Pater Dolorosus oder vom Schmerz des Präses der Landeskirche, von seinem biederen Söhnchen, dem Vikar, und von der Multikulti-Utopie. Ein heterogenes Idomeneo Spektakel im Haus für Mozart

In Salzburg hatte man es wieder einmal gut gemeint oder auch nicht weiter nachgedacht und statt eine herau sragende Inszenierung wie zum Beispiel den Stuttgarter  Idomeneo zu übernehmen, hat man eine  Produktion vom Festival d’Aix-en-Provence eingekauft. Und die Folgen sind fatal. Zwar sind Marc Minkowski und seine Musiciens du Louvre Grenoble und ein Sänger wie Richard  Croft in der Titelrolle Garanten für musikalische Hochkultur. Doch wenn neben ihnen, um es vorsichtig zu sagen, durchweg nur schnödes Mittelmass agiert und werkelt, können auch sie den Abend nur schwerlich retten. Ich versage mir jede Kritik an den Sängern. Doch zu Salzburger Hochpreisen darf man eigentlich ein homogenes Ensemble erstklassiger Sänger erwarten. Selbst Maestro Minkowski, der mich so viele Male in Salzburg und nicht nur dort begeistert hat, wirkte an diesem Abend manchmal etwas müd und matt. Angesichts des Bühnenspektakels, das er aus nächster Nähe ertragen musste, ist das nur auch verständlich. Eine Ausstattung, die vielleicht auf der Freilichtbühne in Aix Eindruck gemacht hatte, zwängte man auf die relativ kleine Bühne im Haus für Mozart, eine Ausstattung, die mit ihren Flugsteigbrücken und ihrem Aluminiumgestänge an die Warteräume eines Flughafens erinnerte und die zugleich mit ihren kleinen weißen Häusern im Bühnenhintergrund wohl eine mediterrane Stadt evozieren sollte. Ja, richtig, die Geschichte vom Kreterkönig Idomeneo und seinem fatalen Gelübde, das ihn zwingt, seinen eigenen Sohn dem Gott Neptun zu opfern, spielt ja im östlichen Mittelmeerraum. Und deswegen die weißen Spielzeughäuschen. Ja richtig, der Mythos lebt nur in seinen Varianten, wenn möglich in aktuellen Verkleidungen, und so erklären sich das Flughafenambiente und die Reduzierung der beiden Protagonisten zu protestantischen Gutmenschpfarrern. Und wenn wir schon mal bei der Reduzierung und Banalisierung des Mythos sind, dann bietet es sich ja geradezu an, aus den trojanischen Gefangenen des Libretto orientalische und afrikanische Asylanten zu machen, die zur Ouvertüre in den Katakomben des Flughafens von einer schwarz uniformierten Truppe drangsaliert werden und die der junge Theologe Idamante rettet, zumal sich praktischerweise sein Gutmenschentum mit seiner Verliebtheit in die Geheimnisse des Orients paart: das Objekt der Begierde (im Libretto die trojanische Prinzessin Ilia) hat sich unter den kundigen Händen des Maskenbildners in eine arabisch-somalische Prinzessin verwandelt. Warum diese die Berufskleidung einer Flugbegleiterin trägt und erst im Finale ihre landestypische Kleidung anlegt, ist mir unerfindlich. Man mag das Regiekonzept: die Verquickung der Passionen zweier Synodalen mit der Asylantenproblematik für eine abwegige Aktualisierung einer opera seria halten. Doch Konsequenz kann man ihr nicht absprechen, ja wenn sie nur darauf verzichtet hätte, eine Neptunfigur wie aus einem Kindermärchen ständig durch die Szene geistern zu lassen. Ein Einfall, der das wohl ernsthaft gemeinte Grundkonzept unfreiwillig (?) karikiert. Natürlich kann man – mit ein bisschen Wohlwollen – die herumgeisternde Neptunfigur auch als ein Hirngespinst des verzweifelten Idomeneo sehen und damit, wenn es denn sein soll, unserem Regieteam psychologisches Interesse an der Hauptfigur bescheinigen. Wie dem auch sei. In Begeisterung hat mich dieses Salzburger Spektakel kaum versetzt. Es war eher ein trister, ein enttäuschender Abend im Haus für Mozart: Sängerdarsteller, die in einem kitschigen Glitzerspektakel  ihr Bestes gaben, Tänzer, die im Finale noch einmal die ganze Geschichte in ihre Kunst umsetzten und die uns damit immerhin das Vergnügen bereiteten, die sonst so gern gestrichene Ballettmusik zu hören. Man munkelte in Salzburg, dass Maestro Minkowski auf der Ballettmusik bestanden habe und dafür dem Regisseur die Besetzung der Rolle des Idamante mit einem Tenor zugestanden habe. Mag ja sein. In jedem Fall erspare ich mir im nächsten Jahr einen Opernbesuch beim Januar Festival. Auf dem Programm steht eine konzertante Zauberflöte. Wir sahen die Vorstellung am 22. Januar 2010.