Elias – Aufstieg, Fall und Verklärung eines Fundamentalisten. Calixto Bieito inszeniert im Theater an der Wien Mendelssohn Bartholdy

Sagen wir es gleich. Hier wird keine fromme Geschichte aus dem Alten Testament erzählt – mag die Musik auch ( manchmal)  fromm, süß, romantisch klingen. Hier geht es um einen charismatischen Anführer, um Massenhysterie und religiösen Wahn in der Welt von Heute und nicht zuletzt um den Streit zwischen sich einander ausschließenden Ideologien.

Ganz im Sinne dieser Konzeption kann Ort des Geschehes kein imaginäres Israel des Alten Testaments sein. Schauplatz des Geschehens ist ein mit beweglichen Stahlgittern nach oben, nach hinten und zur Seite hin abgeschlossener Raum, ein Gefängnis, in dem eine sich hysterisch gebende Masse herum rennt , am Boden liegt, den Anführer je nach dramatischer Situation  feiert, bedrängt, ihn erschlagen will, seine Himmelfahrt oder auch seinen Feuertod vorbereitet. Der Anführer, Prophet, Guru, Wundertäter, Regenmacher, Arzt, Objekt der Begierde ist, so wie ihn die Regie konzipiert und wie ihn Christian Gerhaher  gestaltet, zugleich anziehend und abstoßend. Ein gefährliicher Fanatiker, der, als er sieht, wie sein Projekt, sein Versuch, die von ihm vertretene Ideologie als die allein selig machende durchzusetzen, scheitert, sich in den Selbstmord flüchtet und von seinen Anhängern zum Heiligen verklärt wird.… → weiterlesen

Mystische Erotik – erotische Mystik. Calixto Bieito setzt im Nationaltheater Mannheim Monteverdis Marienvesper in Szene

Die Marienvesper, ein Konglomerat aus Psalmen und Hohem Lied, aus Hymnen und dem berühmten Magnificat aus dem Lukas Evangelium, in Szene zu setzen, geht das überhaupt? Ja, es geht – wenn man von den Interferenzen von mystischem und erotischem Sprechen weiß und diese für die Szene zu nutzen weiß. Und dies gelingt  Calixto Bieito auf brillante und überzeugende Weise.

Vielleicht muss man das einstige katholische Spanien mit seinen religiösen Umzügen, den Pasos, und mit seinem exzessiven Jungfrauen- und Marienkult erlebt und erlitten haben, um die Marienvesper als erotisch-mystisches Spektakel begreifen zu können. Zugleich muss einem die Marienmystik, im konkreten Fall die religiöse Umdeutung des Hohen Lieds, des alttestamentarischen  Dialogs zwischen Braut und Bräutigam, mit ihrer Gleichsetzung der Braut mit der Jungfrau Maria sowie die moderne Re-Erotisierung des Hohen Lieds vertraut sein.

Keine Frage, dass dem spanischen Theatermacher Bieito all dies vertraut ist und dass er  aus diesem Fundus zu schöpfen weiß. Nicht genug damit. Auch die bildnerische Tradition des Marienkults nutzt er für seine Zwecke, wenn er  in Tableaux Vivants Maria als Mater Dolorosa oder – so im Finale – als Maria lactans darstellt.

Theatermacher Bieito fordert sein Publikum erheblich und lässt trotzdem allen, denen die Tradition der Mystik nicht geläufig ist, Raum für eigene Phantasien. So mag, wer es denn möchte, das ganze Spektakel als Hymne an Schwangerschaft und Mutterschaft oder als Feier eines Fruchtbarkeitskults verstehen, ein Fest, in dem gleich ganze Kohorten von verzückt drein blickenden Schwangeren auftreten. Die nicht minder verzückt gen Himmel blickenden oder sich auf dem Boden wälzenden Männer mag er für irre Fundamentalisten halten, wenn er in deren Verhalten nicht Auswüchse mystischer Ektasen  erkennen kann. In dem jungen Mädchen Maria, das zur Ehre der Altäre erhoben wird,  mag man auch die Göttin Venus sehen. Eine Interpretation, die ganz in der Tradition der Überlagerung christlicher und heidnischen Mythen stünde.

Der wohlwollende Zuschauer könnte auch in dem Jesuitenpater, der ständig mit einer Schar kleiner Mädchen herumrennt und an diese Lutscher verteilt, den ‚guten Hirten‘ sehen. Irritierend bei dieser Deutung wäre nur, dass der Pater auf dem Rücken schwarze Flügel trägt. Der ‚gute Hirte‘ wäre dann wohl zum gefallenen  Engel Luzifer oder  neudeutsch zum  pädophilen Priester mutiert.  Und die Maria lactans mit ihrem entblößten Busen, vor der ein spanisch gekleideter Heiliger kniet (der heilige Ignatius?) , könnte dem Heiligen, wie es die pikturale Tradition will, Weisheit ‚spenden‘ oder als Venus auch etwas anderes.

Ganz konsequent im Sinne der Interferenz von Mystik und Erotik bietet die Inszenierung immer wieder beide Deutungsmöglichkeiten an. So mag der eine Zuschauer sich am religiösen Spektakel erbauen, der andere sich am erotischen Spektakel erfreuen und der dritte die Interferenzen goutieren.

Tut ein solch ambivalentes Spektakel der Musik Monteverdis wirklich gut? Zeichnet die Musik sich auch durch Ambivalenz aus, durch ein Schwingen zwischen zwei scheinbar entgegen gesetzten Polen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur,  dass das Orchester Il Gusto Barocco unter der Leitung von Jörg Halubek einen exzellenten Monteverdi zelebriert hat und  dass man den Vespro della Beata Vergine gerne wieder hören möchte – ohne ablenkendes Szenarium.

Wir besuchten die Aufführung am 11. Januar 2019, die 4. Vorstellung seit der Premiere am 15. Dezember 2018.

 

Parsifal im Drogenrausch unter kriminellen Pennern. Eine Wiederaufnahme einer Calixto Bieito Inszenierung an der Oper Stuttgart

„Heut – hast du’s erlebt“ – wie Theater und ‚Wirklichkeit‘ geradezu bruchlos ineinander übergehen. Heut am Karfreitag 2018.

Ein erster Frühlingstag in Stuttgart. Im Schlossgarten, unweit vom Schauspielhaus, dem Opernhaus, dem Landtag, der Residenz der Landesregierung, kampieren auf den Wiesen wie alle Jahre wieder die Romas, krakeelen die angetrunkenen Penner, machen die Bettler aus nahen und fernen Landen die Bürger an – auf ihrem Osterspaziergang zum Musentempel. Trash, Trash! überall Trash! „Wohin ich forschend blick“. Draußen vor der Tür und drinnen auf der Bühne.

Die guten Bürger erwarten dort keine Gralsburg, kein „geweihter Ort“, keine festlich und fromm verkleideten Mimen. Auf eine herunter gebrochene Autobahnbrücke, auf verkohlte Baumgerippe, auf eine Horde von Kriminellen treffen sie. Eine Horde von Gewalttätern, Sexgeilen, Kinderschändern und Drogensüchtigen tummelt sich auf der   Szene. Sie alle harren der „Erlösung“, konkret: der Drogenration, die der angeblich kranke Boss ihnen verweigern will. Wenn nicht der Boss, dann soll ein anderer die „Erlösung“ bringen. „Der reine Tor“ ist nicht minder drogensüchtig und gewalttätig. Zum sogenannten Abendmahl, bei dem der herunter gekommene Haufen endlich seine Kügelchen bekommt und zusammengeklaute liturgische Gefäße als Trophäen präsentieren darf, schläft der Neuankömmling erstmal seinen Rausch aus. Der  geschwätzige Kapo Gurnemanz hat ihm wohl zu viele Kügelchen zugesteckt… → weiterlesen

Die Leiden der missbrauchten Renata. Calixto Bieito inszeniert Prokofjew, Der feurige Engel an der Oper Zürich

Theatermacher Bieito, einst der berüchtigte Spezialist für Unterleibsgeschichten, die er mit einem befreienden oder auch grotesken Lachen aufzulösen pflegte, will vom Lachen nichts mehr wissen. Er hält es jetzt lieber mit einem humorlosen kruden Realismus – je härter und pathologischer, umso besser für die Inszenierung.

Hatte Barrie Kosky in München aus dem Feurigen Engel noch eine geradezu karnevaleske Parodie mystischer Verzückung gemacht und die Protagonistin Renata mit ihrer Sehnsucht nach Vereinigung mit dem feurigen Engel Madiel zur unheiligen Ekstatikerin gemacht, lässt Bieito jetzt in Zürich jegliche Referenz auf die Mystik beiseite und präsentiert eine hochgradig pathologische  Frau im Irrenhaus.… → weiterlesen