Placida la musica. Zwischen Minimalismus und Actionfilm die Szene. Idomeneo am Aalto-Musiktheater Essen

Die Szene in den ersten beiden Akten: ein  felsiger Strand, Schiffsbrüchige im grünen Mao-Look liegen erschöpft am Ufer. Die Bewohner des Landes im blauen Mao-Look sammeln sie auf, treiben sie zusammen. Idomeneo ein Traumatisierter und schwer Gestörter, Idamante ein edler Gutmensch, Elektra mit wirrem schwarzem Haar eine Kinderschreck Hexe, Ilia ein sanfter blonder Engel, das Volk eine verängstigte Schar Unterdrückter. Aufgelockert wird dieser müde Pseudorealismus durch die Geistererscheinung des Gottes Neptun, der als antike Götterstatue  aus dem Wasser auftaucht.

Doch das ist alles gar nicht so wichtig, stört kaum, lenkt nicht von der Musik ab, einer Musik, die sanft, sagen wir einfach: wunderschön zelebriert wird. Hinzu kommt, dass in allen tragenden Rollen herausragend und brillant gesungen wird.  Ein Fest der Mozartstimmen: allen voran Ilia in der Person der Julia Kleiter mit ihrer so glockenklaren Stimme.

Ja, wenn doch nur das Produktionsteam auch im dritten Akt der Musik die Dominanz überlassen und mit seinen Gewaltorgien nicht den Zauber des Abends zerstört hätte. Im dritten Akt da setzt sich die Regie im Wortverstande gewaltsam in Szene. Da haust die Königsfamilie in einem zerschossenen Bunker, da dürfen Ilia und Idamante  Pyramus und Thisbe spielen und, durch eine Ziegelwand getrennt, sich ihrer Liebe versichern. Da lyncht eine auf gebrachte gewalttätige Masse den Minister, der sie vergeblich zu beruhigen sucht, da hetzt der Oberpriester die Masse auf, da verprügeln die Rädelsführer den König und zu guter Letzt, als wir schon beim lieto fine sind, da ersticht die rasende Elektra nicht sich selbst, sondern den König.  Eine Variante des Idomeneo-Mythos, die der Regie noch die finale Möglichkeit bietet,  eine antike Totenfeier mit  Fackeln und brennendem Sarg vorzuführen.

Schade. Aus einem sanften und schönen Mozartabend ist nach der Pause ein Bürgerkriegsspektakel mit Mozart Soundtrack geworden.

Wir sahen die Aufführung am 20. Dezember. Die Premiere war am 29. November 2014.

 

 

Vater und Sohn gefangen in der Endlosschleife. Und Ilia kriegt ihr Bambino zur Ballettmusik. Und Maestro Jacobs lächelt. Idomeneo am Theater an der Wien

Und der Maestro hat allen Grund zu lächeln. Das Freiburger  Barockorchester spielt wie gewohnt auf hohem Niveau. Auf der Bühne singt und agiert ein glänzend aufgelegtes Ensemble. Ein junger Regiestar wagt eine neue Deutung. Die Kritik lobt einhellig den Wiener Idomeneo. Ein großer Opernabend.  Und doch?

Ich bin der Ästhetik der Hässlichkeit überdrüssig. Ich mag keinen Trash mehr auf der Bühne. Und von beidem gibt es hier im Idomeneo  im Überfluss. Und dies, blickt man allein auf das Libretto, wohl auch zu Recht: der Krieg mit seinem langjährigen Gemetzel ist vorüber. Von den Soldaten, die einst mit Idomeneo gen Troja zogen, sind nur noch die abgenutzten Schuhe und Stiefel übrig, die die ganze Szene bedecken. Der König, ein gebrochener traumatisierter Mann, von sadistischen Albträumen und Aggressionen gegen seinen Sohn gequält, wird auf einem Klinikbett hereingefahren. Kreter wie Trojaner sind gleich zerlumpt und vegetieren inmitten der Schuh- und Stiefelwüste. Einzig Elektra ist von all dem Chaos unberührt, stolziert als Modepüppchen herum, malträtiert die schwangere Ilia, versucht , wenn es schon mit dem Sohn nicht klappen will, den Vater zu umgarnen und scheut auch nicht davor zurück, diesem das Hackebeil in die Hand zu drücken, mit dem er seinen Sohn erschlagen soll.  Zum Ausgleich dafür darf sie sich zu ihrer Wahnsinnsarie im Bühnenschlamm wälzen, und alle schauen konsterniert zu.… → weiterlesen

Der doppelte Harnoncourt – Idomeneo am Opernhaus Zürich

Maestro Harnoncourt, den Kritik und Publikum einmütig  seit vielen Jahren  – und dies zurecht – als unübertrefflichen Magier des Mozartklangs feiern, hat sich viele Male – und dies zurecht –  über unzulängliche Idomeneo Inszenierungen geärgert. Und jetzt nimmt er die Sache selber in die Hand und – vielleicht in Erinnerung an den seligen Karajan – dirigiert und inszeniert er in Personalunion. “Ich habe nie eine Inszenierung  von Idomeneo gesehen, die dem Werk gerecht wird”. Mozarts Oper, so kommentiert der Maestro weiter im Programmheft, sei immer wieder als opera seria missverstanden worden. “Es ist aber eine französische Oper […], eine tragédie lyrique” mit Ballett, Divertimento nach jedem Akt und im Finale eine¨riesige Schluss-Chaconne”. Wer dies alles streiche, wie es so oft geschehen sei, werde dem Werk nicht gerecht. “Das Ballett zieht sich also durch das ganze Stück hindurch [ …], man kann das Stück ohne Ballett eigentlich gar nicht aufführen”. In Zürich (wie schon vor knapp zwei Jahren bei der “styriarte Graz”) konnte  Harnoncourt seine Vorstellungen umsetzen, wurden alle Wünsche erfüllt. Die Orchestra La Scintilla spielt einen subtilen Mozart, produziert den unnachahmlichen Harnoncourt Mozart, die Sänger sind, wie wir das von Zürich her kennen, mehr als brillant (allen voran  Julia Kleiter als Ilia), das Ballett fügt sich nahtlos in die Handlung, der Gott Neptun wird zum tanzenden stummen Dialogpartner  eines verzweifelten Idomeneo, im Finale transponiert das Ballett  gleichsam in einer verkürzten und konzentrierten Duplikation noch einmal  das Geschehen in die Sprache des Tanzes, in das Medium der rituellen Bewegung. Ein grosser Opernabend in Zürich. Besser, so sagt man sich, geht es wohl nicht. Wirklich nicht? Ja, wenn nur die Inszenierungskünste mit Musik, Tanz und Gesang mithalten könnten.   Maestro Harnoncourt, der einstens mit Ponnelle legendäre Aufführungen zustande brachte, der in jüngster Zeit mit  Kusej zusammenarbeitete und gegen dessen Hang zur Groteske seine eigene Subtilität und Feinsinnigkeit setzte und so im Kontrast zu Hässlichkeit und Groteske das vom ihm propagierte Sublime noch stärker zur Wirkung brachte, hat er sich da, als er mit der Assistenz von Philipp Harnoncourt auch noch die Inszenierung übernahm, hat er sich (und seinem Publikum) damit wirklich einen Gefallen getan? Ich  habe meine Zweifel. Gibt es eigentlich in dieser Inszenierung eine stringente Grundkonzeption? Wenn ja, heisst sie vielleicht: archaische, gewalttätige, blutrünstige Welt, für die Neptun, Idomeneo und die Priesterkaste stehen, gegen eine moderne Welt der Utopien: der romantischen Zweisamkeit, der Liebe bis in den Tod, der Versöhnung und der Friedfertigkeit, für die Ilia und Idamante stehen. War es das? Aber warum tritt dann Idamante in seinem weissen Sommeranzug wie eine Art jugendlicher Aschenbach Verschnitt auf? Und Ilia als Hippy Blumenmädchen, Idomeneo als Grimms Märchen König, Arbace als blinder Teiresias? Warum wird Elektra als liebestolle Möchte-Gern-Verführerin veralbert? Doch seien wir nicht so kritisch. Mögen manche Bilder auch nicht ganz stimmig sein, mag auch die Opferungsszene mit ihrem kruden Hackebeil Realismus und ihren Verweisen auf aztekische Menschenopfer nicht unbedingt geschmackvoll sein, mag auch die Grundkonzeption mit ihrem Kontrast aus Archaik und Moderne (sprich: Aufklärung und Romantik) ein bisschen altbacken sein. Weit durchdachter, weit überzeugender als die Melange aus Asylantenproblematik und Passionen zweier Synodalen, die jüngst bei der Salzburger Mozartwoche als Idomeneo zu goutieren war, ist dieser Züricher Idomeneo alle Male. In Zürich präsentiert ein  – um es salopp zu sagen – doppelter Harnoncourt einen Idomeneo der Extraklasse, Hochkultur im besten Sinne des Wortes. Und das Opernhaus Zürich bestätigt mit dieser Idomeneo Produktion wieder  einmal seinen Ruf als Musiktheater der absoluten Spitzenklasse. Wir sahen die Aufführung am 2. März 2010, die vierte Aufführung nach der Prremiere am 20. Februar 2010.

Pater Dolorosus oder vom Schmerz des Präses der Landeskirche, von seinem biederen Söhnchen, dem Vikar, und von der Multikulti-Utopie. Ein heterogenes Idomeneo Spektakel im Haus für Mozart

In Salzburg hatte man es wieder einmal gut gemeint oder auch nicht weiter nachgedacht und statt eine herau sragende Inszenierung wie zum Beispiel den Stuttgarter  Idomeneo zu übernehmen, hat man eine  Produktion vom Festival d’Aix-en-Provence eingekauft. Und die Folgen sind fatal. Zwar sind Marc Minkowski und seine Musiciens du Louvre Grenoble und ein Sänger wie Richard  Croft in der Titelrolle Garanten für musikalische Hochkultur. Doch wenn neben ihnen, um es vorsichtig zu sagen, durchweg nur schnödes Mittelmass agiert und werkelt, können auch sie den Abend nur schwerlich retten. Ich versage mir jede Kritik an den Sängern. Doch zu Salzburger Hochpreisen darf man eigentlich ein homogenes Ensemble erstklassiger Sänger erwarten. Selbst Maestro Minkowski, der mich so viele Male in Salzburg und nicht nur dort begeistert hat, wirkte an diesem Abend manchmal etwas müd und matt. Angesichts des Bühnenspektakels, das er aus nächster Nähe ertragen musste, ist das nur auch verständlich. Eine Ausstattung, die vielleicht auf der Freilichtbühne in Aix Eindruck gemacht hatte, zwängte man auf die relativ kleine Bühne im Haus für Mozart, eine Ausstattung, die mit ihren Flugsteigbrücken und ihrem Aluminiumgestänge an die Warteräume eines Flughafens erinnerte und die zugleich mit ihren kleinen weißen Häusern im Bühnenhintergrund wohl eine mediterrane Stadt evozieren sollte. Ja, richtig, die Geschichte vom Kreterkönig Idomeneo und seinem fatalen Gelübde, das ihn zwingt, seinen eigenen Sohn dem Gott Neptun zu opfern, spielt ja im östlichen Mittelmeerraum. Und deswegen die weißen Spielzeughäuschen. Ja richtig, der Mythos lebt nur in seinen Varianten, wenn möglich in aktuellen Verkleidungen, und so erklären sich das Flughafenambiente und die Reduzierung der beiden Protagonisten zu protestantischen Gutmenschpfarrern. Und wenn wir schon mal bei der Reduzierung und Banalisierung des Mythos sind, dann bietet es sich ja geradezu an, aus den trojanischen Gefangenen des Libretto orientalische und afrikanische Asylanten zu machen, die zur Ouvertüre in den Katakomben des Flughafens von einer schwarz uniformierten Truppe drangsaliert werden und die der junge Theologe Idamante rettet, zumal sich praktischerweise sein Gutmenschentum mit seiner Verliebtheit in die Geheimnisse des Orients paart: das Objekt der Begierde (im Libretto die trojanische Prinzessin Ilia) hat sich unter den kundigen Händen des Maskenbildners in eine arabisch-somalische Prinzessin verwandelt. Warum diese die Berufskleidung einer Flugbegleiterin trägt und erst im Finale ihre landestypische Kleidung anlegt, ist mir unerfindlich. Man mag das Regiekonzept: die Verquickung der Passionen zweier Synodalen mit der Asylantenproblematik für eine abwegige Aktualisierung einer opera seria halten. Doch Konsequenz kann man ihr nicht absprechen, ja wenn sie nur darauf verzichtet hätte, eine Neptunfigur wie aus einem Kindermärchen ständig durch die Szene geistern zu lassen. Ein Einfall, der das wohl ernsthaft gemeinte Grundkonzept unfreiwillig (?) karikiert. Natürlich kann man – mit ein bisschen Wohlwollen – die herumgeisternde Neptunfigur auch als ein Hirngespinst des verzweifelten Idomeneo sehen und damit, wenn es denn sein soll, unserem Regieteam psychologisches Interesse an der Hauptfigur bescheinigen. Wie dem auch sei. In Begeisterung hat mich dieses Salzburger Spektakel kaum versetzt. Es war eher ein trister, ein enttäuschender Abend im Haus für Mozart: Sängerdarsteller, die in einem kitschigen Glitzerspektakel  ihr Bestes gaben, Tänzer, die im Finale noch einmal die ganze Geschichte in ihre Kunst umsetzten und die uns damit immerhin das Vergnügen bereiteten, die sonst so gern gestrichene Ballettmusik zu hören. Man munkelte in Salzburg, dass Maestro Minkowski auf der Ballettmusik bestanden habe und dafür dem Regisseur die Besetzung der Rolle des Idamante mit einem Tenor zugestanden habe. Mag ja sein. In jedem Fall erspare ich mir im nächsten Jahr einen Opernbesuch beim Januar Festival. Auf dem Programm steht eine konzertante Zauberflöte. Wir sahen die Vorstellung am 22. Januar 2010.