Elias – Aufstieg, Fall und Verklärung eines Fundamentalisten. Calixto Bieito inszeniert im Theater an der Wien Mendelssohn Bartholdy

Sagen wir es gleich. Hier wird keine fromme Geschichte aus dem Alten Testament erzählt – mag die Musik auch ( manchmal)  fromm, süß, romantisch klingen. Hier geht es um einen charismatischen Anführer, um Massenhysterie und religiösen Wahn in der Welt von Heute und nicht zuletzt um den Streit zwischen sich einander ausschließenden Ideologien.

Ganz im Sinne dieser Konzeption kann Ort des Geschehes kein imaginäres Israel des Alten Testaments sein. Schauplatz des Geschehens ist ein mit beweglichen Stahlgittern nach oben, nach hinten und zur Seite hin abgeschlossener Raum, ein Gefängnis, in dem eine sich hysterisch gebende Masse herum rennt , am Boden liegt, den Anführer je nach dramatischer Situation  feiert, bedrängt, ihn erschlagen will, seine Himmelfahrt oder auch seinen Feuertod vorbereitet. Der Anführer, Prophet, Guru, Wundertäter, Regenmacher, Arzt, Objekt der Begierde ist, so wie ihn die Regie konzipiert und wie ihn Christian Gerhaher  gestaltet, zugleich anziehend und abstoßend. Ein gefährliicher Fanatiker, der, als er sieht, wie sein Projekt, sein Versuch, die von ihm vertretene Ideologie als die allein selig machende durchzusetzen, scheitert, sich in den Selbstmord flüchtet und von seinen Anhängern zum Heiligen verklärt wird.… → weiterlesen

„Ach! so fromm, ach! so traut“. Großmütterchens Wunschkonzert an der Oper Frankfurt: Friedrich von Flotow, Martha oder der Markt zu Richmond

Ach! es ist ja auch so anrührend, wenn der biedere Landmann Lyonel, der bald zum Grafen mutieren wird, nach der entschwundenen Martha schmachtet, der Lady, die sich als Magd verkleidet hatte und die ihm mit dem melancholischen Volkslied „Letzte Rose, wie magst du so einsam hier blühn?“ den Kopf verdreht hat.

Doch spotten wir nicht über Omas Wunschkonzert. In Flotows Martha da wimmelt es nur so von wunderschönen Melodien, von Arien und Koloraturen, die an Donizetti erinnern, von Ensembleszenen, die wohl auf Rossini verweisen, ganz zu schweigen vom so eingängigen volksliedhaften Ton der  ‚irischen Weise‘, deren Hauptmotive im vierten Akt gleichsam leitmotivisch wieder aufgegriffen werden und die zum Ohrwurm wurden. Was Flotows Musik ausmacht,  das hat Stefan Frey im Programmheft (p.33) auf den Punkt gebracht: „Heute ist uns Flotows Eklektizismus, seine spielerische Leichtigkeit, mit der er mit Genres und Stilen jongliert, näher als der Biedersinn vieler seiner Zeitgenossen. Seine Musik ist weltläufig, urban, amüsant; alles Eigenschaften, für welche die deutsche Musikwissenschaft nie Verständnis hatte.“

Diese Martha, die im Jahre 1847 in Wien uraufgeführt wurde, ist ein hybrides Konstrukt. Sie ist keine deutsche Spieloper. Hierfür fehlt es ihr an Plumpheit und derbem Humor. Sie ist auch keine opéra comique im französischen Sinne. Es gibt keine gesprochenen Dialoge. Sie ist auch noch keine Operette im Stile eines Jacques Offenbach. Dafür fehlt es ihr an der scharfen Satire, wenngleich die vorsichtige Verspottung des Standesdünkels der Lady schon in die Richtung der  Gesellschaftssatire geht. Sie hat eher etwas von einer Märchenoper oder auch etwas vom Hollywood Kitsch: der Prinz, der von seiner Herkunft nichts weiß, erringt nach schmerzvollen Prüfungen die Prinzessin „- und es war alles, alles gut!“ Flotows „romantisch-komische Oper“, wie sie der Komponist im Untertitel nennt, hat eigentlich von all diesen Gattungsformen  etwas. Und gerade das macht ihren Reiz aus.

In Frankfurt stehen mit Maria Bengtsson in der Titelrolle und AJ Glückert als unglücklich verliebter Lyonel, um nur die beiden Protagonisten zu nennen, exzellente Sängerdarsteller auf der  Bühne, und alle anderen Mitwirkenden können durchaus mithalten. Ein gleiches gilt für die Inszenierung, die Katharina Thoma verantwortet. Die Regie verlegt die Handlung aus dem frühen 18. Jahrhundert in die Entstehungszeit der Oper, in die Biedermeierwelt, und bricht diese mit  ironisch-spöttischen  Verweisen auf unsere Zeit wieder auf. Der sich langweilenden, leicht am ‚Weltschmerz‘ leidenden Lady fehlt ein Liebhaber. Die Vertraute weiß gleich Rat: schlag nach im Internet bei der Dating Agentur. Der verschrobene exzentrische Lord, der der Lady den Hof macht, fährt im Mini vor. Lyonel und sein angeblicher Halbbruder hausen, da ihr Haus noch eine Baustelle ist, im Wohnwagen. Die Queen, die dem armen Lyonel die Grafenwürde zurückgibt, ist in Kostüm und Maske natürlich die Queen, wie wir sie kennen. Der  Markt zu Richmond, auf dem sich die Mädels im Dirndl  präsentieren, verweist auf das Oktoberfest. Die hochadlige Gesellschaft im dritten Akt trifft sich auf dem Golfplatz, das glückliche Paar wird seine Flitterwochen im Wohnwagen verbringen usw.usw.

Flotows Oper, die viele Jahrzehnte lang ein Schlager im Repertoire war und heute praktisch vergessen ist, sollte auf die Bühne zurückkehren und dürfte, wenn sie in Musik und Szene so brillant präsentiert wird wie jetzt in Frankfurt, auch wieder ein Erfolg werden. Ein bis auf den letzten Platz ausverkauftes Haus feierte Martha enthusiastisch.

Wir sahen die Aufführung am 5. November 2016, die fünfte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 16. Oktober 2016.

 

 

„Was für eine furchtbare Inszenierung“. Das Capriccio der Untoten oder Ästhetik nach Stalingrad. Richard Strauss, Capriccio. Konversationsstück für Musik in einem Akt am Theater an der Wien

Zum baldigen Finale der Stagione haben sich die Wiener  für eine Strauss-Produktion eine Theatermacherin aus dem ‚Reich‘ geholt. Eine Dame mit einem Brecht- und Adorno-Schaden, die mit dem späten Strauss wenig anzufangen weiß und wohl  viel lieber Mutter Courage oder den Troubadour oder Die Soldaten inszeniert hätte.

Wie kann man denn, so mögen die Vorüberlegungen zur Capriccio Inszenierung gewesen sein, im Jahre 1942 eine Oper mit einem weltfremden ästhetischen Thema schreiben. Eine Konversation über den Vorrang von Musik oder Text, eine Diskussion, die beinahe so alt ist wie die Gattung Oper selber, ein Streitgespräch über die Hierarchie der Künste, ein Plaudern über das Theater-Machen und das Metatheater, und dies alles  in den Zeiten von Auschwitz und Stalingrad.… → weiterlesen