Nicht unbedingt rauschhaft. Eher verhalten. Tristan und Isolde am Staatstheater Nürnberg

Tristan und Isolde hatten wir zuletzt in Starbesetzung  im Rahmen des Wagner-Zyklus des Berliner Rundfunksinfonieorchesters konzertant in der Philharmonie in Berlin gehört. Dem entsprechend waren wir mit einer gewissen Skepsis nach Nürnberg gefahren. Ein Vorbehalt, der sich schnell als gänzlich unbegründet erwies. In Nürnberg singt und agiert ein durchweg hervorragendes Wagner Ensemble. Mit welch ausdrucksmächtiger Stimme und welcher Spielleidenschaft Vincent Wolfsteiner als Tristan noch den gefürchteten dritten Akt gestaltet, das ist  beeindruckend, wenn nicht bewundernswert. Schade nur, dass er sich im ersten und zweiten Akt so sehr zurückhielt und  der Isolde in der Person der Lioba Braun – zu Recht der unumstrittene Star des Abends – das Feld überließ. Schaute und hörte man nur auf sie, dann hätte die Oper eigentlich an diesem Abend  in Isolde und Tristan umbenannt werden müssen. Und der Orchesterklang? Natürlich ist das alles perfekt und brillant, was da aus dem Graben tönt. „Verrückt“, wie Wagner die Tristan-Musik wollte, machten die Nürnberger Tristan-Klänge wohl nicht. Sie warfen auch nicht, wie Nietzsche einst Wagners „hypnotische Griffe“ umschrieb, „ die Stärksten noch wie Stiere um“. In Nürnberg spielt man einen eher Pathos freien Wagner. „Zu schön, zu verhalten, so wenig Zauber, so sehr zurück gedrängte Erotik“ – so meinte eine Dame neben mir. Ich weiß nicht. Vielleicht hat sie Recht. … → weiterlesen

Die ewige Parabel von Gewalt und Gegengewalt – und von der traurigen Freiheit. Und alles ist ein Spiel – ein böses Spiel. Guillaume Tell an der Oper Nürnberg

Am Staatstheater Nürnberg steht eine Rarität auf dem Programm. Rossinis Wilhelm  Tell vom Jahre 1829, Rossinis letzte Oper und zugleich, so wissen die Musikhistoriker zu berichten, die Oper, mit er den Schritt hin zur Grand Opéra getan und anderen Komponisten die Wege dorthin gezeigt habe. Wie dem auch sei. Die Dilettantin, die Rossinis Wilhelm Tell zum ersten Mal als Ganzes gehört und auf der Bühne gesehen hat, kann nur hinzufügen, dass die Musik mit ihrer Mischung aus großen Chorpartien, Ensembleszenen und Belcanto Arien höchst beeindruckend ist und dass in Nürnberg brillant musiziert und gesungen wird. Die Inszenierung ist  auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig und überrascht dann umso mehr mit ihrer Vieldeutigkeit. Es geht ihr nicht darum, den Schweizer Nationalmythos in Szene zu setzen, wie  es die zunächst etwas irritierten Abonnenten der Sonntagnachmittagsvorstellung  wohl erwartet hatten. Ihr geht es darum, das Lied von Tod und Gewalt zu spielen, das triste Lied von der Vergeblichkeit aller Kämpfe  und von den Verheerungen der Gewaltorgien, die Unterdrücker und Unterdrückte in ihrem Kampf gegeneinander auslösen.… → weiterlesen

„Wahn, Wahn! Überall Wahn!“ Oder vielleicht doch nur eine dürftige Regiekonzeption? Die Meistersinger von Nürnberg am Staatstheater Nürnberg

Opernhaus Nürnberg

„Wahn, Wahn! Überall Wahn!“ Oder vielleicht doch nur eine dürftige  Regiekonzeption? Die Meistersinger von Nürnberg am Staatstheater Nürnberg

Dem berühmten und von mir hoch geschätzten Theatermacher Mouchtar-Samorai ist, so vermute ich, in Nürnberg ein Missgeschick widerfahren. Ach, so gerne hätte er wieder einmal den Sommernachtstraum inszeniert und noch dazu mit nicht minderer großer Lust einer Revue mit dem Arbeitstitel „Straßenfest bei der Fußballweltmeisterschaft“ in Szene setzen wollen. Doch in Nürnberg hat man ihn zu den Meistersingern verpflichtet

und vielleicht eine Butzenscheiben Idylle oder, wenn es ganz schlimm kommen sollte, eine Reichsparteitagssatire von ihm erwartet. Erwartungen, die der Meister nicht erfüllen wollte. Er hat sich einfach seinen Sommernachtstraum und das Projekt mit der Fußballrevue nicht ausreden lassen und beides Wagners etwas schwerblütiger ‚Komödie für Musik’ aufgepfropft. Entstanden ist dabei kein „Flieder so mild, so stark und voll“, sondern Kraut- und Rübensalat. Kein Zweifel. Es ein hübscher Einfall, im zweiten Akt Ballettelevinnen  mit Fliederzweigen in den Händen  als Elfen herumhüpfen zu lassen und Knaben und Jungmannen als Kobolde  zu verkleiden,  sie Purzelbäume schlagen zu lassen und in der so genannten Prügelszene die Kobolde kräftig mitmischen zu lassen. Einer trägt sogar einen Eselskopf (das ist doch wohl der verzauberte Handwerker?), und ein anderer darf zum Schlussakkord  dem Nachtwächter einen Schlag auf ein empfindliches Körperteil versetzen. (Das war doch wohl der böse Puck?) Und wer jetzt noch immer nicht kapiert hat, dass wir uns jetzt im Sommernachtstraum mit Wagner Sound befinden, den erleuchtet Shakespeare selber: im Finale leuchtet hell das allbekannte Shakespeare Porträt vom Bühnenhintergrund. Überdetermination oder einfacher: Holzhammermethode nennt man dieses Verfahren. Ja, warum soll man bei einer Meistersinger Inszenierung nicht auch auf Analogien zum Sommernachtstraum, auf ‚intertextuelle Referenzen’, wie man heute vornehm sagt, verweisen. Wagners Handwerker, die die Poeten spielen, erinnern doch auch, wenngleich sie bei weitem nicht über deren komödiantisches Potential verfügen, an Shakespeares Handwerker, die Schauspieler sein wollen. Doch die Grundthematik der Haupthandlung ist doch bei Shakespeare und Wagner gänzlich verschieden – dort die Verwirrung der Gefühle bis an den Rand des Irreseins, hier zwei Paare, die in keinem Augenblick an sich zweifeln. Auf all diese gewaltsamen Analogien und Referenzen verzichtet die Regie im großen Finale. Hier ist sie nicht mehr krampfhaft bemüht, ’sofisticated’ zu sein. Hier ist sie einfach nur platt. Auf der Festwiese treffen sich die Fußballfans, gekleidet in die Nationalfarben, und zum großen Gaudi gibt’s noch einen Eurovision Songcontest. Und da singt nicht Lena aus Hannover, sondern ein groß gewachsener blonder Hüne  – „dem war der Schnabel hold gewachsen“  […] und „gar wohl gefiel er doch Hans Sachsen“ und der Fangemeinde  auf der Bühne und  auch uns da unten im Saale nicht minder. Doch als dieser Herr Sachs, als wir schon mittendrin im Feiern waren, noch unbedingt ein Preislied auf die deutsche Kunst singen wollte, da sind die Fußballfans auf der Bühne gleich nach Hause gegangen, haben den eben noch Gefeierten einfach stehengelassen und Europafahnen geschwungen. Nun ja, wir sind alle gute und brave Europäer – auch wir im Publikum.  Das brauchen Sie uns, sehr verehrter Herr Mouchtar-Samorai, doch nicht mit dem Holzhammer beizubringen.

Das Staatstheater  in Nürnberg verfügt über ein Ensemble herausragender Sänger. Wie schade, dass diese in den Meistersingern  in einer, um es ganz vorsichtig zu sagen, verunglückten Inszenierung singen und agieren müssen. Wir sahen die Aufführung am 5. November 2011. Es war die vierte Vorstellung nach der Premiere am 15. Oktober 2011.

 

 

 

 

Konzert mit Hindernissen und unfreiwilliger Komik

Zum Abschluss der diesjährigen Gluck-Opern-Festspiele hatte das Staatstheater Nürnberg die weltweit renommierte  Sopranisten  Veronique Gens  zu einem Konzert mit Arien und lyrischen Szenen von Gluck, Mozart, Berlioz und anderen eingeladen. Natürlich gab sich Madame Gens bei ihrem hoheitsvoll kühlen Auftritt alle Mühe, auch in Nürnberg zu brillieren. Doch ihr Auftritt stand unter keinem guten Stern. Gleich in ihre erste Arie, in die Arie der Alceste, krachte dröhnend ein zerplatzender Scheinwerfer hinein, und das Konzert musste für eine gute Viertelstunde unterbrochen werden, eine schöne Gelegenheit, gleich die zweite Arie der Alceste ungesungen zu lassen. „Dem Vogel, der heut sang, dem war der Schnabel hold gewachsen“, so mag wohl in Erinnerung an einen bekannten Nürnberger Poeten manch ein Dilettant im Publikum „wahnbetört“ gedacht haben, als Véronique Gens nach der zweiten, dieses Mal der eingeplanten Pause das Glanzstück des Abends vortrug. Berlioz: „Herminie. Scène lyrique für Sopran und Orchester“. Den Nürnberger Honoratioren in Sachen Kultur, die zufällig in meiner Nähe saßen, war jegliche Wahnbetörung fern: „Muss man die kennen? – Ja schon, die singt an allen großen Häusern“. Ärgerliches, betretenes Schweigen.  ‚Ach sei Sie gut, Sie muss nicht alles wissen’. Wissen sollten die Verantwortlichen am Staatstheater Nürnberg allerdings, dass man einer französischen Sängerin  nicht eine ganze Batterie Anturien vor die Füße stellen kann, phallisch konnotierte Blumen, wie man in Frankreich spätestens seit dem Fin de Siècle weiß. So stand denn die Sängerin über den Blumen, die ihre kleinen Stängel ihr entgegen reckten und die Nürnberger Honoratioren, die ihr zu Füßen in der  ersten Reihe saßen, hatten ihre Köpfe beinahe in den Stängeln. Eine Szene unfreiwilliger Komik, wie sie vielleicht nur in deutscher Provinz möglich ist.  „Ach sei Er gut, Er muß nicht alles wissen!“.

Opernarchäologie – in Nürnberg gräbt man zu den Gluck-Festspielen Grétrys Andromaque wieder aus

Der jüngere Zeitgenosse Glucks, der – so liest man es im Programmheft – mit seinen opéras comiques  im späten 18. Jahrhundert sehr erfolgreich war und der mit seiner tragédie lyrique Andromaque vom Jahre 1780 gänzlich scheiterte, dieser André-Ernest-Modeste Grétry ist mir unbekannt. Die Musik mit ihren mächtigen Chorpartien, ihrer subtilen Charakterzeichnung der Figuren verweist wohl auf Gluck, vielleicht auf den Orfeo, vielleicht in den Wahnszenen des Oreste auf die entsprechenden Szenen in der Iphigénie en Tauride.  Vielleicht. Die Musikhistoriker mögen es wissen. Vielleicht klingt alles auch nur wie ein Gluck-Verschnitt? Ich weiß es nicht. Lohnt sich wirklich die Ausgrabung? Hätte man zu Gluck-Festspielen nicht doch besser eine wenig gespielte Gluckoper herausbringen sollen? Ich weiß es nicht. Immerhin eine Vertonung von Racines Andromaque – und an diese lehnt sich das Libretto recht eng an – die reizt die Dilettantin unter den Opernbesuchern allemal, wenngleich sie schon als Studentin die Racine Stücke mit ihren Liebes- und Hasstiraden und ihrer verbiesterten jansenistischen Prädestinationsideologie langweilig und schwer erträglich fand. Langweilig ist die Geschichte, diese „fatale Konstellation frustrierten Begehrens“, wie sie sie ein renommierter Professor im Programmheft treffend nennt, nicht unbedingt, aber packend und hinreißend   ist sie ihrer ahistorischen Abgehobenheit, wie sie uns in Nürnberg präsentiert wird, nun wiederum auch nicht (Pyrrhus liebt Andromaque, Andromaque den toten Hector, Pyrrhus hasst Andromaque und liebt sie dann doch wieder, Hermione liebt Pyrrhus und hasst ihn und liebt ihn wieder (als er tot ist), Oreste liebt Hermione, wird für sie zum Mörder an Pyrrhus, Hermione tötet sich selber, Oreste verfällt dem Wahnsinn). „Und jetzt sind sie alle tot“ – bemerkte eine Dame im Publikum, als der Vorhang fällt. Und da hat sie auch Recht. Nur ist ihr entgangen, dass die Gestalten, die sich so verhalten, so  geziemend klassisch auf der Bühne bewegen, schon von Anfang tot waren. Die Regie zitiert offensichtlich ein einstmals berühmtes Sartre Stück: Huis clos, die ausweglose Situation von Menschen, die sich in der Hölle befinden, in der Beziehungshölle, und sich fortwährend gegenseitig mit ihren vergeblichen Wünschen und ihren nicht verwundenen Leiden quälen. Die Bühne ist ganz im Sinne dieser Konzeption ein geschlossener runder Raum mit unendlichen hohen Wänden. Alle Öffnungen führen ins Dunkel, ins Nichts. Einziges Requisit ist ein steinerner Alkoven: für Hermione das ersehnte Brautbett, für Andromaque Grabstätte Hectors, für Pyrrhus der Platz, an dem er seinen Mördern in die Hände fällt,  für Oreste der Ort, an dem ihn die Erinnyen in den Wahnsinn treiben. Allgemeine Begeisterung im Publikum. Für die Ausgrabung einer längst vergessenen Musik? Für die in der Tat überdurchschnittlichen Sänger? Für eine achtbare, doch letztlich eher konventionelle Inszenierung? Wir sahen die Aufführung am 20. Juli 2010, eine Übernahme von den Schwetzinger Festspielen dieses Jahres.

Im Irrenhaus mit Hitchcock. Emilia di Liverpool am Staatstheater Nürnberg

In Nürnberg hat man einen frühen Donizetti ausgegraben, ein dramma semi-serio vom Jahre 1824 – und die Belcanto Fans kommen zumindest teilweise auf ihre Kosten. Zwar ist Emilia bei weitem noch keine Lucia oder eine Norina. Aber bei der Mischung aus Buffa- und (beinahe) tragischen Szenen, die ein anonymer Librettist für den jungen Donizetti hergerichtet hat, war das auch gar nicht zu erwarten. Schön – ganz im Sinne des Belcanto – singt die Nürnberger Primadonna (Hrachuhí Bassénz) allemal und wenn dann noch dazu die Buffo Partien glänzend besetzt sind, dann sind eigentlich schon die meisten Voraussetzungen für einen vergnüglichen Donizetti Abend gegeben. Und die Inszenierung? Eine eifrige Dramaturgin muss dem Regieteam wohl souffliert haben, dass Donizettis Damen psychisch gestört seien und dass auch schon die kleine Emilia, die mit ihrem Liebhaber durchgebrannt  und von diesem sitzen gelassen worden war – so die Vorgeschichte – vom Wahnsinn geschlagen sei. Leidet sie doch noch dazu an dem Trauma, mit ihrer Flucht der Mamma das Herz gebrochen zu haben. Das seien halt die Nachtseiten der Romantik (vulgo: „schwarze Romantik“), und in dieser sei das Motiv des Wahnsinns ein häufiges Motiv. Und da hat die Dramaturgin ja auch nicht so ganz Unrecht. Zum Glück  für die Inszenierung hat das Regieteam nicht zu sehr auf die literarisch beschlagene Dramaturgin gehört und nicht die „schwarze Romantik“ in Szene gesetzt, sondern sich darauf besonnen, dass Donizettis Oper eine semi-seria ist und dass dem entsprechend das Motiv des Wahnsinns spielerisch, komödiantisch einzusetzen ist. So versetzt sie denn das krude Geschehen um Emilia und ihre beiden Liebhaber (der eine ist entsprungen, den anderen hat sie versetzt, und beide sind auf einmal wieder da) in ein Irrenhaus und lässt die Irrenhausärztin  Personen und Handlung manipulieren. Ein Einfall, der nicht gerade originell ist (man kennt halt den Peter Weiss und seine Adepten). Aber immerhin gibt er Gelegenheit, allerlei Schabernack zu veranstalten. Da werden die Streithansels in Zwangsjacken gesteckt, da dürfen die Traumata auf der Couch erzählt werden, da klappern die Irren mit den Essgeschirren, da werden Beruhigungsspritzen verabreicht, da nimmt die Ärztin den sich Streitenden einfach die Pistolen weg und drückt ihnen Zettel  mit Versöhnungssprüchen in die Hand usw. Mit dem Irrenhaus als Ort der Handlung, mit der Transformation der Figuren in Irre oder sagen wir einfacher: mit dem Komödienstadel als Grundkonzept gibt sich die Regie indes nicht zufrieden. Der Komödienstadel ist zugleich eine Art Hitchcock Film: ein einsames englisches Landhaus, Personen, die durch einen Zufall (hier durch ein Unwetter nebst Autounfall) wieder zusammentreffen und die allesamt eine Rechnung miteinander offen stehen haben und damit ein Motiv, aufeinander los zu gehen. Und wie es sich für einen solchen Film gehört, geistert der Meister hin und wieder selber durch die Szene und schaut nach dem Rechten, und die obligatorischen ‚Vögel’ fehlen auch nicht. Die geduldige Opernbesucherin, die als Donizetti Verehrerin vor allem auf die Musik neugierig ist und die sich  ob des hybriden Spektakels meist amüsiert und nur selten langweilt, fragt sich indes, ob so viel szenischer Aufwand und so viel Klamauk  der Musik wirklich gut tun. Wie dem auch sei. Das Staatstheater  bietet einen unterhaltsamen Abend und serviert eine Musik, die man zuvor noch nie gehört hatte. Schade, dass es in Nürnberg so wenige Donizetti Verehrer gibt. Ein engagiertes Ensemble spielte vor nur schwach besetztem Hause. Wir sahen die Aufführung am 4. Mai 2010. Die Premiere, eine „deutsche Erstaufführung“, war am 27. März 2010.