„Musik ist eine heilige Kunst“ – aber inszeniert sie bitte nicht so bieder! Ariadne auf Naxos am Badischen Staatstheater Karlsruhe

24. 05. 09

Wir haben in den letzten beiden Jahren im Opernhaus in Karlsruhe herausragende Aufführungen gesehen: Giulio Cesare, Radamisto, Die Walküre: brillante Produktion, die vom hohen Niveau der Karlsruher Oper zeugten. Mit der einfallslosen, inkonsequenten und betulichen Ariadne Inszenierung ist das Staatstheater wieder zum Stadttheater herabgesunken. Natürlich darf man ein mittleres Haus nicht mit den Musiktheatern in Zürich und München vergleichen und den dortigen Standard in Karlsruhe erwarten. So will ich auch gar nichts gegen die Sänger und Musiker sagen. Sie hielten sich auf beachtlichem Niveau. Und die Zerbinetta wurde nach ihrer Bravourarie zu Recht stürmisch gefeiert. Aber, mein Gott, die Inszenierung. Kann man sich da wirklich nicht ein bisschen mehr Mühe geben, wo doch die  Komponenten einer möglichen Inszenierung von Hofmannsthal gleichsam auf dem Tablett serviert werden: Metatheater als Hauptgericht und als Contorni Commedia dell’arte und als Würze Liebeständelei und als schweres Dessert Tod und Verwandlung, Melancholie und Leidenschaft. Es kann doch nicht so schwer sein, aus diesen Materialien einen großen Theaterabend zu zaubern. Allein in Karlsruhe waren keine Zauberer am Werke, sondern … Lassen wir das. Wir wollen niemandem zu nahe treten. Wenn man Claus Guths Zürcher und Robert Carsens Münchner Ariadne gesehen hat, dann ist man halt verwöhnt, und dann kommen einem die Arbeiten mittlerer Theatermacher leicht fad und öd vor. Und dabei gab es doch in Karlsruhe mit dem Parodiekonzept: Parodie der Metatheaterseligkeit des Vorspiels, (angedeutete) Parodie  der opera seria, ihrer Auftraggeber und ihres Publikums einen durchaus ansprechenden Ansatz. Zweifellos ist es ein hübscher, das Libretto aktualisierender Einfall, aus der Figur des „reichsten Mannes in Wien“ einen vertrottelten „Bankdirektor Jourdain“ zu machen und damit nicht nur auf die Geldbanausen von heute, sondern zugleich auf Molières Le Bourgeois Gentilhomme  und die Entstehungsgeschichte der Ariadne-Oper zu verweisen. Nicht minder amüsant ist es, wenn zur Ouvertüre gleich sämtliche Mitwirkenden – vom zur Festivität einladenden „Bankdirektor“ über die Sänger bis hin zu den Bühnenarbeitern – auf der Bühne erscheinen und sich in Spiel und Outfit als Figuren gleich selber parodieren. Das ist alles sehr hübsch anzusehen, und das Publikum hat auch seinen Spaß daran – aber dann ist auch schon die Luft raus. Wer gesehen hat, wie Robert Carsen aus der großen Arie der Zerbinetta eine Las Vegas Show Nummer macht, in der ein Dutzend Tänzer eine tanzende und singende  femme fatale Zerbinetta umflattern, der findet die szenische Gestaltung der Arie in Karlsruhe recht dürftig. Hier darf Zerbinetta  einmal über den Laufsteg vor dem Orchestergraben tänzeln, und der verliebte Komponist darf sie ein bisschen im Arm halten. Verschenkte Möglichkeiten.

Und der opera seria Teil? Soll man ihn als opera seria Zitat nehmen? Oder vielleicht als Wagner Parodie? Ist die Ariadne mit ihrem goldenen Haar eine Art Elsa, die auf ihren Retter wartet? Und der blond gelockte Bacchus ist der ein Wiedergänger des Lohengrin?  Oder zitieren wir bei der Begegnung Bacchus-Ariadne nur den Auftritt eines hohen Paars in einer beliebigen opera seria? Das Parodie Konzept, das einen so schwungvollen Anfang erlaubte, wird nicht konsequent durchgezogen. Und das gleiche gilt für die Metatheateransätze. Wenn im opera seria Teil der „Bankdirektor“ und seine „Gattin“ lauthals in die erste Arie der Ariadne hineinschwatzen, dann ist dies kein Metatheatergag und auch keine Parodie auf ein ignorantes Sponsorenpublikum, sondern nur eine ärgerliche Störung. Ein Metatheatergag wäre es gewesen, wenn der „Bankdirektor“ der Sängerin nach ihrer Arie einen Scheck, natürlich einen auf eine längst zusammengebrochene Bank bezogenen Scheck, überreicht hätte.

Lassen wir es mit diesen Bemerkungen einer enttäuschten Opernbesucherin genug sein. Es bleibt der fatale Eindruck, dass man in Karlsruhe mit der Ariadne wenig anzufangen weiß. Ich möchte daher dem Produktionsteam einen Vorschlag machen. Besorgen Sie sich  für die Münchner und die Zürcher Ariadne Steuerkarten. Dort finden Sie Anregungen in Fülle. Und für die Wiederaufnahme in der nächsten Saison überarbeiten Sie noch einmal Ihre Produktion. Das Publikum wird es Ihnen danken. Ein Kuriosum noch für die Karlsruher: in Zürich gibt es nicht wie in Karlsruhe fiktionale Bankdirektoren als Opernsponsoren, sondern ganz reale. In der Zürcher Ariadne saß ich zufällig neben  einem eleganten jungen Mann, der sich als Vertreter  eines Bankhauses vorstellte: „Heute sind Sie hier im Opernhaus Gäste unserer Bank“.

Wir sahen die Premiere am 24. Mai 2009.

19. 02. 09 Tod und Verklärung oder ein Reigen um Eros und Thanatos. Ariadne auf Naxos an der Deutschen Oper Berlin

Sagen wir nicht, unsere Opernhäuser seien nicht sparsam oder schafften nicht Geld herbei. Innerhalb einer Woche sahen wir gleich zwei Produktionen der Bayerischen Staatsoper – erfolgreiche und umjubelte Produktionen –, die an andere Häuser verkauft worden waren. El Teatre del Liceu in Barcelona übernahm aus München David Aldens (leider schon etwas betagte) L’incoronazione di Poppea, und jetzt hat die Deutsche Oper Berlin Robert Carsens Ariadne eingekauft, die im vergangenen Sommer bei den Münchner Opernfestspielen Premiere hatte. Die Berliner Intendanz, die, um es freundlich zu sagen, nicht gerade  von der Kritik  verwöhnt wird, hat mit der Carsen Ariadne  einen guten Griff getan. Ein volles Haus, ein begeistertes Publikum, ein positives Echo im überregionalen Feuilleton. Und dies zu Recht. Robert Carsen hat in seiner Inszenierung aus der angeblichen Kammeroper, aus der hybriden Ariadne mit ihrer Überlagerung von altehrwürdiger opera seria und moderner opera buffa geradezu eine französische Grand Opéra  oder besser gesagt: eine opéra ballet mit Metatheatereinlagen gemacht – und verweist damit implizit auf Molières comédie-ballet und zugleich auf Hofmannsthals Intertertexte. Noch bevor es überhaupt mit dem Spektakel losgeht, wird der Zuschauer schon mit dieser Konzeption, mit dieser Grundidee der Inszenierung vertraut gemacht. Der Bühnenraum ist der Trainingssaal des Opernballetts, und dieses studiert gerade ein Stück ein – Ballettszenen zur Oper Ariadne, wie der Zuschauer und mit ihm der Auftragsgeber (der „reichste Mann von Wien“) gleich erfahren werden, wenn ihnen mit der Ouvertüre zur Ariadne, die als Ballettmusik fungiert, die eben geprobten fragmentarischen Szenen in einer Art Generalprobe als geschlossenes Stück vorgeführt werden.

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