Angelica und Medoro, die heillos ineinander verschossen sind, machen keinen Ärger, wenngleich die arme Angie alle Händel voll zu tun hat, sich den aggressiven Pop Star, der einfach nicht einsehen will, dass er bei ihr keinen Stich machen kann, vom Halse zu schaffen. Eine schöne, eine muntere Konstellation, die das Zeug zu einer Soap Opera oder zu einer Operette hat. In Frankfurt weiß Regisseur Bösch  im „ersten Teil“ auch recht geschickt und zum Gaudi des Publikums mit den Möglichkeiten des Librettos zu spielen. Allein im zweiten Teil da trägt sich die Konzeption nicht mehr so recht.  Wiederholungen und  müde Gags häufen sich, und es breitet sich allgemeine Langeweile aus, eine Todsünde, die auch ein genügsames Publikum nicht verzeiht. Warum, so fragt sich die geduldige Opernbesucherin, streicht man diesen Vivaldi nicht auf zwei Stunden zusammen und spielt mit Tempo und Witz und natürlich ohne Pause einfach durch. An Kompetenz fehlt es doch wirklich nicht. David Bösch, der für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, ist doch ein erfahrener Theatermann, und mit Andrea Marco steht ein Vivaldi Spezialist der ersten Garnitur am Pult, bei dem die Musik wirklich so „frisch“ klingt, „als wäre sie im Moment entstanden“(Andrea Marco). Doch da es offensichtlich am Mut zu Strichen fehlt, gerät der eigentlich so gut angelegte Vivaldi Abend zu einem Abend der verschenkten Möglichkeiten. Ganz so schlimm, wie es ein den Frankfurtern nicht unbedingt wohl gesonnener Musikkritiker in der überregionalen Presse meinte, ist der Frankfurter Orlando nun auch  wiederum nicht.  Sonia Prina, die wir bei anderen Gelegenheiten schon viele Male als Vivaldi- und Händelsängerin erlebt haben, legt sich in der Titelrolle als Sängerin und Komödiantin  mächtig ins Zeug und zieht auch das Ensemble mit. Aber, wie es so schön heißt, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Wir sahen die Vorstellung am 21. Februar. Es war die dritte Aufführung nach der Premiere am 14. Februar 2010.

Ein halbseidenes dröges Kammerspiel. Christof Loy inszeniert Arabella an der Frankfurter Oper

Bei Helmut Krausser in einem seiner Tagebücher heißt es einmal, der späte Strauss der Arabella sei nur noch ein Schatten, ein Abklatsch seiner selbst, habe kaum noch etwas von der Genialität, die den Strauss der Elektra, des Rosenkavaliers, der Ariadne auszeichne. Und wenn man Gelegenheit hat, nach der Frankfurter Arabella am nächsten Abend die Münchner Ariadne zu erleben, dann erscheinen einem die Bemerkungen Kraussers gar nicht so abwegig – und doch zugleich ungerecht. Die Ariadne mit ihrer Überlagerung von Opera Buffa, Metatheater und altehrwürdiger Opera Seria hat mit der kitschigen Operettenseligkeit der Arabella so gar nichts gemein. Nicht von ungefähr spricht Strauss in einem Brief an Stefan Zweig von „Kitsch“ im Zusammenhang mit der Arabella. Wie dem auch sei. Die „lyrische Komödie“ (warum sagen wir nicht einfach die Wiener Operette) um die verarmte Schöne aus der Wiener Stadt und den reichen ungehobelten Prinzen aus den slawonischen Wäldern, um das androgyne Mädchen und den verzweifelten Liebhaber und um den spielsüchtigen heruntergekommenen Papa, die sieht und hört man immer gern, zumal wenn wie in Frankfurt eine so überragende Sängerschauspielerin wie die Nylund als Arabella auf der Bühne steht. Die Inszenierung hingegen, von der man sich so viel erhofft hatte, enttäuscht – zumindest in den ersten beiden Akten. Zäh und dröge und konzeptionslos – es sei denn man sieht Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit und das Warten auf den Märchenprinzen als eine Konzeption an – zieht sie sich dahin, und man ertappt sich bei dem Gedanken, ob man doch nicht lieber zur Internationalen Automobilausstellung hätte gehen sollen, wenn man schon Messepreise im Hotel zahlt. Aber die Frankfurter Arabella – welch eine elegant-schöne Bühnenerscheinung – singt halt so hinreißend. Da können die Automänner von der IAA mit ihren noch so schicken Spielzeugen einfach nicht mithalten. Nach der zweiten Pause da ist plötzlich alles anders. Da entschädigt eine brillante Personenregie, die keine Requisiten und kein Bühnenbild mehr braucht – man agiert einfach vor einer hellen weißen Wand – für all die Dürftigkeit und Einfallslosigkeit, die die ersten beiden Akte bestimmten: die scheinbare Verabredung zu einer wilden Nacht mit der spröden Arabella beobachtet der eifersüchtige Mandryka  vor der Toilettentür. Zum berühmten Duett lehnen sich die beiden Schwestern an die Heizung in ihrem Absteigehotel (wir sind halt so arm und frieren tun wir auch, und von der Rampe singen wir doch sonst so gern). Vielleicht ist die Inszenierung  auch als Gegenstück zur Musik gedacht. So wenig wie einem sonst so genialischen Komponisten wie Strauss ständig Neues einfallen kann, so wenig kann auch ein Regiestar immer und ewig brillant sein. Aber wie die Musik der Arabella so hat auch ihre Frankfurter Inszenierung – manchmal –  große Szenen. Und am Ende war ich doch froh, dass ich nicht zur IAA gegangen bin und bei Strauss und Loy geblieben bin. Wir sahen  am 18. September die 10. Vorstellung der Produktion. Die Premiere  – eine Übernahme aus Göteborg – war am  25. Januar 2009.Vielleicht noch ein Hinweis: wer einen großen Straussabend erleben möchte, der sollte die Münchner Ariadne sehen und hören. Eine Inszenierung von Robert Carsen, die vor einem Jahr bei den Münchner Opernfestspielen im Prinzregententheater Premiere hatte, zwischenzeitlich von der Deutschen Oper in Berlin übernommen wurde und jetzt im Nationaltheater in München wieder gezeigt wird. In meinem Operntagebuch finden sich ein paar Bemerkungen zu dieser Inszenierung