Effektvoll – Spektakulär – Virtuos. Marc Minkowski und Olivier Py präsentieren Giacomo Meyerbeer: Les Huguenots im Théâtre de la Monnaie in Brüssel
Vor gut zehn Jahren, so schreibt Maestro Minkowski im Programmheft, habe sich ihm die Möglichkeit geboten, Wagner oder Meyerbeer zu dirigieren: Tristan und Isolde oder Robert Le Diable: „Il m’a fallu faire le choix entre un chef – d’oeuvre absolu et l´inconnu“. Er habe sich für das heute praktisch Unbekannte und damals im 19. Jahrhundert so überaus Bekannte entschieden. Meyerbeer heute aufführen zu können, das sei eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen dürfe. Mit Les Huguenots werde im Brüsseler Opernhaus eine Rarität geboten, von der ein großes Pariser Opernhaus nichts habe wissen wollen. Und so sind wir denn extra nach Brüssel gefahren, um in La Monnaie fünf Stunden lang Mayerbeer zu hören. Selbst die Dilettantin begreift sehr schnell, dass Verdi und Wagner dieser heute so gänzlich aus dem Repertoire verschwundenen Grand Opéra eines Meyerbeer so manches zu verdanken haben: die großen Chöre mit ihren Massenauftritten, die dramatischen und die so eingängigen ‚lyrischen‘ Szenen mit ihrem ‚Belcanto‘ wie zum Beispiel die erste Arie (mit obligater Solovioline) des Raoul, in der der junge Hugenottenanführer von seiner Liebe zu einer Unbekannten erzählt, die Auftrittsarie des Pagen mit der Botschaft der Königin für Raoul, die hoch artifizielle Koloraturarie der Königin zu Beginn des zweiten Akts. Szenen der Intimität, die mit den großen dramatischen Szenen kontrastieren wie der Verschwörung im vierten Akt oder der Ermordung der Hugenotten im Finale des fünften Akts. Bei Meyerbeer, so glaubt die Dilettantin, die zuvor noch nie eine Oper des „grand Giacomo“ gehört hat, zu begreifen, ist alles spektakulär, alles auf Effekt hin an gelegt: das Leise, das vielleicht auch schon das Kitschige streift, das Laute, das dem seelenlosen Dröhnen manchmal nahe kommt. Oder warum sagen wir nicht, selbst auf die Gefahr hin, uns als vollständige Ignorantin zu outen: Wagner berauscht – Meyerbeer bietet eher laue Drogen. Wagner zieht an oder stößt ab – Meyerbeer lässt trotz aller Passion die Zuhörer eher kalt. Ganz im Sinne der Musik setzt auch die Inszenierung auf das Spektakuläre und Effektvolle. Kein Zweifel: der französischen Theatermacher Olivier Py ( vor ein paar Jahren beeindruckte er uns in Genf mit seiner Trilogie du Diable) weiß die Bedürfnisse seines Publikums zu befriedigen und die Klischees aus dem Fundus der Grand Opéra souverän aneinander zu reihen: ein bleicher graubärtiger Hugenotte, dem Kleriker und Frauen in gleicher Weise verhasst sind – beide sind des Teufels – und der im Choralton seinen Gott preist und diesen bedenkenlos für sich instrumentalisiert und als sein Gegenspieler ein machtgieriger, glatzköpfiger Katholikenanführer, der in seinem Fanatismus alle Protestanten massakrieren will und aus Versehen seine eigene Tochter gleich mit umbringt. Mitten zwischen den beiden Parteien eine scheinbar engelsgleiche Königin, die mit Intrigen und Verführungsspielchen ihre politischen Ziele verfolgt. Des Weiteren ein verliebter Hugenottenführer, der aus dem Teufelskreis des Fanatismus nicht auszubrechen vermag und – diesem zugetan – das katholische Mägdelein, das Töchterchen des gewalttätigen Katholiken, das im Finale sich geradezu zu einer Jeanne d’Arc steigert. Eine Konfiguration, die zwanghaft in die Tragödie führen muss, ohne dabei das Publikum mit aufgesetzter Ideologie allzu sehr zu belästigen. Die verspäteten bürgerlichen Romantiker unter uns dürfen sich gefahrlos an der ‚Liebe als Passion‘ erfreuen. Die Gutmenschen im Publikum können sich entspannt zurücklehnen: die Kreuze, mit denen sich die verfeindeten Glaubensbrüder attackieren und massakrieren, waren ihnen schon immer verdächtig, und Fundamentalisten, wie sie sich da unversöhnlich auf der Bühne, sei es in den Kostümen des 16. Jahrhunderts, sei es im heutigen Outfit, gegenüber stehen, waren uns schon immer ein Graus – wir sind doch so liberal und tolerant – und dass die Mächtigen dem Sex nicht abgeneigt sind, das wissen wir ja aus der Zeitung. A propos Sex. Für die Voyeure unter uns hält die Regie Nackedeis beiderlei Geschlechts bereit – ganz zu schweigen von den barbusigen Tänzerinnen, die bei der in der Grand Opéra obligatorischen Balleteinlage für Entspannung sorgen. So haben wir denn in Brüssel ein großes Spektakel gesehen: ein Spektakel mit Sex und Crime, Fanatismus und romantischer Liebe bis in den Tod, eine Männerorgie im ersten Akt, ein mit ausschließlich weiblichem Personal bevölkertes Arkadien im zweiten Akt, ein Zigeunerballett nebst Schlägerei zwischen Fundamentalisten im dritten Akt, eine Verschwörung unter werten Herren mit Anleihen an Rembrandtbilder im vierten Akt. Und im fünften Akt – das ist ja eigentlich schon obligatorisch, da werden die verfolgten Hugenotten zu verfolgten Juden, die im Namen des Kreuzes zusammengeschossen werden und die sonst so blässliche Valentin, die Tochter des Anführers der Katholiken und heimlich angetraute neue Gattin des Hugenottenanführers, reckt als eine neue Jeanne d’Arc den katholischen Herren siegessicher und rachsüchtig das Kreuz entgegen. Fanatismus und Fundamentalismus haben kein Ende. Doch Theatermann Py ist kein Ideologe, der das Theater zur ’moralischen Anstalt‘ machen will. Py bietet auf der Basis des Librettos von Eugène Scribe Unterhaltung, spektakuläre Unterhaltung (die Message versteht sich von selber), und Meyerbeer und sein Interpret Minkowski wollen das Gleiche – auf höchstem Niveau. Keine Frage, dass in Brüssel brillant gesungen und musiziert wurde. Keine Frage, dass die Inszenierung mit ihrer Opulenz dem Stil der grand Opéra entspricht. Keine Frage, dass eine Meyerbeer Ausgrabung sich alle Male lohnt. Doch mit Verlaub, hoch verehrter Maestro Minkowski, wenn ich die Wahl hätte, Tristan und Isolde oder Les Huguenots wieder zu hören, dann wüsste ich mich schnell zu entscheiden. Wir sahen die Vorstellung am 30. Juni – es war die letzte der laufenden Serie. Die Premiere war am 11. Juni 2011.