Il Trionfo del Belcanto. Brenda Rae brilliert als La Sonnambula an der Oper Frankfurt

Bei Bellini – so hatte ich es mir schon oft notiert – genügen zwei oder drei herausragende Stimmen, und ein großer Opernabend ist von vornherein garantiert. In Frankfurt genügt eine brillante, alle anderen Mitwirkenden weit überragende Sopranistin, Brenda Rae in der Rolle der schlafwandelnden Amina, und es ereignet sich ein ungewöhnlich ‚schöner‘ Belcanto-Abend. Ein Abend, an dem die Primadonna nicht nur alle anderen Mitwirkenden recht blass aussehen lässt, sie geradezu an die Wand singt  – vielleicht mit Ausnahme der an diesem Abend kurzfristig eingesprungenen Nina Minasyan in der mittleren Partie der Lisa. Der arme Tenor, den der Kostümbildner noch dazu in einen unvorteilhaften Anzug gesteckt hatte, war, so sehr er sich auch in den Spitztönen abmühte, gegenüber der Sopranistin praktisch chancenlos.

Mit anderen Worten: an der Oper Frankfurt zelebriert Amina in der Person der Brenda Rae Belcanto auf höchstem Niveau, zieht mühelos durch die Koloraturen, wächst über die Rolle noch hinaus und ist in ihrem Unglück Donizettis Lucia und in ihrem Glück Rossinis Angelina. Das Orchester unter der Leitung von Eun Sun Kim nimmt sich ganz zurück, lässt der Sängerin allen Raum, auf dass  ihre Belcanto-Stimme umso schöner erklinge. Sollen wir jetzt mit dem Programmheft Wagner zitieren? „Wir müssen uns nicht schämen, eine Träne der Rührung zu vergießen, wenn wir [Bellini] hören“. Nun, „der Freude Tränen fließen“ nicht im Frankfurter Opernhaus. Doch immerhin Begeisterung im ganzen Haus.

Und die Inszenierung? Sie fand eigentlich nicht statt bzw. störte nicht weiter. Die Regie verzichtet auf alle Kulissen, lässt auf einer hochgestellten, meist schräg ausgerichteten Spielfläche die Solisten mal rechts, mal links, mal in der Mitte von der Rampe singen, lässt den Chor auf dieser Schräge (immerhin hübsch angeordnet) herumstehen oder sich im Bühnenhintergrund hinter einem Gaze- Vorhang verstecken. Immerhin gibt es eine Szene, die Schlussszene, die wohl die Grundkonzeption der Inszenierung signalisieren soll. Amina/Angelina singt die letzten Takte ihrer finalen Bravourarie. Der Zwischenvorhang fällt. Der angebliche Traummann und mit ihm alle anderen bleiben zurück. Amina ist allein. Ja, so fragt sich die vom Belcanto noch ganz benommene Zuhörerin, ja, was will diese schöne, fragile, empfindsame Frau eigentlich mit diesem dümmlichen, eifersüchtigen, trottelhaften Liebhaber  anfangen? War die Grundkonzeption der Regie vielleicht eine feministische? Wollte sie die Männer  deswegen zu machohaften Popanzen machen, auf dass die einzige Person, die zur romantischen Passion fähig ist, umso strahlender erscheine?

Wir sahen die Aufführung am 3. Dezember, die zweite Vorstellung seit der Premiere am 30. November 2014.

 

Im Schatten junger Mädchen Fieberträume.Jossi Wieler inszeniert eine grandiose La Sonnambula in Stuttgart

Um es gleich vorweg und ohne alle Einschränkung zu sagen: an der Oper Stuttgart wird nicht nur ein höchst brillanter Bellini Belcanto zelebriert. Hier ist auch die Inszenierung brillant. Hier zeigt  die szenische Umsetzung, was ‚Regietheater‘ im besten Sinne  des Wortes sein kann: eine Regie, die es nicht nötig hat, mit albernen Mätzchen herumzuspielen oder ein Stück zu zerhacken, sondern die verborgene Sinnschichten eines Textes aufzudecken und in Szene zu setzen weiß. Wie oft haben wir uns bei Belcanto Opern – zuletzt in Berlin beim Tancredi und in Barcelona bei der Linda di Chamonix – über das einfältige, oft sogar peinliche szenische Spektakel geärgert, das mittlere Theatermacher aus Belcanto Opern zu machen pflegen.  In Stuttgart ist alles anders. Hier passt alles zusammen.

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