Salome und die Meistersinger als Kontrastprogramm zum „Zuri-Fäscht 2010″

Salome und die Meistersinger als Kontrastprogramm zum „Zuri-Fäscht 2010“

Man stelle sich einmal einen Augenblick vor, das Münchner Nationaltheater, die Bayerische Staatsoper, stünde mitten auf der Theresienwiese, mitten drin im Oktoberfest. Während man im Hause hinter schalldichten Mauern und Türen Wagner und Strauss zelebriere, brande draußen vor der Tür der Trubel des bayerischen Bierfestes. Eine etwas skurrile Vorstellung, die vielleicht manchen Anhänger der ‚hohen Kunst’ erschaudern lässt. In Zürich kennt man keine Berührungsängste zwischen Hohem und Niedrigem, zwischen Groteskem und Sublimem. Da steht der Musentempel mitten drin im „Zuri-Fäscht“.… → weiterlesen

Eros, Thanatos, Rabatz in der Kronenhalle. Eine Wiederaufnahme von Ariadne auf Naxos in der Oper Zürich

Die Ariadne hatte ich in Zürich schon vor gut 3 Jahre gesehen. Und noch immer begeistert sie. Was ich mir vor 3 Jahren notiert hatte, das gilt auch noch heute. Und so zitiere ich mich der Einfachheit halber selber.

Ariadne wird von Theseus verlassen und von Dionysos erlöst und gelöst. Diese klassische Variante des Mythos steht, wie man zu Genüge weiß, am Anfang der Geschichte der Gattung Oper – und ist entsprechend abgespielt. Was liegt näher, als den Mythos auf seinen Kern zu reduzieren und eine moderne, für die Zuschauer zeitgenössische Variante zu versuchen. Regisseur Guth verlegt die Handlung der „Oper“ in einen für die Zürcher quasi mythischen Ort, in die Brasserie Kronenhalle, seit der Belle Époque Treffpunkt der Künstler und der Insider. Ein schöner Einfall, der vom Zürcher Publikum entsprechend bejubelt wird und der von den etwas irritierten Zugereisten, sehen sie doch auf der Bühne ein eher wartesaalähnliches Lokal, nur mit Hilfe des Programmhefts verstanden wird. Hat man sich einmal für eine  Brasserie als Ort der Handlung entschieden, dann ist es nur konsequent, dass aus der Prinzessin Ariadne eine von ihrem Geliebten verlassene Dame mittleren Alters wird, die sich ihren Depressionen und ihrer Verzweiflung hingibt und  mit einer Flasche Rotwein  vor sich trübsinnig an einem Ecktisch hockt. Konsequent ist dann auch, dass das mythische Personal der „wüsten Insel“, Najade, Dryade, Echo, zu Kellnerinnen  mutieren und die Komödiantentruppe der Zerbinetta mal die Kellner, mal die Party-Boys, mal die Rocker mimt, und Zerbinetta selber mal die Oberkellnerin, mal ein Gast des Lokals ist. Bacchus singt zwar davon, dass er ein Gott sei, spielt aber einen späten Gast, der gerade einer femme fatale namens Circe entflohen ist und der es jetzt in der Kronenhalle mit einer angetrunkenen lebensüberdrüssigen Depressiven zu tun bekommt, die noch dazu – eine schöne Gelegenheit für die Regie, einmal kurz die Pietà nachzustellen –  in seinen Armen stirbt, wobei allerdings nicht ganz klar wird, ob sie an einer Überdosis Tabletten, die sie kurz vorher geschluckt hat oder an einem exzessiven Orgasmus dahinscheidet. Aktualisierung und Banalisierung des Mythos, ein Konzept, das schon so viele Male umgesetzt worden ist. Doch ganz anders als man es aus München von David Alden kennt, präsentiert  Claus Guth in Zürich  seine Degradierung eines Mythos ernsthaft, ohne eine Spur von Ironie oder Parodie, ja sogar mit romantischen Zutaten. Der „Komponist“ aus dem Vorspiel, der naiv-romantische Künstler, der sich umgebracht hatte, kehrt ganz in romantischer Weise als „schnöder Revenant“ wieder, geistert durch die Szene und ist – die identischen Kostüme legen dies nahe – eine Art Doppelgänger des Bacchus. Die Musik bringt den Tod und die Befreiung, löst von der Depression, ist gleichbedeutend mit Erlösung? Die Musik ist ein befreiender Gott wie Dionysos? Eine Prise Wagner bei Strauss und Hofmannsthal? Ja, warum nicht. Seltsam mutet  auch bei der Behandlung der gattungsbedingt „komischen“ Buffa-Figuren der Verzicht auf alle Komik an. Zwar tollen die Commedia dell’arte Gestalten aus Zerbinettas Truppe ein bisschen herum. Doch wirken sie eher wie junge Leute aus gutem Zürcher Haus, die zwei Gläser zu viel getrunken haben und jetzt ein bisschen Rabatz machen wollen. Auch die Figur der Zerbinetta wird durchweg ernsthaft dargestellt. Eigentlich im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis. Guths  Grundidee der ernsthaften Aktualisierung und modernen Lokalisierung des Ariadne-Mythos trägt zweifellos die Aufführung. Die Überlagerung von opera seria und opera buffa, die Vermischung der Gattungen und die Parodie beider, die doch eigentlich die Grundstruktur  von Libretto und Musik ausmachen, all dies geht eher verloren. Nur im „Vorspiel“ werden die Buffa Materialien ausgespielt – in einer imponierenden Personenregie, die ganz ohne Requisiten auskommt  und  die allein im Spiel der Personen und mit ganz einfachen commedia dell’arte Gags die Handlung in Szene setzt. Doch werden Regie und Ausstattung, so einfallsreich sie auch sind, angesichts von Musik und Gesang auf höchstem Niveau letztlich zweitrangig. Ob Echo eine Kellnerin mimt, Zerbinetta einen Gast in der Brasserie oder Ariadne eine angetrunkene Depressive oder Bacchus einen späten Gast, all dies wird letztlich belanglos.  Ariadne,  Zerbinetta,  Bacchus und viele andere singen so berückend schön, agieren mit einer solchen Spielfreude, dass die Inszenierung zur quantité negligeable wird.  “Musik ist heilige Kunst…“.

Nachtrag: Für die Ariadne  präsentiert Zürich ein Sängerensemble wie es kaum besser sein kann. Und auch die Inszenierung gewinnt beim Wiederanschauen: die sublime Ironie oder auch die Metatheater Hinweise, die man beim ersten  Schauen übersehen hatte, werden jetzt deutlich. Da wird dem verzweifelten Komponisten aus der Kulisse die Pistole gereicht, da sieht man von Zerbinettas Truppe beim ersten Mal nur Totenkopfmasken, da werden die drei Kellnerinnen beim Erscheinen des Bacchus zu Wagners Rheintöchtern oder auch zur Loreley, die ihr langes blondes Haar kämmt, da wird mit den Schlusstakten das Opernpathos mit einem Metatheater Gag gebrochen und daran erinnert, dass von der Fiktion her Theater auf dem Theater gespielt wird, die Oper Ariadne gerade eben „im Hause eines großen Herrn“ uraufgeführt worden ist. Und da ist es nur konsequent, dass der „Haushofmeister“, in Zürich der Intendant des Hauses, der Primadonna zu ihrem Erfolg gratuliert. Alles war nur Spiel, alles ist nur Theater. Ich glaube, ich fahre noch einmal hin.Wir sahen die Aufführung am 9. Februar 2010. Die Premiere war, wenn ich mich recht erinnere, Ende 2006.

22. 03. 09 Manieristische Weihesspiele – eine Wiederaufnahme von Robert Wilsons Walküre vom Jahre 2001 im Opernhaus Zürich

Keine Frage: es gibt phantastisch-schöne Bilder zu sehen, Bilder, die nicht im Geringsten auf irgendeine noch so ferne ‚reale’ Welt  verweisen, Bilder, die in ihrer Abstraktheit und in ihrem Minimalismus nie von der Musik ablenken, nie Eigengewicht erlangen, bloße Zeichen sind. Da fallen keine Blitzmädels vom Himmel, da tummeln sich keine Mannequins auf dem Laufsteg, da sammeln keine Krankenschwestern die Leichen ein, da fleddern keine Frühlingsmaiden die Gefallenen, da ersticht oder erschießt kein Hunding den armen Siegmund, da gibt’s keine wilden Umarmungen und keine heißen Küsse und keinen großen Feuerzauber, da gibt es keine aufdringlichen Filmverweise und kein Metatheater.  Da gibt es – ganz wie man es inzwischen von Wilson kennt – nur ein hoheitsvolles Schreiten, abgezirkelte Bewegungen, rituelle Gesten, Kostüme, die an Mönchskutten und Nonnengewänder erinnern. Keine Requisiten außer Siegfrieds Schwert und Wotans Speer. Alles Geschehen reduziert sich auf das Wesentliche, jede Regung wird  zum Zeichen.

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