Rossini light? Giuseppe Saverio Mercadante, Didone abbandonata. Dramma per musica. Uraufführung 1823. Eine gelungene Ausgrabung bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

„Das klingt ja alles wie Rossini“ – so flüsterte nach der Ouvertüre die Dame neben mir ihrer Begleiterin zu. Und damit hatte sie wohl recht. Ohne dass sie gleich  im Programmheft die gelehrten Ausführungen des Herausgebers der  kritischen Neuausgabe, Paolo Cascio, studieren muss, fallen auch der interessierten Opernbesucherin die Analogien zu Rossini gleich auf. Ein Feuerwerk von bravourösen Arien und Duetten, zahlreiche Chorpartien. Sopran (Didone), Mezzosopran (Enea) und Tenor (der Bösewicht Jarba) finden zahlreiche Gelegenheiten zu brillieren. Und da alle drei (Viktorija Miskunaité als Didone, Katrin Wundsam als Enea und Carlo Vincenzo Allemano in der Rolle des Jarba) über eine „geläufige Gurgel“ verfügen, triumphiert in Innsbruck der Belcanto. Ein Belcanto im Stile Rossinis, der wohl schon auf Bellini und Donizetti verweist.

Doch nicht zuletzt ist es auch die melodramatische Variante, zu der Mercadantes Librettist Leone Tottola einen hochberühmten frühen Metastasio Text umgeformt hat, die mehr an die romantische Oper als an die opera seria erinnert und die uns beim Schicksal der Dido mehr an die Heldinnen eines Bellini und Donizetti als an die unglückliche Königin von Karthago denken lässt.

Eine romantische Oper wollte wohl auch Jürgen Flimm inszenieren, als er das Geschehen aus mythischer Zeit in die Entstehungszeit der Oper verlegte, in eine Zeit, als die europäischen Mächte sich daran machten, Afrika zu kolonisieren und auf den Widerstand einheimischer Königreiche stießen.… → weiterlesen

Orfeo con lieto fine. Giulio Caccini, L’Euridice (1601) als opera seria in Innsbruck

Zum Abschluss der diesjährigen “Innsbrucker Festwochen der Alten Musik” ist eine absolute Rarität zu hören und zu sehen: Caccinis ‚favola in musica‘, so erfährt das Publikum im Programmheft, ist mit ihrer Drucklegung im Jahre 1601 die „erste gedruckte Oper“ überhaupt, wurde in Florenz im Dezember 1602 uraufgeführt und versteht sich als Festoper für Maria de’ Medici und  den französischen König Henri IV.

Caccinis Musik, wie sollte ich auch, hatte ich noch nie gehört, kannte allenfalls den Namen des Komponisten und den Titel des Werks. So waren denn Neugierde und Erwartungen  besonders hoch – und sie wurden nicht enttäuscht. Ein ‚Orchester‘, das gerade mal aus sieben Instrumentalsolisten besteht und bei dem Theorben und Harfen das Klangbild bestimmen. Bei den alten Stücken, so liest man immer wieder, sei neben den Singstimmen nur der Generalbass notiert, eine Praxis, die den Interpreten  große Freiheit in der Instrumentierung lasse. Maestro Rinaldo Alessandrini hat sich offensichtlich für eine kleine Instrumentalbesetzung entschieden, um den Singstimmen allen Raum zu lassen. Eine weise Entscheidung – vielleicht ganz im Sinne des Komponisten  und der Zuhörer in den ersten Parkettreihen.  Ob man im Rang die Instrumente noch gehört hat? Hoffen wir es. Wie dem auch sei. Es wurde alle Male wunderschön gesungen und musiziert. Musik und Gesang bei einem höfischen Fest. Huldigungstheater für ein Herrscherpaar.

Die Regie nimmt das zeitgenössische Ereignis zum Anlass, das Herrscherpaar gleich in doppelter Rolle auftreten zu lassen: einmal als Zuschauer des Stücks und zum anderen als Mitspielende. In der Hadesszene übernehmen sie die Rolle der Proserpina bzw. die des Plutone. So wird die Gnade, die der Herrscher der Unterwelt  dem Künstler Orpheus gewährt, zugleich zum Gnadenakt und  Gunstbeweis, die der absolutistische König  dem  Untertan gewährt. Opera seria avant la lettre und zugleich Theater auf dem Theater. Der Herrscher ist Zuschauer bei einer in Szene gesetzten Variante des Oprheusmythos hin zum lieto fine. Und zugleich ist er als Handelnder Subjekt dieses lieto fine.

All dies wird ohne großen Aufwand gleichsam als Kammerspiel inszeniert. Als Spielfläche genügen die schmalen Seitenbühnen, die Passarelle zwischen Orchestergraben und Parkett und ein klassizistisch gestalteter kleiner Raum, eben die Loge für das Herrscherpaar und zugleich  der Ort der Klage und des Triumphs des Sängers Orfeo. Alles Geschehen erwächst aus Musik und Gesang, Bewegung und Gestik. Eine Inszenierung, die sich ganz zurücknimmt und in Analogie zum zurückhaltenden Klang der Instrumente den Singstimmen den ersten Platz lässt.

Wie schade, dass nur zwei Aufführungen in Innsbruck angesetzt sind. Caccinis Euridice verdient es, öfters aufgeführt zu werden, vor allem dann, wenn wie jetzt in Innsbruck Musik und Gesang und nicht zuletzt auch die Inszenierung allen Erwartungen genügen.

Wir sahen die Aufführung am 25. August. Die Premiere war am 23. August 2013.

 

Innsbrucker Festwochen der alten Musik. 8. bis 26. August 2012

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“ – auch in der Operngeschichte. Alessandro De Marchi und sein Team haben in diesem  Jahr  besonders tief gegraben und sind dabei auf ein Juwel gestoßen,  auf La Stellidaura vendicante von Francesco Provenzale, „die Urform einer Opera semiseria“,  die im Jahre 1674 in Neapel uraufgeführt wurde und die in der Tat in Musik und Bühnengeschehen Traurig-Tragisches und Burlesk-Komisches miteinander vermischt, in der sich Elemente der Commedia dell’arte mit gängigen Motiven der klassischen Tragödie verbinden. … → weiterlesen