Ist dieser Peter Grimes, der da in einem ausrangierten Bett, das von der Rampe in den Orchestergraben ragt, schläft, nur ein Außenseiter? Ist dieser Peter Grimes, den eine ganze Horde von scheinbar braven Bürgern, nein, den der Mob brutal aufscheucht und des Totschlags verdächtigt, weil der Lehrling auf Grimes Fischerboot zu Tode kam, ist er nur ein Außenseiter oder vielleicht doch ein gefährlicher Psychopath? Ist er nur ein derber zu Brutalitäten neigender, ein sich selbst bemitleidender Egozentriker mit Illusionen vom besseren Leben jenseits der Dorfgemeinschaft? In welcher Beziehung steht Grimes zu seinem Freund, dem „ehemaligen Kapitän“. Verbindet die beiden ‚Männerfreundschaft‘ oder vielleicht doch etwas mehr? In welcher Beziehung steht Grimes zu der vom Helfersyndrom geplagten Lehrerin Ellen?… → weiterlesen
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Szenen aus einem Inferno: Benjamin Britten, Peter Grimes an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf
Ich weiß nicht. Ich bin nicht unbedingt ein Britten Fan. In meiner Naivität dachte ich früher immer, das sei doch alles nur Filmmusik, Soundtrack für Schwulendramen. Doch wenn man so grandiose Britten Aufführungen wie vor ein paar Monaten in Hamburg Death in Venice oder jetzt in Düsseldorf Peter Grimes gesehen und gehört hat, dann wird man unweigerlich zum Britten Enthusiasten. Die Geschichte vom Fischer Grimes, einem Einzelgänger und Ausgestoßenem, der durch Zufall (oder vielleicht auch wegen seiner pädophilen Neigungen) gleich zweimal einen Lehrbuben verliert und den seine Mitbürger, eine Gesellschaft von Irren, Narren, Trunkenbolden und geilen Böcken in den Tod treibt, wird in Düsseldorf als Albtraum und zugleich als Bilderfolge aus einer Welt, die zur Hölle geworden ist, in Szene gesetzt. In mattem Dämmerlicht, auf Booten, die kieloben liegen, agiert eine enthemmte Masse, vor der der Einzelgänger nur aufs Meer, d.h. in den Selbstmord fliehen kann. Und schon – so im bedrückenden Finale – sucht sich der Mob ein neues Opfer, schließt den Kreis um die Lehrerin, die als einzige zu Peter Grimes gehalten hatte. „Wer sich von uns absondert und seinen Stolz hat, wer uns verachtet, den zerstören wir! Grausamkeit wird zum Geschäft!“ – so zitiert zu Recht das Programmheft eine Chorszene, eine Schlüsselszene aus dem dritten Akt. Eine überwältigende Inszenierung, deren Magie sich der Zuschauer kaum entziehen kann, ein grandios singender und spielender Chor, ein Ensemble von durchweg herausragenden Sängerschauspielern, allen voran Roberto Saccà in der Titelrolle. Und aus dem Orchestergraben klingt ein betörender Britten. Mag die Musik auch, wie die Musikhistoriker wissen und uns glauben machen, ein Konglomerat aus den unterschiedlichsten Stilen sein, frei nach dem Motto: Musik produziert Musik, so fasziniert sie doch und dies nicht zuletzt dann, wenn sie so vollendet dargeboten wird, wie jetzt in Düsseldorf. Die Deutsche Oper am Rhein, die vielleicht in den letzten Jahren etwas behäbig geworden war, ist unter ihrer neuen Leitung dabei, in den Kreis der führenden deutschen Musiktheater zurückzukehren. Wie schade, dass bei einer solch grandiosen Aufführung das Haus bei weitem nicht ausverkauft war. – Wir sahen die Vorstellung am 17. Oktober. Die Premiere war am 18. September 2009.