Zirkulärer Traumdiskurs mit Schiele Bildzitaten. Elektra an der Opéra Bastille

Zur einst so wilden Musik, die uns heute zwar nicht mehr wild, doch immerhin spektakulär dünkt, hat die Bastille Oper  gleich drei Opernheroinen aus dem Wagner- und Strauss-Fach engagiert: die Theorin als Elektra, die Meier als Klytämnestra, die Merbeth als die kleine Schwester Chrysothemis. Und noch dazu in der Rolle des Orest den  stimmgewaltigen russischen Bariton, der auf dem Bayreuther Hügel nicht singen darf. Operngesang der Spitzenklasse. Und natürlich bot auch das „Orchestre de l‘Opéra National de Paris“  unter Maestro Jordan einen Strauss der Extraklasse. „Luxusmusik“ der Dekadenz in Reinkultur. Mit anderen Worten: in der Bastille war Oper vom Allerfeinsten zu hören. Startheater, wie man es auch von einem so renommierten Haus erwartet.

First Class ist auch die Inszenierung von Robert Carsen, die man vom Florentiner Maggio Musicale übernommen hat:… → weiterlesen

„Agamemnon, Agamemnon…“ Elektra im Totenhaus. Linda Watson triumphiert an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf

 

Die angeblich so wilde Strauss Musik – wir haben sie schon so viele Male gehört – klingt uns heute fast vertraut und fasziniert doch noch immer.  Dass  bei dieser Gelegenheit die Düsseldorfer  Symphoniker unter Maestro Axel Kober ihrem Publikum  geradezu ein Fest der Klänge bieten, das war zu erwarten und versteht sich eigentlich von selber.  Auch für Regie und Ausstattung bürgen  in Düsseldorf berühmte Namen wie Christof Nel und Roland  Aeschlimann. Die Szene: ein ganz in schwarz gehaltenes Totenhaus, aus dem schwarz gekleidete  Untote grinsend ihre Köpfe herausstecken – frei nach Schiller: in den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen. Schwarz gekleidete Mägde versuchen vergeblich den Schmutz (der Erschlagenen?) fort zu wischen. (Ein versteckter Verweis auf die erste Szene in Maeterlincks Pelléas et Mélisande?) Die eiskalte Aufseherin hat den Charme einer Stasi Funktionärin. Klytämnestra im langen blauen Überwurf spielt ihre Neurosen bis zum Exzess aus, und Chrysothemis, die kleine Schwester im weißen Kleid (der Unschuld?), will von all den Geschichten von Mord und Rache nichts mehr wissen und wünscht sich halt ein „Weiberschicksal“. Ein Familiendrama, scheinbar aus archaischer Zeit, verlegt ins Totenreich, in dem die Figuren sich und den anderen die Hölle bereiten. (Vielleicht eine Referenz  auf Sartres Huis clos?)… → weiterlesen

Im Irrenhaus? Im Inferno? In den Wahnwelten einer Hysterikerin? Elektra im Opernhaus Zürich. Eine Wiederaufnahme einer Inszenierung von Martin Kusej vom Jahre 2003

In Zürich hatten wir im Dezember mit der Frau ohne Schatten einen geradezu berauschenden Strauss Abend erlebt. Auch die Inszenierung mit ihren Max Ernst Zitaten, mit ihren Verweisen auf die späte Habsburgerzeit und auf Zolas Edelproletarier und nicht zuletzt auch mit ihren Metatheatergags war durchaus gelungen. Und jetzt bei der Elektra?  Ein zwiespältiger Eindruck  bleibt da zurück. Zwar singt und agiert ein renommiertes Ensemble, zwar spielt das Zürcher Orchester brillant wie immer. Doch dieses spezifische Strauss Ambiente,  diese angebliche Ekstase, die die Elektra- wie die Salome Musik auszeichnen sollen, all dies will nicht so recht aufkommen. Die Musik packt nicht. Sie bleibt einfach kalt. Vielleicht klang alles zu laut und zu undifferenziert?  Ich weiß es nicht. Auch die Inszenierung war weit davon entfernt, eine subtile Dekadenzatmosphäre zu suggerieren. Ganz im Gegenteil. Von der Subtilität und der Psychologisierung, mit denen Hofmannsthal den Elektramythos neu erzählte, will sie wenig oder gar nichts wissen. Sie setzt eher auf Banalisierung des Mythos oder vielleicht auch auf seine Transponierung in Wahnvorstellungen. Auf der Bühne – ein sich perspektivisch verengender schlauchartiger Raum mit einer Vielzahl von Türen, der vielleicht auf das Hospiz des Marquis de Sade zu Charenton verweisen soll – agiert in der Rolle der Elektra ein ausgeflipptes Unterschichtengirl, das sich seinen Rachephantasien hingibt. Schwester Chrysothemis, die sich so sehr „ein Weiberschicksal“ wünscht, kommt als eine Art Heilige im weißen Gewande daher. Mutter Klytämnestra, die nach dem Mord an Agamemnon angeblich unter Wahnvorstellungen leidet, wirkt keineswegs angekränkelt, sondern mimt  in ihrem blauen Mantel über rotem Kleid eher eine gefallene Madonna. Bruder Orest, wenn er mit einem Mal  aus  graublauem Nebel auftaucht, könnte direkt den Obsessionen und Wahnvorstellungen der Elektra entsprungen sein. Und Elektras befreienden Tanz, „dieses bacchantische Mittel ihrer Katharsis“, wie es im Programmheft heißt, diesen Tanz führt eine afrikanisch-brasilianische Tanzgruppe vor, und Elektra und alle Hausgenossen des Hospiz ergehen sich in spastischen Bewegungen. Eine finale Wahnvorstellung der Protagonistin? Eine Rücknahme der Ernsthaftigkeit, mit der die Regie den Mythos erzählt? Ich weiß es nicht. Zürichs Elektra hat mich weder musikalisch noch szenisch überzeugt. Wir sahen die Vorstellung am 31. Januar 2010.