Rossini light? Giuseppe Saverio Mercadante, Didone abbandonata. Dramma per musica. Uraufführung 1823. Eine gelungene Ausgrabung bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

„Das klingt ja alles wie Rossini“ – so flüsterte nach der Ouvertüre die Dame neben mir ihrer Begleiterin zu. Und damit hatte sie wohl recht. Ohne dass sie gleich  im Programmheft die gelehrten Ausführungen des Herausgebers der  kritischen Neuausgabe, Paolo Cascio, studieren muss, fallen auch der interessierten Opernbesucherin die Analogien zu Rossini gleich auf. Ein Feuerwerk von bravourösen Arien und Duetten, zahlreiche Chorpartien. Sopran (Didone), Mezzosopran (Enea) und Tenor (der Bösewicht Jarba) finden zahlreiche Gelegenheiten zu brillieren. Und da alle drei (Viktorija Miskunaité als Didone, Katrin Wundsam als Enea und Carlo Vincenzo Allemano in der Rolle des Jarba) über eine „geläufige Gurgel“ verfügen, triumphiert in Innsbruck der Belcanto. Ein Belcanto im Stile Rossinis, der wohl schon auf Bellini und Donizetti verweist.

Doch nicht zuletzt ist es auch die melodramatische Variante, zu der Mercadantes Librettist Leone Tottola einen hochberühmten frühen Metastasio Text umgeformt hat, die mehr an die romantische Oper als an die opera seria erinnert und die uns beim Schicksal der Dido mehr an die Heldinnen eines Bellini und Donizetti als an die unglückliche Königin von Karthago denken lässt.

Eine romantische Oper wollte wohl auch Jürgen Flimm inszenieren, als er das Geschehen aus mythischer Zeit in die Entstehungszeit der Oper verlegte, in eine Zeit, als die europäischen Mächte sich daran machten, Afrika zu kolonisieren und auf den Widerstand einheimischer Königreiche stießen. Ganz im Sinne dieser Konzeption wird aus der mythischen Dido eine europäische Prinzessin, die noch auf der Baustelle ihres Palasts hausen muss, die von einem afrikanischen Machthaber namens Jarba  bedrängt wird, die alle ihre Hoffnungen auf Enea, den Kommandanten einer Truppe von Fremdenlegionären setzt und die, als Enea mit seinen Kämpfern zu neuen Eroberungszügen aufbricht, der Übermacht der Eingeborenen erliegt.

In der Musik ist das Ende der Didone, die Finalszene, einer der Höhepunkt, wenn nicht gar die Klimax der Oper, eine Szene, in der die Primadonna in der Rolle der von allen Verlassenen noch einmal brillieren darf. Seltsamerweise zerstört die Regie in einer Orgie von Action dieses Finale. Statt die Darstellerin der Didone zu unterstützen oder ihr zumindest zu  erlauben, ihre große Szene auszuspielen, richtet sie ihre Aufmerksamkeit  auf die angreifenden Mauren und vor allem auf ihren Anführer, den „moro irato“, den afrikanischen Wüterich. Die Afrikaner sind eine Truppe von Säufern und Brandstiftern, von Mördern und Vergewaltigern und beherrschen entsprechend die Szene. In dieser Situation wird Didone zu einer Tosca oder Lucia und ersticht den Bösewicht und sich selber.

Richtig. So geht’s halt in der romantischen Oper und in Opernkrimis zu. Nur steht davon nichts in Tottolas Libretto und nichts in Mercadantes Partitur. Macht nichts. „ Kinder, schafft Neues, Kinder“ hatte ja schon der Meister aus  Bayreuth gemeint.

Es war wohl auch für einen so routinierten Theatermacher wie Flimm nicht leicht, eine Oper, die von ihrem Handlungsschema und von der Personenkonstellation auf die opera seria verweist und die mit ihrer Thematik der ungebremsten Leidenschaft schon eine romantische Oper ist, in Szene zu setzen. Weder das Barocke noch das Romantische schienen der Regie sonderlich zu behagen. So suchte sie den  Ausweg aus dem Dilemma mit Hilfe der Parodie: die Auftritte der Choristen, die mal Fremdenlegionäre, mal afrikanische Wüstentrupps, mal Bauarbeiter mimen mussten, erinnerten mit Ausnahme der schon erwähnten Schlussszene an die Auftritte von Operettensoldaten bei Offenach und Johann Strauß. Der junge Aeneas in seinem Outfit als eleganter Offizier hat so gar nichts Kriegerisches an sich und machte sich auch gut als Operettenheld. Und wenn er seine große Abschiedsarie, vor einem Kühlschrank vom Speermüll hockend, singen muss, dann mag man das wohlwollend als parodistische Vorstellung eines Helden verstehen. Weniger wohlwollend als einen Missgriff. Bei der Figur des Afrikaners Jarba zitiert die Regie gleich ein ganzes Sammelsurium von Klischees. Dieser Moro ist zugleich ein Macho und ein Miles gloriosus und dazu feige, sexgeil, machtlüstern, herrschsüchtig und gewalttätig. Und aufs Antänzeln versteht er  sich auch. Eine Übertreibung, die man wohlwollend als Parodie, weniger wohlwollend als gezielten  Verstoß gegen die political correctness deuten kann.

Einzig bei der  Figur der Didone verzichtet die Regie auf parodistische Einlagen. Viktorija Miskunaité singt halt so überragend schön, ist eine so elegante Bühnenerscheinung und noch dazu eine große Tragödin, dass ihr die Parodie nichts anhaben könnte.

Doch sprechen wir nicht weiter von der Inszenierung. Sagen wir nur, dass wir im Laufe der Jahre schon so manche exquisite Flimm Inszenierung gesehen haben: seine Meistersinger, seine Le Nozze di Figaro, seinen Orfeo e Euridice in der Berliner Staatsoper und vor vielen Jahren seinen Ring in Bayreuth. Sagen wir aber auch, dass wir uns über so manchen seiner Flops geärgert haben.  Die Didone in Innsbruck ist kein Flop, aber auch kein Meisterwerk des alten Theatermachers Flimm.

Sprechen wir lieber von der Musik. Maestro De Marchi und die Musiker der Academia Montis Regalis sind Spezialisten der historischen Aufführungspraxis. Da gibt es nichts zu bekritteln. „Der Originalklang – so schreibt De Marchi im Programheft – ist feiner, transparenter und eine viel bessere Grundlage für die Sängerinnen und Sänger. Wer, wenn nicht die Festwochen der Alten Musik, sind der ideale Ort, um solche Opern im Klang und in der Aufführungspraxis ihrer Entstehungszeit aufzuführen“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wir besuchten die Premiere am 10. August 2018. Wie schade,  dass es nur noch zwei weitere Aufführungen gibt.