8. und 9. 11. 08
Un Grand Spectacle au Grand Théâtre de Genève
Wer die große französische Oper liebt, der fahre nicht nach Zürich oder Stuttgart. Der fahre nach Genf, wo in diesem Herbst eine „Trilogie du Diable“ auf dem Programm steht: La Damnation de Faust, Les Contes d’Hoffmann und etwas verloren als dritter im Bunde der Freischütz. Was unser armer, von seinen Impotenzängsten gequälter Max und sein Waldschratteufel da unter Faust und Méphistophélès, unter dem ewig verliebten Poeten Hoffmann und seinem dreifachen Schurkenteufel eigentlich soll, habe ich nicht so recht verstanden. So habe ich denn auf Max und Agathe und die deutschen Wälder verzichtet und mich dafür an zwei spektakulär inszenierten französischen Opern ergötzt. Und wenn man nicht ein ganz verknöcherter Anhänger des Regietheaters ist und nicht immer gleich nach der Grundidee, nach einer möglichst hoch gestochenen Grundidee sucht, dann konnte man in der Tat in Genf an zwei Tagen einen höchst spektakulären Bilderreigen besichtigen und mit wenigen Ausnahmen respektable Sängerschauspieler hören und sehen. Regisseur Olivier Py und sein Ausstatter Pierre-André Weitz, offensichtlich große Namen in der französischen Theaterwelt, fahren in Fausts Verdammnis und in Hoffmans Erzählungen so ziemlich alles auf, was zu einem großen Spektakel im Sinne der grand opéra oder auch der Tradition des romantischen französischen Theaters gehört. Chor, Ballett und Statisterie sind nahezu unaufhörlich in Aktion, die Drehbühne bietet immer wieder neue Perspektiven, Spielorte sind eine in zwei und manchmal auch in drei Ebenen aufgeteilte Bühne und noch dazu der Laufsteg zwischen dem Orchestergraben und dem Zuschauerraum. Und der geradezu atemlose Zuschauer weiß manchmal nicht mehr so recht, ob er sich nun bei der Bregenzer Seebühne, beim Theater Festival in Avignon, bei einem Mysterienspiel, in einem Revuetheater, in einer Félicien Rops Performance, in einer Reality Show oder vielleicht doch im biederen Genfer Opernhaus befindet. In Fausts Verdammnis begnügt sich die Regie nicht damit, die Geschichte von Faust und Marguerite in Szene zu setzen. Intellektuelle Hybris, Teufelspakt, Sex und Crime und Verdammnis, ein Faust, der die kleine Marguerite in einer Art Hochgewölbe verführt und den Méphistophélès durch ein veritables Feuerrad in die Hölle hinabstürzt, eine Marguerite, die ihre Auftrittsarie in einem Wald von Kerzen, in einer Art Friedhof singt und die sich kaum der nackten Dämonen, die sie bedrängen, erwehren kann, eine Marguerite, die sich ihren erotischen Phantasien hingibt und dazu die Mutter vergiftet und das Kind im Wassereimer ersäuft und anschließend am Strang stirbt, all diese spektakulären Szenen sind der Regie nicht genug. Faust, das wissen wir noch von der Schule her, soll ja auch ein Mysterienspiel sein, das von Sünde und Erlösung handelt. Doch so wenig wie Berlioz etwas von Fausts Erlösung und Rettung wissen wollte, so wenig glaubt auch das Genfer Produktionsteam an Sünde und Erlösung. Aber dafür kennt es die biblische Heilsgeschichte und setzt parallel zur Faustgeschichte die großen Stationen der Heilsgeschichte: den Sündenfall, die Kreuzigung, die Auferstehung in Szene – und pervertiert sie. Während Sündenfall und Kreuzigung auf die Sataniques eines Félicien Rops oder vielleicht auch auf die Walpurgisnacht, die dann im Finale als großes Sexspektakel gefeiert wird, verweisen, erinnert die Auferstehungsszene eher an ein Oratorium, in das sich Faust, den der Auferstehungshymnus gerade vom Selbstmord abgehalten hatte, als Christusfigur, als der Wiedererstandene einfügt.
All dies und noch vieles mehr ist brillant gemacht. Und wenn man das große Opernspektakel liebt, eine Performance, bei der die Musik letztlich zur Nebensache wird, dann erlebt man in Genf mit Fausts Verdammnis einen grandiosen Opernabend.
Gleiches gilt für die Inszenierung von Hoffmanns Erzählungen, die hier im Grand Théâtre zur Begeisterung des Publikums zu Hoffmanns Sexphantasien mutieren. So viele spärlich oder gar nicht Bekleidete beiderlei Geschlechts habe ich lange nicht mehr auf der Bühne gesehen. Und inmitten all der Sexpüppchen, die alle gleich aussehen (frei nach dem Motto: die Männer suchen in all ihren Abenteuern immer den gleichen Frauentyp?) bewegt sich der romantisch gekleidete Poet zusammen mit seiner keuschen Muse, die in Kostüm und Maske an eine Zirkusprinzessin erinnert, und weiß nicht so recht, wie ihm geschieht. Sind seine Sexphantasien vielleicht nur Variationen von Füsslis Nachtmär, die zu Beginn auf dem Zwischenvorhang zitiert wird? Bedrängen auch ihn die nackten Dämonen, die Marguerites erotische Phantasien begleiteten? Oder sind es die Delirien eines Trinkers, die Hoffmanns Sexphantasien bewirken? Müßige Fragen, die für den Fortgang der Handlung unbedeutend sind und die die Regie auch gar nicht interessieren. Hoffmanns Erzählungen ist in Genf eine effektvoll aufgemachte Sex- und (so im Antonia Akt) Todesrevue, bei der ähnlich wie am Abend zuvor Chor, Ballett und Statisterie und die gesamte Bühnenmaschinerie ständig in Aktion sind. Eine Revue, bei der Antonia als moribunde, schwindsüchtige Sängerin (in der Person der Rachel Harnisch) unser Altenheimpublikum zu Tränen rührte und die Sexpuppe Olympia (in der Person der Jane Archibald) es an vergangene Träume erinnerte. „Une chanson d’amour s’envole / triste ou folle […]“. Der Offenbach Zuckerkitsch, wenn er so gekonnt und zugleich so einfach wie in Genf präsentiert wird, garantiert allemal ein volles Haus. Schön war’s.
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